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Campino im WOMAN-Interview

Vor wenigen Tagen ist er 50 geworden. Sieht man ihm nicht an. Schlabberpulli, Wuschelhaare, das freche Grinsen eines Aufmüpfigen, der schon mal den Arschlöchern dieser Welt die Luft aus den Reifen gelassen hat. Früher. Heute zählt Andreas Frege alias „Campino von den Toten Hosen“ zu den Superstars. Ausverkaufte Konzerte, Songs wie „Tage wie dieser“ ganz oben in den Charts. WOMAN-Chefredakteurin Euke Frank traf den Kultsänger, Schauspieler und Vater eines Sohnes zum Interview.

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Campino im WOMAN-Interview
© Peter Rigaud

Campino: Hey, freut mich, dass du da bist.

Euke Frank: Hey, freut mich, dass wir uns duzen. Machst du das immer?

Campino: Ich möchte, dass sich meine Gesprächspartner wohlfühlen. Das ist doch peinlich, wenn dauernd jemand „Herr Frege“ sagt. Das sollen das Finanzamt und die Polizei machen …

Frank: Und wie sagen die Leute? Herr Campino? Herr Frege? Sagt überhaupt noch jemand Andreas zu dir?

Campino: Beim Elternsprechtag meines Sohnes sagen sie Herr Frege. Meine Geschwister nennen mich Andreas. Campino finde ich am familiärsten. Und mit „Herr Campino“ kann ich auch leben (lacht).

Frank: Hier im Hotel in Wien bist du unter einem falschen Namen eingecheckt. Jetzt kannst du ihn ja verraten ...

Campino: Nö, weil den brauche ich noch ein paar Wochen. Ein paar Namen aus der Vergangenheit gefällig? Wie wäre es mit Tito Santana? Oder Graf Zirben.

Frank: Du hast in den letzten 30 Jahren bestimmt mehrere Hundert Interviews gegeben. Nervt das?

Campino: Wenn man, wie wir jetzt, zwei Jahre an einem Album gearbeitet hat, dann freut man sich, etwas darüber erzählen zu können. Und bei vielen Gesprächen, die ich mit Journalisten geführt habe, ist mir auch oft erst klar geworden, worum es bei manchen Dingen geht. Mein Leben dreht sich ja nicht nur um Musik, es geht um Politik, um Macht, Leidenschaft, oft um die großen Themen. Das kann sehr viel Spaß machen …

Frank: (ich hole einen kleinen Zeitungsausschnitt hervor Campino auf der Bühne, wie er in die Luft springt und die Beine zum Spagat auseinanderreißt): Du bist eben 50 geworden. Kannst du das noch?

Campino: (schaut sich das Foto genau an) Ich kontrolliere mich auf der Bühne nicht. Mit diesen Bewegungen kompensiere ich die Musik. Körperlichkeit ist mir wichtig. Es fällt mir schwer, stillzustehen, aber bewusst passiert das nicht. Aber ich glaub, das
krieg ich noch hin.

Frank: Ich höre die Toten Hosen gerne, wenn ich mich wie ein Würmchen fühle. Drei, vier Songs, und ich werd zum Kraftstrotz. Als würde mir niemand mehr was antun können. Woran liegt das?

Campino: Das ist eine sehr schöne Beschreibung. Echt, ich fühle mich geehrt. Es gibt aber keinen Plan, keine Strategie, wie Songs wirken sollen. Songs sind gelungen, wenn sich Menschen darin wiedererkennen können. Das Leben ist voller Stimmungslagen, voller Erlebnisse. Ich würde gerne ein grundpositiver Mensch bleiben. Und so soll auch unsere Musik sein.

Frank: Ach ja, eure Songs haben noch einen Effekt: Man fährt schneller Auto.

Campino: (lacht laut auf) Finde ich super!

Frank: Du warst einmal mit der Band im Religionsunterricht in einer deutschen Schule und hast dort die Kinder gefragt: „Wäre die Welt eine bessere, wenn es keine Religionen, keinen Glauben geben würde?“ Weißt du eine Antwort?

