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Bundespräsident Alexander van der Bellen im frauenpolitischen Interview

Am 9. Oktober wählten die Österreicher:innen ihr neues/altes Staatsoberhaupt. Sieben Männer bewarben sich um das Amt des Bundespräsidenten. WOMAN wollte vorab von den Kandidaten wissen: Wie halten sie es mit der Gleichberechtigung? Wie singen sie die Bundeshymne? Und was tun gegen die großen Ungerechtigkeiten?

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Portrait des amtierenden Bundespräsidenten
© Lukas Dürnegger

Im turbulenten Wahljahr 2017 setzte sich der gebürtige Wiener gegen Norbert Hofer (FPÖ) durch. Der im Tiroler Kaunertal aufgewachsene Wirtschaftswissenschafter war Nationalratsabgeordneter, Bundessprecher und Klubobmann der Grünen. Zur neuerlichen Kandidatur fühlt sich der 78-Jährige verpflichtet.

Ganz ehrlich, wäre es nicht mal Zeit für eine Bundespräsidentin?
Ja!

Wie gleichberechtigt leben Sie Ihren Alltag mit Ihre(r)(m) Partner:in?
Meine Frau und ich sind ein Team. Wir unterstützen uns gegenseitig bei allem, was wir tun und schauen aufeinander.

Welche lebende Frau außerhalb Ihrer Familie beeindruckt Sie besonders und warum?
Beeindruckende Frauen gab es in der Geschichte immer wieder und mir würden an dieser Stelle einige einfallen. Schön ist aber, dass es heutzutage immer mehr Frauen - auch die jungen - schaffen, sich mit ihren Leistungen und Anliegen Anerkennung oder Gehör zu verschaffen und dadurch etwas verändern können. Sie werden lauter und das ist gut so. Ich denke da zum Beispiel an Greta Thunberg oder Malala Yousafzai.

Singen Sie die Bundeshymne immer auch mit "großen Töchtern"?
Selbstverständlich.

Gendern Sie?
Ja, inzwischen ist es auch zur Gewohnheit geworden.

Was bedeutet für Sie Feminismus?
Feminismus ist in meinen Augen der Einsatz für gleiche Lebenschancen, Gerechtigkeit und Solidarität. Es geht nicht um Verbote, sondern ganz im Gegenteil um Möglichkeiten.

Sind Sie Feminist?
Ja. So wie es jede Person sein sollte, die sich für gleiche Lebenschancen, Gerechtigkeit und Solidarität einsetzt.

Wie können Frauen Kinder und Karriere besser vereinen?
Die Frage lautet nicht: Was können Frauen tun, um Kinder und Karriere besser zu vereinen? Sondern: Was können wir als Gesellschaft tun, um unbezahlte Arbeit endlich gerecht aufzuteilen? Es muss in die Köpfe, dass Betreuung und Erziehung nicht Sache von Frauen, sondern von Eltern ist. Das ist der gesellschaftliche Wandel, den es unbedingt braucht. Aber natürlich müsste gleichzeitig an Schrauben wie der Kinderbetreuung gedreht werden.

Als Bundespräsident ernennen Sie die Minister:innen. Was macht für Sie eine gute Frauenministerin aus?
Frauenpolitik ist eine absolute Querschnittsmaterie. Eine Frauenministerin muss also dafür sorgen, sich dafür einsetzen, dass dieser wichtige Blickwinkel in jedes Regierungsvorhaben, jede Reform, jede Umsetzung Eingang findet.

Würden Sie auch einen Mann als Frauenminister angeloben?
Wichtig für jedes Amt ist, welche Vorstellungen und Ideen die jeweilige Person mitbringt, die mit dieser Aufgabe betraut werden soll. Trotzdem fände ich es einfach aufgrund der Symbolik eigenartig, einen Mann als Frauenminister zu bestellen.

In den USA hat das Supreme Court das Grundrecht auf einen Schwangerschaftsabbruch gekippt. Sehen Sie bei der Fristenlösung in Österreich Änderungsbedarf?
Was in den USA passiert ist, ist ein enormer Rückschritt. Ich bedaure diese Entwicklung sehr. In Österreich müssen wir darauf achten, dass an bereits erkämpften Rechten von Frauen keinesfalls gerüttelt wird – nicht einen Millimeter.

Welche Maßnahmen fordern Sie gegen Femizide?
Jeder einzelne Frauenmord ist einer zu viel. Expert:innen und Opferschutzorganisationen fordern hier immer wieder eine bessere Vernetzung der relevanten Stellen. Und vor allem auch eine signifikante Erhöhung der Mittel für den Gewaltschutz. Wichtig sind aber auch andere Punkte: Etwa die finanzielle Unabhängigkeit von Frauen. Oder was Buben und jungen Männern vermittelt wird. Denn der Kern struktureller Gewalt liegt in dem Glauben, Frauen seien weniger wert als Männer. Hier müssen wir früh ansetzen.

Frauen sind von Altersarmut besonders betroffen – was dagegen tun?
Hier sind wir wieder bei der gerechten Verteilung von unbezahlter Arbeit. Zahlreiche Frauen arbeiten nach wie vor Teilzeit, unter anderem weil die Verantwortung für die Erziehung der Kinder, die Pflege der Eltern oder ähnliche Aufgaben mehrheitlich bei ihnen liegen. Mit der Konsequenz, dass die Gender Pay Gap noch weiter aufgeht und im Alter zur Gender Pension Gap wird. Hier spielen auch unzureichende Kinderbetreuungsmöglichkeiten eine große Rolle.

In puncto Gender-Pay-Gap zählt Österreich EU-weit zu den negativen Spitzenreitern. Was muss passieren?
Eine von mehreren Schrauben an denen gedreht werden müsste, wäre sicherlich Lohntransparenz. Und in weiblich dominierten Branchen wird immer noch signifikant schlechter bezahlt als in männlich dominierten Branchen. Auch hier müsste dringend ansetzen.