Wenn Paare nur noch streiten und sich nicht vom Fleck bewegen, kommt irgendwann die Frage auf: Sollten wir uns lieber trennen? WOMAN hat mit der erfolgreichen Wiener Psychologin und Therapeutin Susanne Pointner über das selbstgezimmerte Gefängnis namens "Beziehungskrise" gesprochen. In Ihrem neuen Buch "Adama, wo bist du? Eva, was tust du?" erklärt sie anhand von Beispielen aus Märchen und Mythen, Literatur und Filmen, wie man aus dem Teufelskreis ausbricht.
WOMAN: Was sind die häufigsten Gründe für Beziehungskrisen?
Susanne Pointner: Es gibt meist Belastungen, Lebensveränderungen, die der Krise vorausgehen. Geburt oder Ablösung der Kinder, längere berufliche Anspannung, Krankheit. Wenn das Paar dann unterversorgt ist, etwa weil Hilfe von außen fehlt oder weil die Partner starke innere Kindheitsverletzungen mitbringen, dann verliert es in solchen Zeiten leicht die Dialogbereitschaft. Jeder kämpft für sich ums Überleben. Irgendwann verwechselt man den Partner mit den feindseligen Umständen, und entzieht sich oder attackiert einander noch mehr – es beginnt ein Teufelskreis.

WOMAN: Gehen Frauen und Männer unterschiedlich mit Beziehungskrisen um?
Susanne Pointner: Die Geschlechterstereotype sind immer weniger anwendbar. Auch Männer gehen heute oft die Auseinandersetzung sehr aktiv an und suchen das Gespräch. Frauen flüchten sich heutzutage nicht selten in die Arbeit oder auch in eine Affäre. Dennoch, es ist immer noch die Mehrheit der Frauen, die den ersten Schritt zur Paartherapie macht. Männer fürchten oft die Einmischung oder Belehrung einer weiteren (meist weiblichen) Person – nicht zu unrecht.
WOMAN: Was wollen Sie mit dem Titel Ihres Buches „Adam, wo bist du? Eva, was tust du?“ ausdrücken?
Susanne Pointner: In den alten Schriften ist viel bilderreiche Weisheit enthalten. Die Aussprüche „Adam, wo bist du?“ und „Eva, was hast du getan?“ sind Zitate aus der Bibel. Es ist eine Anspielung auf die zeitlosen Fragen: „Wohin bist du verschwunden, warum erreiche ich dich nicht mehr? Warum ergreifst du nicht die Initiative, warum muss ich das immer tun? Und auf der anderen Seite: „Warum benimmst du dich so unverständlich und kränkend, nur weil ich mich kurz zurückziehe?“. Wenn wir uns bewusst machen, dass diese Themen zum Beziehungsalltag dazugehören, können wir uns vielleicht entspannter und kreativer damit auseinandersetzen.
WOMAN: Würden Sie sagen, dass Trennungen heutzutage einfacher als vor 20 Jahren sind?
Susanne Pointner: Ja und Nein. Sie sind sozial weniger angefeindet und finanziell machbarer, obwohl immer noch belastend. Es gibt mehr Vielfalt im Weg und im Ergebnis – das eröffnet Freiheit, bietet aber auch viel weniger Klarheit. Man erwartet besonders von Paaren mit Kindern, dass sie eine gute Patchworklösung finden. Das ist eine große Herausforderung, weil alte Verletzungen und Konflikte sich mit der Trennung nicht in Luft auflösen, sondern weiter wirksam sind im Gespräch. Jede würdige Trennung ist eine Meisterleistung aller Beteiligten.
WOMAN: Wir wollen frei sein, sehnen uns aber dennoch nach einer Partnerschaft. Kann man nicht einfach beides haben?
