"Dass ich keinen Hunger habe, ist Schnee von gestern. Ich esse wieder regelmäßig und hab auch zugenommen“, freut sich Barbara Prammer, als wir sie zum Interview in ihrem Parlamentsbüro treffen. Seit die 60-Jährige im vergangenen September an die Öffentlichkeit trat und sagte "Ich habe Krebs“, steht sie unter Beobachtung. Zumindest hat sie selbst diesen Eindruck: "Man sieht mich ja ständig. Wenn ich drei Kilo weniger habe, schau ich natürlich sofort wieder anders aus. Es ist einfach so. Man kann das ohnehin nicht verheimlichen.“ Klar und deutlich sagen, was Sache ist, das wollte die Nationalratspräsidentin bereits kurz nach der Schockdiagnose. "Ich könnte mir nicht vorstellen, ständig unter Leuten zu sein und da irgendwas zu erzählen, wo doch nur alle hinterrücks fragen würden:, Wie schaut die Prammer aus?'. Ich wollte keine Vermutungen, sondern Klarheit.“
Dass es die für den Verlauf ihrer Krankheit nicht gibt, musste Barbara Prammer aber erst akzeptieren lernen. "Geduld ist nicht so meine Stärke“, sagt sie und knetet ihre Hände. Die machen der SP-Politikerin derzeit Probleme, genauso wie die Füße. "Ich habe dort so ein Taubheitsgefühl. Das sind die Nebenwirkungen der Therapie. Aber das wird sich legen.“ Warum die Krankheit ihr Leben in mancherlei Hinsicht aber sogar positiv verändert hat, weshalb sie keinen Mann an ihrer Seite braucht und warum ihre Kinder (Bertram, 40, & Julia, 33) im Vergleich zu ihr das Halbe-halbe-Prinzip leben, erzählt Barbara Prammer im Gespräch mit uns …
WOMAN: Frau Prammer, zuerst die wichtigste Frage: Wie geht es Ihnen?
Prammer: Sie sehen es ja, mir geht es grundsätzlich gut, danke. Ich bin nach wie vor in Therapie, habe natürlich Nebenwirkungen, aber ich habe großes Glück, dass das alles etwas ist, das man verkraften kann. Und mir wird nicht schlecht, das schätze ich sehr.
WOMAN: Lässt sich schon sagen, wie lange die Behandlung noch dauern wird?
Prammer: Nein, wir denken immer in Monatsabschnitten. Es entwickelt sich gut, die Perspektiven sind keine schlechten, aber ich bin halt nicht am Ende des Ganzen. Jetzt muss man Geduld aufbringen. Derzeit bin ich ein Mal wöchentlich im Wiener AKH zur Chemotherapie.
WOMAN: Greifen Sie auch auf alternative Heilmethoden zurück?
Prammer: Zumindest nehme ich Vitamine und etwas, das mir aus der chinesischen Medizin gemischt wurde.
WOMAN: Gibt es seit der Diagnose etwas, das Sie nicht mehr machen können?
Prammer: Das eine Ding gibt es nicht. Ich mache einfach weniger Termine, nehme mir mehr Freiraum. Das habe ich aber erst lernen müssen, und bin so draufgekommen, dass das gar nicht so schwierig ist und auch nicht krummgenommen wird. Also denke ich mir öfter: Schade, dass ich das nicht schon viel früher gewusst habe.
WOMAN: Heißt das, die Mails bleiben auch mal übers Wochenende ungelesen?
Prammer: Ja, das geht ganz gut, weil viele Menschen die Fünftagewoche haben, wenn sie Mails schicken. Am Freitagnachmittag werden sie weniger, und wenn sie bis Montag liegen bleiben, ist das keine Tragik. Also mache ich das auch so. Das Telefon ist aber immer an.
WOMAN: Viel Unterstützung bekommen Sie von Ihrer Familie. Kinder und Geschwister begleiten Sie zur Therapie, sind für Sie da. Wer oder was bestärkt Sie, wenn Sie mit sich alleine sind?
Prammer: Das ist das Schwierigste. Alleinsein war früher Lebensqualität. Wenn man ständig unter vielen Leuten ist, dann ist es gut, wenn mal niemand da ist. Jetzt aber schaltet sich dann der Kopf ein, und ich beginne zu grübeln. Abends geht’s, am Wochenende verbringe ich die Zeit nicht mehr so gern allein. Ich lade wen ein oder fahre zu jemandem aus meiner Familie.