Campino: In meinen Augen wäre sie ganz klar eine schlechtere Welt. Religionen und Moral ordnen ein. Es sind Regelwerke, die entworfen wurden, das Tun der Stärkeren zu schwächen, für mehr Gerechtigkeit und Mitgefühl zu sorgen. Für mich selbst gibt’s keine Religion, die endgültig passt. Ich bastle mir meinen Glauben selbst – ein Konglomerat aus vielen verschiedenen Glaubensrichtungen, denen ich begegnet bin. An der katholischen Kirche finde ich unsympathisch, dass sie den Anspruch hat, die einzige gültige zu sein, dass die anderen Götter falsch sind. Dieser Anspruch ist völlig konträr zum Wort Glauben. Man muss immer auch den eigenen Irrtum einbeziehen, tolerant sein. Es ist wichtig, dass wir an etwas glauben, auch wenn es nur der Fußballklub ist.

Frank: Hast du deine eigenen zehn Gebote?

Campino: Die zehn Gebote der katholischen Kirche sind ja nicht alle schlecht. Ich mag aber das Prinzip der Drohung, der Angstmache nicht. Die Frage, wie geht’s nach dem Tod weiter. Würden wir uns denn anders verhalten, wenn es ein Fegefeuer gäbe? Ich versuche ein Leben zu leben, bei dem es gleichgültig ist, ob es das gibt oder nicht. Und wenn doch, dann hoffe ich, dass man mich auf der niedrigsten Stufe brutzelt.

Frank: Glaubst du denn an ein Leben danach?

Campino: Ich glaube daran, dass die Seelen der Menschen, die uns wichtig waren, noch in uns sind. Ich glaube an Aura. An Spuren, die Eltern an ihre Kinder weitergeben. Solange wir Menschen nicht vergessen, sind sie da …

Frank: Ich habe gelesen, dass du seit deinem 20. Lebensjahr Testamente schreibst. Das ist ja gruselig.

Campino: Nein! Natürlich schreibe ich nicht dauernd Testamente, aber ich habe damals das erste Mal meinen Letzten Willen aufgeschrieben. Und das ändere ich alle paar Jahre, wenn sich etwas Entscheidendes in meinem Leben getan hat. Es kann jeden von uns jederzeit aus dem Leben reißen, und da finde ich es gut, Zeichen zu hinterlassen. Da geht es nicht um die Verteilung von Reichtümern. Es ist schön, Menschen, die einem nahe sind, einen letzten Gruß zukommen zu lassen, auch wenn es nur ein Ring ist, ein Spruch oder eine Erwähnung.

Frank: Aber das bedeutet ja auch, dass du dich seit 30 Jahren dauernd mit dem Tod beschäftigst. Ist das nicht ein Thema für später?

Campino: Der Tod gehört zum Leben. Ich kann da unten über die Straße gehen und von einem Auto totgefahren werden. Heute. Ich tabuisiere den Tod nicht. Und das Erste, was ich tue, wenn ich in ein fremdes Land komme und Zeit habe, ist, mir einen Friedhof anzusehen. Das sagt mir oft mehr als jede Menge Gespräche. Ich habe ein unverkrampftes Verhältnis zum Tod.

Frank: Eigentlich wollte ich gar nicht, dass unser Gespräch so morbide wird, aber wo willst du denn dann begraben werden?

Campino: Auf dem Düsseldorfer Südfriedhof, wir haben ja schon unser Grab. Alles bereits gemietet.

Frank: Wo die Band dann gemeinsam …?

Campino: Es ist ein gutes Gefühl, zu wissen, mit wem man dann doch die längste Zeit verbringt.

Frank: Bitte können wir jetzt über die Liebe sprechen! Warum schreibt ihr nie Liebeslieder, die ein Happy End haben?

Campino: Das Wichtigste ist doch, das Hier und Jetzt zu genießen. Wir haben doch alle den Hang dazu, der Vergangenheit nachzuhängen oder uns vor der Zukunft zu fürchten. Aber der Moment, in dem sich alles abspielt, der ist jetzt! Und der gerät in Vergessenheit. Aber ich würde gerne ein Liebeslied, das einfach nur schön ist, schreiben – stimmt, es ist mir bisher noch nicht geglückt. Andererseits: „Und wenn sie nicht gestorben sind, dann …“ – das ist auch nicht mein Style.

Frank: Also es ist die Angst, kitschig zu werden?

Campino: Da ist diese dünne Linie zwischen dem aufrichtigen Beschreiben von Gefühlen und trotzdem nicht ins Kitsch-Lager zu kippen. Ich will ja auch nicht, dass die anderen sagen: „Mein Freund, das ist ja schön und gut, aber musst du uns damit vollklecksen?“

Frank: Es gibt aber eine Liebeserklärung in Songform, nämlich an deinen verstorbenen Vater. Versucht man an den eigenen Kindern gutzumachen, was die Eltern nicht so gut hinbekommen haben?

