Auswandern, Job kündigen: Was man dafür braucht? Eine ordentliche Portion Mut. Aber es muss gar nicht so ein großer Einschnitt sein, auch für unser ganz normales Leben brauchen wir einiges an Mumm. Tag für Tag. Um zu unserer Überzeugung zu stehen, andere in die Schranken zu weisen und um Dinge zu machen, von denen wir heimlich träumen. Und sei's nur, mal beim Karaoke mitzusingen. "Oft aber haben wir viel zu viel Angst anzuecken oder uns lächerlich zu machen", weiß Tanja Peters aus eigener Erfahrung. Die Autorin des Buches "Mutmuskeltraining" arbeitete als Einkäuferin in großen Unternehmen, bevor sie sich als Coachin selbstständig machte - mit der Überzeugung: Jeder kann couragierter werden. Denn den Mutigen gehört bekanntlich die Welt, während der Spielraum der Angsthasen mit der Zeit immer kleiner wird.
Ich muss jetzt also nicht zum Bungee Jumping, um Mut zu zeigen?
PETERS: Nein, es geht um den Alltagsmut. Darum, zu unserer Meinung zu stehen, zu sagen, was uns gefällt und was nicht, in der Beziehung genauso wie gegenüber unseren Vorgesetzten. Darum, sich Dinge zu trauen, die man schon lange gern machen würde. Wie etwa einen Vortrag zu halten oder vor anderen zu singen. Man sollte lernen, erst sich selber zu fragen, wie man etwas findet, bevor man überlegt, wie es die anderen beurteilen könnten. Ein mutiges Leben hat nichts mit Wagemut zu tun, sondern damit, selbstbestimmt zu leben. Neues auszuprobieren und auch mal zu scheitern. Die eigenen Grenzen zu erweitern und mehr Spielraum zu bekommen.
Wenn jetzt einer sagt: Da bleibe ich lieber ein Angsthase und erspare mir die Konflikte. Wie klingt das für Sie?
PETERS: Nach keiner guten Idee, denn auch in der Komfortzone zu bleiben, hat seinen Preis. Ein Hauptgrund für Burnout ist zum Beispiel, dass wir die eigenen Grenzen nicht kundtun: Jetzt wird 's zu viel. Dass wir nicht für unsere Bedürfnisse einstehen. Ich war mal selber auf der Schiene. Habe Konflikte vermieden, weil die Angst viel zu groß war, Menschen zu enttäuschen oder deren Liebe und Anerkennung zu verlieren. Auch die Anerkennung im Job war mir wichtiger als mein eigenes Gefühl von Überlastung.
Und dann?
PETERS: Zeigte mir mein Körper die Rote Karte. Ich habe immer schlechter geschlafen und bekam Hautausschläge. Und dann, im Dezember 2009, habe ich eine kahle Stelle an meinem Kopf entdeckt. Zehn Wochen später hatte ich 90 Prozent meiner Haare verloren. Ich litt an Alopecia Areata, einer Autoimmunkrankheit.
Inzwischen sind Ihre Haare ja zum Glück wieder gewachsen!
PETERS: Ja. Aber in der Zeit als Kahlkopf habe ich eines verstanden: Mut ist ein Muskel und lässt sich trainieren. Jeden Tag bewusst mit Glatze in die Bahn steigen, Kunden begegnen, Präsentationen abhalten, Kollegen treffen, das hat meinen Mutmuskel stark gemacht und auch mich als Mensch.
EINFACH MAL MACHEN, HEISST DIE DEVISE
Wie definieren Sie also Mut?
PETERS: Der Angst ins Gesicht zu schauen, ihr aber nicht zu folgen.
Und wie trainiert man am besten?
PETERS: Machen Sie sich eine Challenge-Liste und üben Sie Punkt für Punkt immer wieder. Da kann etwa draufstehen: alleine auf Partys gehen. Mich trauen, nein zu sagen. Wenn mir das Essen nicht geschmeckt hat, es dem Kellner auch kundzutun. Für Menschen und Freundschaften, die mich klein machen, nicht mehr zur Verfügung zu stehen. Sich in die Fußgängerzone stellen und free Hugs anbieten, den lustigen Hut aufsetzen usw. Die Aktion muss natürlich außerhalb Ihrer Komfortzone liegen. Das merkt man ganz leicht daran, dass einem bei der Vorstellung etwas unbehaglich wird.