WOMAN: Woraus schöpfen Sie eigentlich Ihre Kraft? Ich habe gelesen, Sie glauben an eine gewisse Spiritualität …
Prammer: Ja, das stimmt. Ich weiß, dass ich eine Krankheit habe, die sehr negativ ausgehen kann. Aber ich fühle mich nicht so, als würde das in nächster Zeit so kommen. Und jetzt habe ich sowieso den schönsten Anhaltspunkt, weil ich Großmutter werde. Das ist für mich ein unglaublicher Motivationsschub. Es ist das erste Enkelkind, und ich kann’s kaum mehr erwarten, dass es endlich zur Welt kommt.
WOMAN: Wird’s ein Mädel oder ein Bub?
Prammer: Ein Mädchen. Am 3. Juni ist Geburtstermin.
WOMAN: Sie sagen, das Sterben macht Ihnen nicht Angst. Aber vielleicht die Tatsache, noch nicht alles erlebt zu haben, was Sie erleben wollten?
Prammer: Nein, ich habe mich immer bemüht im Leben. Es wäre ja schlimm, wenn man die Ziele so niedrig setzt, dass man sie zu 100 Prozent erreichen kann. Eigentlich wünsch ich mir nur noch viel Zeit. Ausreichend Zeit, auch Großmutter sein zu können.
WOMAN: Wie wird das Oma-Dasein Ihr Leben verändern?
Prammer: Ich habe bei mir bereits ein Kinderzimmer eingerichtet und hoffe, dass mein Enkerl öfter da sein wird. Aber ich weiß, dass es viel wichtiger ist, dass ich mir Zeit nehme, um zu ihr nach Salzburg zu fahren. Jetzt kommt eh der Sommer, das passt ganz gut. Da werde ich die Festspiele besuchen und in der vielen übrigen Zeit babysitten.
WOMAN: Wenn Töchter Kinder bekommen, besprechen sie gerne vieles mit ihrer Mutter. Erleben Sie das jetzt auch so?
Prammer: Ja, obwohl ich gar nicht so mitreden will. Immerhin ist meine Tochter 33, da hat sich in der Zwischenzeit die Welt verändert, und sie könnte mir viel mehr erklären als ich ihr. Ich weiß, dass ich jetzt die Oma-Pflichten insofern erfüllen muss, als dass ich den Kinderwagen, den Autositz und alles, was man da halt noch so braucht, kaufe. Darauf habe ich Wert gelegt, und es hatte niemand etwas dagegen einzuwenden.
WOMAN: Welche Werte haben Sie Ihren Kindern mit auf den Weg gegeben?
Prammer: Die haben vieles mitgekriegt von meinem Einsatz als Frauenpolitikerin … Beide leben in Partnerschaften, sind unverheiratet und teilen sich den Haushalt mit ihrem Partner auf. Ich bin schon neugierig, wie es Julia gehen wird, sobald das Kind da ist. Da schaut die Welt ja dann anders aus. Ihr Partner jedenfalls will in Väterkarenz gehen, und das ist schon mal gut.
WOMAN: Sie selbst haben vor Jahren in einem Interview mit uns erzählt, Halbe-halbe privat nie geschafft zu haben. Hat Sie das nachhaltig enttäuscht?
Prammer: Ich habe mir nach der Trennung von meinem Mann gedacht: So ist das Leben, ich weiß wenigstens, wovon ich rede. Dass Halbe-halbe nicht geklappt hat, war nervig. Oft habe ich mir überlegt: Will ich jetzt wieder streiten deswegen? Steht das dafür? Das sind genau die Fragen, die sich Frauen stellen und lieber alles selber machen, bevor sie lange herumreden.
WOMAN: Wer hat Sie dann unterstützt, etwa als Ihre Kinder klein waren?
Prammer: Untertags hat meine Mutter meinen Sohn betreut. Ich war ja erst 19, gerade mit der Schule fertig und Alleinerzieherin. Dann lernte ich meinen Mann kennen. Als meine Tochter während des Studiums kam, haben mir Freundinnen oder die Schwiegermutter stundenweise die Kleinen abgenommen. Jedenfalls konnten mich meine Kinder später immer erreichen.
WOMAN: 1991 sind Sie in die oberösterreichische Landespolitik eingestiegen und schnell zur Vizepräsidentin avanciert. Wie war das mit den Kids zu handeln?
Prammer: Da ist die Herausforderung erst so richtig losgegangen. Von da an war es wichtig, dass man sich das organisiert und fixe Familientermine hat. Übrigens glaube ich nicht, dass mir meine Kinder das übel nehmen, sonst hätte ich nicht so ein gutes Einvernehmen mit ihnen. Sie mussten halt schneller selbstständig werden, und man musste sich auf sie verlassen können. Das hat geklappt. Was ich für ein Glück mit meinen Kindern hab … Na ja, vielleicht ist es doch nicht nur Glück, sondern hat auch ein bissl damit zu tun, wie man miteinander umgeht.
