Haben Sie wieder mal nur vier Stunden geschlafen , sind die Erste im Büro, vormittags drei Meetings, nachmittags die Kinder zum Training chauffieren, danach hurtig einkaufen und kochen, damit sich noch ein halbes Stündchen im Fitnessstudio hüpfen lässt, bevor abends geschwind der Wäscheberg niedergebügelt wird? Wir ticken im Minutentakt, halten kaum noch Schritt mit den Anforderungen von Job, Familie und Freizeit. Sind gereizt, unaufmerksam, ausgebrannt und haben trotz zeitsparender Erfindungen weniger Zeit denn je zuvor.
Längst passé.
Dabei machen der Druck und das Gefühl, immer schneller leben zu müssen, uns nicht nur krank der einst hippe Stress ist nicht einmal mehr zeitgemäß. Gehetzte Börsengenies machen Ferien im Kloster. Zeitmanagement-Gurus verabschieden sich von ehemals hochgelobten Methoden, durch präzise Planung noch mehr Tagesprogramm zu absolvieren. Selbst die Werbung geht das Leben mittlerweile gemächlicher an: Mit Spots in Zeitlupe und Echtzeit statt "fast>>forward" sowie Produktkampagnen, die auf Bequemlichkeit und Entspannung statt Power und Tempo abzielen.
Runterschalten lautet die Devise. Doch wie gelingt es, aus dem Alltagswahnsinn auszusteigen? Entschleunigungsexpertin Karin Tara Peer ( www.downshifting.at ) hat ein individuelles Programm entwickelt und verrät, was jeder Einzelne tun kann, um das für ihn stimmige Zeitmanagement wiederzufinden. Hier 13 wichtige Fragen zum Thema!
* Zu viel, zu lang, zu schnell: Viele von uns leben auf der Überholspur. Sollten alle runterschalten oder nur Risikogruppen?
Stress entsteht nicht zwangsläufig durch "zu viel, zu lang, zu schnell", sondern vielmehr durch die eigene Bewertung dessen, was man macht: Je lieber wir also Dinge tun, umso geringer ist deren Stress-Potenzial. Dann können wir viel Energie reinstecken, ohne uns zu verausgaben. Umgekehrt kann eine kurze Beschäftigung mit einer unliebsamen Sache einen sehr hohen Stress-Level verursachen. Über eine Veränderung nachzudenken ist jedenfalls jedem zu empfehlen, der das Gefühl hat, nicht rund zu laufen. Unbedingt Unterstützung suchen sollte jeder, der körperliche oder emotionale Beschwerden verspürt, die früher nicht da waren.
* Welches sind untrügliche Zeichen dafür, dass es Zeit ist, leiserzutreten?
Grundsätzlich jede Veränderung in der Befindlichkeit, die als ungewöhnlich und/oder unangenehm empfunden wird. Auch kurze Krisen sind ein Signal. Wichtig ist, sich bewusst zu sein, was man tut und welchen Preis man bereit ist, dafür zu bezahlen.
* Wie finde ich heraus, ob ich zuerst im Job oder in meinem Privatleben reduzieren sollte?
Leider neigen wir alle dazu, uns selbst immer nur jene Fragen zu stellen, deren Antwort innerhalb unserer Komfortzone liegen würde. Ein Freund oder Coach kann ein guter Begleiter sein, um das Blickfeld ein bisschen auszuweiten und damit Dinge zu sehen, die man vorher vielleicht nicht so oder gar nicht gesehen hat.
* Was kann ich im Job tun, um mir weniger aufzuhalsen, ohne gleich kündigen zu müssen?
Zuerst sollte man unbedingt seine eigene Haltung und die eigenen Wünsche überprüfen. Sich überlegen, was die Beweggründe sind, diesen Job zu machen, was dafür spricht und warum manche Dinge nicht gut laufen. Es ist sicherlich gut, Inventur zu machen, sich zu überlegen, was eventuell gar nicht zum eigenen Aufgabenbereich gehört und was man zum Beispiel nur der Kollegin zuliebe mitmacht. Warum man vielleicht mehr Dinge tut, als man müsste. Wenn zum Beispiel der Wert "damit ich gut mit den Kollegen auskomme" höher ist als "da kann ich früher nachhause gehen", dann erfüllt diese Aufgabe ihren Zweck. Bei Mobbing und ähnlichen Belastungen ist es allerdings nötig, Hilfe zu suchen!
* Soll ich mit meinem Vorgesetzten über meine Krise reden?
Unbedingt. Aber - so banal das klingt - man sollte sich sehr gut vorbereiten. Insbesondere sollte man sich vorher klar darüber sein, was man will und was nicht und wo die Grenze liegt. Es empfiehlt sich, das komplette Gespräch in geschütztem Rahmen (mit Vertrauten oder Coach) durchzuspielen und zu üben.
* Smartphones, Laptop & Co - Segen oder Fluch im Leistertreten?
Das hängt von der individuellen Nutzung ab. So viel ich weiß, haben alle eine Lautlos-Funktion. Es kommt darauf an, ob man die Technik für sich arbeiten lässt, indem man zum Beispiel den Kopf frei hat, weil alles Wichtige in Notizen und im Kalender steht. Oder ob man sich, wo immer man geht und steht, von Anrufen und E-Mails verfolgen lässt.
