In einem Instagram-Live-Chat sprach Alexandria Ocasio-Cortez, mit 31 Jahren die jüngste Abgeordnete im US-Kongress, jetzt zum ersten Mal offen darüber, was sich am 6. Jänner, dem Tag der Kapitol-Stürmung, im Gebäude selbst passiert ist. Sie wisse, dass sie mit ihrem Augenzeugenbericht spät dran sei, aber es sei sehr schwer für sie, über diese Ereignisse zu sprechen, sagt Ocasio-Cortez im Video. Es habe mit ihrer ganz persönlichen Biographie zu tun: "Ich bin eine Überlebende von sexueller Gewalt. Und Traumata können sich gegenseitig verstärken und wieder aufleben lassen." Doch nun sei es Zeit, darüber zu reden, beginnt die Politikerin ihre Geschichte.
Ihr Tag habe mit der zweiten COVID-19-Impfdosis begonnen, die der Politikerin im Kapitol verabreicht wurde. Als sie zur Mittagszeit über Lunch-Optionen grübelte, nahm sie ein lautes Hämmern wahr. "Bang, Bang, Bang – es hörte sich an, als würde jemand alle Türen einbrechen wollen", beschreibt sie die furchtbare Situation. Ein Mitarbeiter habe ihr geraten, sie solle sich schnell verstecken. Ocasio-Cortez wählte ihr WC, doch da es ihr nicht sicher genug vorkam, wollte sie es wieder verlassen: "Plötzlich höre ich, wie ein Mann in mein Büro stürmt und ruft: 'Wo ist sie?' Mein Herz blieb stehen und ich hielt den Atem an. Das war der Moment, indem ich dachte: 'Jetzt ist alles vorbei'. Ich dachte wirklich, dass ich sterbe."
Durch einen Türspalt habe sie einen Mann mit schwarzer Mütze beobachten können, der sich in ihrem Büro umschaute. Mit angehaltenem Atem habe sie gewartet, was als nächstes passieren würde. Da rief sie ein Kollege plötzlich dazu auf, aus ihrem Versteck zu kommen. "Es stellte sich heraus, dass der Mann in meinem Büro ein Kapitol-Polizist war," so Ocasio-Cortez. Bis jetzt ist sich der Polit-Star nicht sicher, ob dieser sie schützen oder angreifen wollte.
Die Abgeordnete und ihr Mitarbeiter mussten in einen anderen Teil des Gebäudes flüchten, wo sie sich im Büro der Abgeordneten Katie Porter verbarrikadiert. Fünf Stunden später sei sie gemeinsam mit KollegInnen endlich aus dem Kapitol evakuiert worden. "Es war eine intensive Erfahrung, die ich noch nicht ganz verarbeitet habe", so die Politikerin.
Rebublikaner forderten Cortez auf, sich zu entschuldigen
Nach den traumatischen Ereignissen hatte Ocasio-Cortez den texanischen Senator Ted Cruz in einem Tweet dafür verantwortlich gemacht, dass sie im Kapitol "fast umgekommen" sei. Daraufhin riefen Cruz und Republikaner Chip Roy sie öffentlich zu einer Entschuldigung auf. In einem Brief an Nancy Pelosi, Sprecherin des Repräsentantenhauses, bezeichnete Roy den Vorwurf als "skurril" und warnte: "Wenn sich Vertreterin Alexandria Ocasio-Cortez nicht sofort entschuldigt, werden wir gezwungen sein, diese bedauerliche Aussage auf andere Art zu verurteilen."
Doch der Versuch, die jüngste Abgeordnete mundtot zu machen, befeuerte sie nur noch mehr. Rufe, den 6. Jänner endlich "hinter sich zu lassen", findet die Politikerin nicht nur unfair, sondern zieht direkte Parallelen zu ihrer persönlichen Erfahrung mit Missbrauch: "Diese Leute, die uns sagen, dass wir weitermachen sollen, dass es keine große Sache ist, dass wir vergessen sollten, was passiert ist, oder dass wir uns sogar entschuldigen sollen – verwenden die gleichen Taktiken wie Missbraucher."
Schon Tage zuvor kippte die Stimmung
Ocasio-Cortez ärgert sich auch, dass das Narrativ ihrer Meinung nach von den Republikanern verfälscht wurde: Die Stürmung sei ein unerwarteter Zwischenfall gewesen. Doch laut dem Bericht von Alexandria Ocasio-Cortez habe sich die Situation schon zwei Tage zuvor zugespitzt. So sei sie etwa schon am Montag von einer Gruppe Trump-Supportern vor dem Kapitol belagert worden, die sie aber noch mit freundlichen Worten abschütteln konnte. Als am Dienstag dann immer mehr Trump-Fans auftauchten, hätten sich einige Abgeordnete bei dem Chef der Kapitol-Polizei nach einem Sicherheitsplan für Mittwoch, den Tag der formalen Bestätigung des Ergebnisses der Präsidentschaftswahl, erkundigt. Laut Ocasio-Cortez, sei die Antwort recht unbefriedigend gewesen: "Die führenden Beamten sagten nur: 'Macht euch keine Sorgen, wir haben einen Plan. Aber den dürfen wir nicht verraten, damit er nicht nach außen dringen kann.'"