WOMAN: Im Umgang miteinander haben Sie in Ihrer Politkarriere viel erlebt, wurden anfangs verächtlich "Rehlein“ genannt. Wenn Sie die Neunziger mit heute vergleichen: Hat sich was gebessert?
Prammer: Ja, vieles. Im Jahr 2000, als ich nicht mehr Ministerin, sondern Abgeordnete war, hat es im Plenum immer einen Zirkus gegeben mit der Frauenfeindlichkeit. Da sind nicht nur Sprüche geklopft worden, es war auch das Verhalten dementsprechend. Wenn eine Frau geredet hat, ist es lauter geworden, manche Männer sind auch demonstrativ aus dem Sitzungssaal gegangen. Das würde sich heute kaum mehr jemand trauen. Ich will nicht behaupten, dass alles weg ist, aber aus meiner Perspektive hat sich schon grundlegend etwas gebessert.
WOMAN: Der Frauenanteil im Parlament aber liegt noch immer im Argen. Derzeit sind knapp unter 32 Prozent der Abgeordneten weiblich. Ist da Ihr Wunsch "Männer müssen Platz machen“ aus einem WOMAN-Interview im Jahr 2004 auch zehn Jahre später nur utopisch?
Prammer: Immerhin ist der Anteil wieder leicht gestiegen nach der letzten Wahl. Es ist eine Tatsache: Jede Frau mehr heißt ein Mann weniger. Die Mandate im Parlament sind nicht vermehrbar. Daher gibt es einen harten Kampf in den Parteien, auch in meiner eigenen. Früher hat man diese Probleme gelöst, indem man einfach in den Gremien aufgestockt hat. Die sind gewachsen, um den Frauen Platz zu machen. Jetzt gibt es in Europa zunehmend Verfassungen, die im Wahlrecht selbst Quoten vorsehen. Das wird man sich näher ansehen müssen.
WOMAN: Für die Quote kämpfen Sie auch im Arbeitsleben. Was muss noch endlich passieren in Sachen Gleichberechtigung?
Prammer: Das Schließen der Gehaltsschere. Wir kennen in Österreich die Hauptursache dafür: Das ist die Teilzeit. Es fehlen die Kinderbetreuungseinrichtungen! Und genau das staubt bei den Ohren heraus nach so langer Zeit. Ich sage immer: "Ich kann das nicht mehr hören, das gibt’s doch alles gar nicht!“
WOMAN: Es gibt es aber doch …
Prammer: Ja, es liegt an der Ignoranz, am nicht Loslassen von traditionellen Rollen- und Familienbildern. Und ich glaube auch, dass ein Teil der Politiker hinter dem nachhinkt, was sich die Menschen wünschen.
WOMAN: Ist das nicht frustrierend, dass so wenig weitergeht?
Prammer: Natürlich ist es nicht erbauend. Aber umgekehrt denke ich mir, man muss manchmal zurückschauen und sich sagen, dass wir doch einiges erledigt haben. Sonst würde man ja nur im Frust leben. Das Allerschwierigste aber ist, in die Köpfe der Menschen zu kommen. Die wirkliche Gleichberechtigung muss dort stattfinden. Da braucht es gesetzliche Rahmenbedingungen, aber auch Vorbilder und einen langen Atem der Betroffenen.
WOMAN: Wie lange ist Ihrer noch auf dem Politparkett? Haben Sie schon über die Pension nachgedacht?
Prammer: Das wird auch kommen. Mit 65 könnte ich gehen.
WOMAN: Um dann in Oberösterreich den Ruhestand zu genießen?
Prammer: Da bin ich eine hin und her Gerissene. Es gibt Linz, Wien und das Haus meiner Eltern am Land in Oberösterreich. Ob ich aber dort nach so langer Zeit in der Stadt leben möchte, weiß ich nicht.
WOMAN: Gibt es eigentlich einen neuen Mann in Ihrem Leben?
Prammer: Nein, und das ist okay.
WOMAN: Waren Sie denn mal auf der Suche in den vergangenen Jahren? Vielleicht auch auf einer Online-Singlebörse?
Prammer: (Lacht) Um Gottes willen! Ich verschwende da keine Gedanken dran, bin eh ausgelastet genug. In meinem Alter sucht man wahrscheinlich am ehesten einen Partner, wenn man sich sehr alleine fühlt. Das tu ich nicht, weil ich meine Familie habe. Und dafür bin ich dankbar.
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