* Was sind einfache Schritte, um sich mit dem Haushalt nicht zu überlasten?
Manche Menschen weisen eine sehr hohe Schmutzresistenz auf, andere stürzt das kleinste Staubkorn in tiefe Selbstzweifel. Mitunter hilft es, sich zu fragen: "Für wen mache ich das eigentlich?" Diese Frage richtet sich nicht an Familienmitglieder, die in gatschigen Gummistiefeln nur schnell mal was aus dem Zimmer holen, sondern an die inneren Stimmen, die sagen: "Ich muss zeigen, dass ich alles im Griff habe!", "Was denken die anderen, wenns bei mir so ausschaut?" oder "Was bin ich nur für eine Mutter, wenn die Kinder nicht genug Gemüse bekommen?". Da kann man hinterfragen: Denke ich wirklich so? Oder ist mir das vielleicht so beigebracht worden? Jede von uns hat bestimmt schon die Erfahrung gemacht, dass anderen der Haushalt meist nicht annähernd so wichtig erscheint! Da lohnt es sich, sich was abzuschauen.
* Wie kann/soll ich Kinder und Partner einbinden, um daheim dem Hamsterrad zu entkommen?
Die Frage impliziert, dass es meine Aufgabe ist, in die ich meine Familie einweihe. Und impliziert damit auch, dass es mein Hamsterrad ist. Also wieder nachdenken: Fühle ich mich besser, wenn ich alles alleine geschafft habe, wenn ich gut delegiert und motiviert habe? Oder kann ich auch annehmen, wenn andere etwas auf ihre eigene Art tun?
* Sonderangebote, Rabatte, Schlussverkauf - tagtäglich werden wir zum Kauf verführt. Wie nehmen wir nur das, was wir brauchen?
Durch Vorbereitung, Planung und den Emotionstest "Wie empfindet man nach dem Kauf?", sich also vorzustellen, wie man sich mit dem neuen Paar Schuhe fühlen wird, wozu man sie trägt. Oft sieht man da schon, dass sie wahrscheinlich im Schrank landen, weil sie nicht so bequem sind. Das Wichtigste in jedem Fall: Ruhe. Denn je mehr wir unter Spannung stehen, desto impulsiver kaufen wir drauf los.
* Schon Kleinstkinder haben mittlerweile Freizeitstress: Sprachstunde, Kreativtraining, Sport - wie viel ist gesund?
Ich würde Eltern empfehlen, die eigene Motivation und die eigenen Wünsche von denen der Kinder zu unterscheiden und den Nachwuchs in seiner Individualität zu respektieren. Kinder neigen prinzipiell eher nicht dazu, sich zu stressen. Jeder, der die Kleinen schon mal morgens in den Kindergarten oder in die Schule bringen wollte, weiß das. Statt die Youngsters durch "für ihre Entwicklung notwendige Freizeitaktivitäten" zu jagen, wäre es manchmal besser und gesünder, sie zu beobachten und das zu machen, was sie tun - nicht umgekehrt. Wenn ein Kind unbedingt einen bestimmten Sport ausüben oder ein Instrument lernen möchte, ist es auch begeistert dabei.
* Der Gruppendruck in Schule und Freundeskreis ist oft groß: Markenzwang, Urlaubsstress - wie entzieht man sich diesem, ohne Außenseiter zu sein?
Durch konsequente Förderung der eigenen Persönlichkeit. Wenn man weiß, wer man ist, was Spaß macht und wo man sich am wohlsten fühlt, kann man das auch kommunizieren. Gruppendruck entsteht immer da, wo ganz viele gar nicht erst eine eigene Meinung haben wollen, sondern sich lieber dem Mainstream anschließen. Das kann für den einen oder anderen auch passen. Für andere aber sind die eigenen Interessen doch wichtiger als die Geborgenheit einer Gruppe. Für Dritte bringt es Bestätigung, sich in einer Gruppe aktiv einzubringen und auch gehört zu werden.
* Wir sind zwar ohnehin ständig auf Achse, glauben aber dennoch, Ausgleichssport wegen Mangel an Bewegung zu brauchen. Ist das nötig?
Manche machen Sport, weil sie finden, dass er ihrem Körper und ihrer Psyche guttut. Sie fühlen sich gesünder, kräftiger, ausgeglichener. Für andere, die sich ohnehin viel bewegen, ist Sport oft lediglich ein anstrengender und äußerst sinnloser Zeitfresser: Man weiß zwar, dass er getan werden soll, schafft es aber einfach nicht. Jeder Tag hat 24 Stunden, und jeder sollte ganz individuell für sich entscheiden, womit er die verbringen will!
* Freundschaften gehören gepflegt. Auch das kostet Zeit. Wie mach ichs, ohne von einem aufs nächste Fest zu hetzen?
Welches Ereignis oder welche Person "wichtig" ist, hängt von der eigenen Bewertung ab. Wann immer ich Klienten frage, welche Menschen das in ihrem Leben sind, ist die Anzahl selten zweistellig. Natürlich sollte man Freundschaften pflegen. Aber sich auch überlegen, wo man seine Zeit wirklich einbringen möchte.
Redaktion: Petra Mühr