In Ihrem Buch lassen Sie Menschen von ihren mutigsten Taten erzählen. Was berichten die denn so zum Beispiel?
PETERS: Maren, der es sehr schwer fiel, jemandem ehrlich zu sagen, wie es in ihr aussieht, gestand einem Mann ihre tiefen Gefühle, obwohl sie wusste, dass die beiden als Paar keine Chance hatten. Isabel traute sich trotz großer Schüchternheit öffentlich zu singen, und Julia, dreifache Mutter, entschied sich trotz vieler Zweifel fürs selbstständige Unternehmertum.
Hat sich der mutige Schritt für alle gelohnt?
PETERS: Ja, hat er. In meinen Coachings machen wir die Übung "Worst Case Szenario". Da schreiben wir in eine erste Rubrik, was das Schlimmste ist, das passieren kann. Wenn es etwa um das Halten eines Vortrags geht, könnte da stehen: Ich vergesse alles, was ich sagen möchte. In die zweite Spalte kommt: Wovor habe ich Angst? Etwa davor, dass mich alle auslachen und ich dann von meinen Kollegen gemieden werde. Die dritte Rubrik nennen wir Gegengift. Was können Sie vorbereiten, damit der Worst Case nicht eintritt? Sie üben zum Beispiel Ihre Rede vor Testpublikum, Sie nehmen Ihren Partner als moralische Stütze mit, Sie ziehen einen roten Faden aus der Tasche und scherzen mit dem Publikum: Manchmal verliert man eben den Faden Glauben Sie mir, man macht sich viele völlig unnötige Sorgen. Und andere sind meist viel weniger streng, als man selbst zu sich ist.
Warum ist man doch so abhängig von der Meinung der anderen?
PETERS: Wir sind als soziale Wesen angelegt, haben Angst, aus der Gemeinschaft rauszufallen. Das war in Urzeiten gleichbedeutend mit dem Tod. Deswegen sind wir oft so bemüht, es allen recht zu machen, und möchten, dass die Nachbarn gut über uns denken. Aber man kann's auch übertreiben!? PETERS: Genau. Um die eigenen Grenzen zu wahren, muss man auch mal nein sagen können. Dann werde ich vielleicht den einen oder anderen vor den Kopf stoßen, aber ich muss auch für mich gut sorgen. Zweitens: Wir glauben oft, wir kommen irgendwo rein, und alle denken etwas über uns. Zum Beispiel: Warum sitzt die allein im Lokal? Aber das ist gar nicht so. Die meisten Leute sind mit sich selbst beschäftigt und mit ihren Sorgen. Wenn wir erkennen, die Welt dreht sich gar nicht um uns, können wir entspannen!
Mutlos macht oft auch, wenn man sich mit anderen vergleicht ...
PETERS: Da hilft es, sich klarzumachen, dass es für das eigene Leben völlig irrelevant ist, ob die Nachbarin oder Heidi Klum schlanker und erfolgreicher ist oder mehr Geld hat. Das wird mich nicht zufriedener machen und nicht weiterbringen. Für mich zählt nur: Wo möchte ich mich hinbewegen, was sind meine Träume im Leben? Stellen Sie sich vor den Spiegel und fragen Sie sich: Hey, was willst du denn heute erleben? Der einzige Vergleich, der etwas bringt, ist der mit sich selber: Wow, gestern habe ich mich noch nicht auf die Bühne getraut, heute schon. Feiern Sie es, wenn Sie einen Schritt weiter gekommen sind.
ÄNGSTE SIND IN UNSEREN KÖPFEN UND BRAUCHEN DEN REALITÄTSCHECK
Besonders schwer fällt vielen dieser Schritt, wenn es um die Akzeptanz des eigenen Körpers geht ...