Susanne Pointner: Wir brauchen beides – Autonomie und Verbindung. Der Wiener Psychiater Viktor Frankl unterschied die Freiheit von etwas von der Freiheit zu etwas. Wenn wir Freiheit von Bindung und Verantwortung anstreben, wird das auf Dauer mit einer erfüllten Partnerschaft nicht gut vereinbar sein können. Wir Menschen brauchen nun mal auch eine gewisse Stabilität und Vertrautheit, um uns wirklich öffnen zu können. Aber wir brauchen auch das Gefühl, dass unsere Liebe nicht selbstverständlich ist und dass wir sie nicht auf Knopfdruck abliefern müssen – in Form von Blumen, Gesprächen oder Sex. Am schönsten ist doch der Moment, wo wir so sehr den anderen umarmen wollen, dass es schon fast ein Müssen ist – aber wir erleben es als zutiefst frei und stimmig, weil der/die andere uns einlädt und gleichzeitig freigibt.
WOMAN: Jung, schön, erfolgreich und trotzdem Single. Sind wir zu anspruchsvoll geworden?
Susanne Pointner: Gegen den Singlestatus ist nichts einzuwenden, im Gegenteil, das kann eine sehr fruchtbare Lebensphase oder Lebensentscheidung sein, die viele Möglichkeiten eröffnet. Wenn es sich um eine unfreiwillige Einsamkeit handelt, kann es hilfreich sein, sich die eigenen Ansprüche oder die der Umgebung bewusst zu machen, und sie zu überdenken. Wir haben oft unbewusst romantische Vorstellungen vom idealen Partner, der uns die Erfüllung und das innere Wachstum, nach dem wir uns sehnen, ermöglichen soll. Wirklich entwicklungsfördernd wird eine Beziehung erst, nachdem die Schmetterlinge abklingen. In „Casablanca“ bleibt Ilsa nicht umsonst letztlich bei ihrem Ehemann László, den sie schätzt und dem sie verbunden ist, und nicht beim leidenschaftlich geliebten Rick.

WOMAN: Welche Rolle spielen Bindungsängste für eine langanhaltende Beziehung wirklich?
Susanne Pointner: Auch da gibt es oft viel Ambivalenz. Die Angst vor Zurückweisung und auch vor Umklammerung sind Schwestern der Vertrautheit und der Sehnsucht. Meinen Mann nach zwanzig Ehejahren anzupfauchen, anstatt meine dahinterliegende Traurigkeit oder Furcht zuzulassen, ist auch eine Facette der Bindungsangst. Wenn er sich lieber dem PC zuwendet, als meinen Urlaubsplänen, ist das seine Variante davon. Wir brauchen diese Schutzmuster – wichtig ist, darin nicht zu erstarren, sondern immer wieder neu die Nähe zueinander zu entdecken.
WOMAN: Sie sprechen in Ihrem Buch auch Beziehungssucht an. Was genau ist das?
Susanne Pointner: Wenn Bert sich ums Auto kümmert, und Anna um die Kontakte zu den Freunden, fein. Wenn Anna aber ängstlich vermeidet, in die Werkstatt zu fahren – vielleicht weil ihr Vater sie als „technisch unbegabt“ bezeichnet hat, unterwandert es ihr Selbstvertrauen, und verstärkt den Druck auf Bert, der immer widerwilliger den Helden spielen wird. Auf der anderen Seite manövriert er sich ins Abseits, wenn er nie ans Telefon geht – und nimmt den Besuch bei Freunden immer widerwilliger auf sich. Meist sind diese äußeren Abhängigkeiten Ausdruck von innerer Bedürftigkeit, die ich auf den anderen richte – nicht als Sehnsucht oder Bitte, sondern als Anspruchshaltung und Forderung: „Gib mir was ich brauche, damit ich mich besser fühle.“ Je mehr sich der/die andere dann verweigert, desto intensiver verlange ich danach.
WOMAN: Würden Sie sagen, dass eine dauerhaft glückliche Partnerschaft ständige Arbeit bedeutet? Oder ist es mit dem/der Richtigen ganz einfach?