PETERS: Ich glaube, dass es viele Frauen sehr schwächt, wenn sie so beschäftigt sind mit diesen Themen - damit, perfekt zu sein, bevor sie losgehen -, dass da ganz viel Potenzial liegen bleibt. Erst mal noch ein paar Kilo abnehmen, bevor ich das oder das angehe. Ich selber bin auch alles andere als schlank und habe mich wirklich mal gefragt: Wird der Inhalt meiner Message auf der Bühne besser, wenn ich abnehme? Wird das, wofür ich da bin auf der Welt, klarer? Nein, wird 's nicht! Logo wäre es für meine Gesundheit besser, klar hätte ich gerne zwei Kleidergrößen weniger. Aber jeder hat ja auch unterschiedliche Anlagen. Das anzunehmen und trotzdem nach vorne zu gehen, mich sichtbar zu machen, mit hoch erhobenem Haupt, damit kann ich viel erreichen, das macht wirklich frei.
In Beziehungen kann ein bisschen mehr Courage ja auch nicht schaden, oder?
PETERS: Da braucht es den Mut, sich ohne Maske als Mensch zu zeigen, dem anderen Freiraum zu geben und sich selbst den gewünschten Freiraum zu nehmen. Über eigene Bedürfnisse zu sprechen und diese auch einzufordern und Unterschiedlichkeiten auszuhalten, damit jeder er selbst bleiben darf.
Und ohne eine große Portion Selbstwert geht auch hier nichts, wie Sie schreiben.
PETERS: So ist es. Ich habe selbst an mir gemerkt: Immer wenn ich mich richtig toll finde, dann stehe ich zu mir, gehe Risiken für mich ein, um gut für mich zu sorgen. Geht 's immer nur darum, den anderen zu gefallen, dann werde ich bestimmte Themen gar nicht ansprechen. Aber wenn ich finde, ich hab das echt verdient, dass es mir gut geht, dass ich eine schöne Beziehung habe, dass ich gut bezahlt werde für meinen Job, dann sage ich auch: Stopp, Moment mal. Das ist so nicht in Ordnung.
Schön wär's, wenn man Selbstwert schnell mal tanken könnte ...
PETERS: Es gibt tatsächlich eine Übung, die schnell hilft: Powerposing. Stellen Sie sich 60 Sekunden in der Siegerpose hin. Die Beine hüftbreit, Arme gegen den Himmel strecken, als hätten Sie etwas Großartiges geleistet -und immer stolz lächeln. Damit werden Sie nachweislich selbstbewusster.
Ein paar Trainingsvorschläge:
Sprich eine fremde Person an, und mach ihr ein Kompliment. Lächle alle Menschen an, die dir heute begegnen. Biete einem fremden Menschen deine Hilfe an, etwa die Tasche zu tragen. Oder bitte einen fremden Menschen, dir bei etwas zu helfen. Gehe allein ins Kino, Theater, Musical, einen Club. Buche ein Seminar zu einem Thema, das dich herausfordert, und geh auch hin. Shoppe Schuhe oder Klamotten, und verhandle an der Kassa einen besseren Preis aus. Lass nicht locker, bevor du einen Rabatt oder ein kleines Goodie bekommen hast.
Höheres Selbstwert-Level: Auf mutmuskeltraining.de kannst du dir ergänzend zum Buch tolle Dinge runterladen: eine Selbstliebe-Übung, eine Selbstliebe-Meditation und einen Mutmuskel-Trainingsplan.
Tiefersitzende Ängste: Es gibt Ängste, wie die Furcht vor Spinnen oder Flugangst, da kommt man mit "Mut" nicht weiter, braucht professionelle Hilfe. Tanja Peters empfiehlt hier die sogenannte "Wingwave"-Methode. Im Internet finden sich unter dem Stichwort diverse Coaches.
Alles halb so schlimm! Eine besondere Hürde ist die Angst vor Zurückweisung. Du möchtest den coolen Typen ansprechen, traust dich aber nicht. Überleg mal: Was passiert schon Schlimmes, selbst wenn man zurückgewiesen wird? Nichts. Du kannst aber echt stolz darauf sein, dass du dich getraut hast.
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