Susanne Pointner: Ich empfinde eine Beziehung nicht als Arbeit, denn häufig fällt es schwer zu "zu lassen" als "zu tun", was aber in langjährigen Beziehungen einfacher wird. Es geht mehr um Achtsamkeit – den Liebsten/die Liebste im Auge und Herzen zu behalten, die laufenden Veränderungen anzustimmen, die Alarmglocken ernst zu nehmen. Der kleine Prinz empfindet nach der Begegnung mit dem Fuchs das Pflegen der Rose nicht mehr als Mühe, sondern als Aufgabe, die ihm Sinn gibt.

WOMAN: Wann macht es Sinn weiter an der Beziehung zu arbeiten, wann ist die Trennung besser?
Susanne Pointner: Das ist allgemein schwer zu beantworten. Wenn ich über längere Zeit spüre, dass es keine Entwicklung mehr gibt, dass die Lebendigkeit trotz versuchter Veränderung weniger wird, wäre es gut, über Trennung nachzudenken. Trennung heißt allerdings nicht, dass an der Beziehung nicht mehr gearbeitet werden muss oder kann – der Prozess ist oft ein langer Weg.
Schwierig wird es, wenn einer bleiben und einer gehen will, oder wenn beide zusammenbleiben wollen, aber sich gegenseitig nur noch weh tun. Da ist es Zeit, in einen Dialog zu gehen, der heißt: "Wenn ich mich von dir trenne, würde das bedeuten..." Das kann für ein Paar entweder entlastend sein oder der Schmerz wird so groß, dass es sich freiwillig trennt. Eine andere Grenze ist, wenn es massive Gewalthandlungen gibt, die nicht aufhören.
WOMAN: Was halten Sie von Beziehungspausen?
Susanne Pointner: Manchmal ist es hilfreich, sich mehr auf sich selbst zu besinnen, sich zu versorgen und die eigenen Muster zu überdenken. Was immer nötig ist, um diesen inneren Raum zu schaffen, macht Sinn. Es ist einfacher, wenn es so abgestimmt ist, dass der andere nicht mehr darunter leidet als unbedingt nötig: „Ich brauche Zeit für mich, wie können und wollen wir trotzdem in Verbindung bleiben und wie kann ich dir das Abstandnehmen erleichtern?“ Wenn es ein heimlicher Trennungsversuch oder ein Racheakt ist, wird es den Graben vergrößern – dann ist es besser, es gleich transparent zu machen: „Ich schau mal, ob und wie es mir ohne dich geht.“ Vielleicht ist dann niemand mehr da, wenn man zurückkommt – das Risiko gilt es abzuwägen.
WOMAN: Sie arbeiten in Ihrem Buch auch mit Märchen und Mythen. Was haben Märchen mit Beziehungen zu tun? Können Sie ein Beispiel nennen?
Susanne Pointner: Sehr viele Märchen spiegeln Beziehungsmuster wider. Das Lieblingsmärchen einer Klientin war "König Drosselbart". Sie verhielt sich vordergründig ihrem Partner gegenüber sehr unterwürfig, der sie, oberflächlich betrachtet, ausnützte. Mit der Zeit wurde ihr bewusst, dass sie ihrem Mann von Anfang an abgewertet hatte, und dass er immer noch versuchte, sie zu erobern – wenn auch mit den falschen Mitteln. Der Austausch gelang bei diesem Paar besser über die Bilder als über die Reflexion.
WOMAN: Geben Sie 3 Tipps, damit die Partnerschaft hält!
Susanne Pointner: 1. Sich selbst und dem Partner/der Partnerin konsequent Gutes tun (z.B. auch in Form einer Jahresservice-Paarsitzung) und Wertschätzung aussprechen.
2. Versuchen, immer wieder etwas Neues zu entdecken und zu entfalten - an sich selbst und am anderen, z.B. durch Fragen, die man einander noch nicht gestellt hat, oder gemeinsame Aufgaben.
3. Das umsetzen, was man selbst schon weiß – das wäre oft mehr als genug.

Im neuen Ratgeber "Adam, wo bist du? Eva, was tust du" erklärt Susanne Pointner anhand von Filmpaaren und Märchen, wie man starre Muster in Beziehungen löst. Für ca. 22 Euro als Buch oder als E-Book bei Kremayr Scheriau und im Buchhandel erhältlich.
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