Campino: Ja, aber man entdeckt auch eine gewisse Hilflosigkeit, eine Ohnmacht in der Erkenntnis, dass man jemanden nicht zu 100 Prozent beschützen kann. Als mein Junge etwa ein Jahr alt war, saßen wir in einem Café. Als der Kellner kam, machte der Kleine eine schnelle Bewegung, und der heiße Kaffee lief ihm über die Arme, den ganzen Körper. Er schrie und schrie, konnte sich kaum beruhigen. Wir fuhren ins Spital, und ich dachte mir, ich bin sogar zu blöd, um auf ein Kleinkind aufzupassen. Doch am nächsten Morgen hoppelte der Tropf komplett einbandagiert übers Bett und lachte mich an. Ich weinte damals, und mir war klar, du kannst nichts machen, wenn das Schicksal es anders will. Du kannst nur dein Bestes geben, aber es werden nie 100 Prozent sein.

Frank: Dein Sohn ist jetzt acht. Er wird in die Pubertät kommen, erwachsen werden. Du hattest ein wildes Leben mit Drogen, Alkohol, Abstürzen. Machst du dir Sorgen um ihn?

Campino: Nein. Menschen kommen in Situationen, in denen sie sich für oder gegen etwas entscheiden. Mir ist wichtig, ihm das Gefühl zu vermitteln, dass er jederzeit alles mit mir besprechen kann. Ganz besonders, wenn er in einer Notlage ist. Wir müssen uns eingestehen, dass wir viel weniger Kontrolle über die Kinder haben, als wir glauben. In Berlin sind die Kinder von 8.00 bis 16.00 Uhr in der Schule. Und wenn da Jungs dabei sind, die eine härtere Gangart haben, die sich gegenseitig das Tricksen, das Lügen, das Stehlen beibringen, dann ist es schwer für die Jungs, Spur zu halten. Da gibt es Großmäuler, mit denen ich mir jetzt schon schwer tue. Überhaupt empfinde ich die Zeit des Vaterseins als große Lehrstunde. Ich glaube, ich lerne sogar mehr von meinem Jungen über mich als er von mir.

Frank: Konntest du dir vor 20, 30 Jahren vorstellen, so eine bürgerliche Veranstaltung wie einen Elternsprechtag zu besuchen? Das galt doch als superspießig.

Campino: Die Frage ist doch: Wie definiere ich Spießer? Ich habe überhaupt kein Problem mit dem Bild: zwei Kinder, Wohnung, vielleicht ein Häuschen, Auto und der Versuch, sich das Leben vernünftig zu gestalten. Respekt! Was ich als Spießigkeit bezeichne, ist, wenn man sich selber Dinge nicht gönnt, weil man Angst hat, aus den Regeln auszubrechen. Ich verachte, wenn jemand den Nachbar disst, nur weil der seine Hecke nicht schneidet. Ich habe auch irgendwann begriffen, dass ein Anzug oder ein Schlabberlook sehr wenig über den Charakter eines Menschen sagen.

Frank: Stimmt es, dass du dich noch nie selbst gegoogelt hast?

Campino: Ich wüsste nicht, was ich da finden sollte. Wenn es um eine aktuelle Livekonzert-Kritik geht, ja, vielleicht. Aber dass ich mich mit einer Tasse Tee hinsetze und schaue, was da so geschrieben wird, nein, dafür nehme ich mir keine Zeit.

Frank:   Du hast vor 10 Jahren auf die Frage, worauf du am stolzesten bist, gesagt, dass „ich nie einen ordentlichen Beruf gelernt habe“. Ist das heute auch noch so?

Campino:  Mit dem Stolz ist das so eine Sache. Stolz war ich, als mein Sohn im Winter beim Gäste-Skifahren den zweiten Platz gemacht hat. Da war ich, glaube ich, der stolzeste Papa am Berg. Ich war davor viel nervöser als er. Fällt er hin, nur weil er schnell sein will?! Er hat sich gar nicht mit dem Gedanken beschäftigt. Und dann stand er auf dem Siegertreppchen, völlig emotionslos. Aber am Abend beim Schlafengehen hat er dann gefragt, ob er in der Nacht seine Medaille tragen darf. Da wusste ich, dass das Ereignis bei ihm durchaus angekommen war.

Frank: Damals vor 10 Jahren, mit 40, wurdest du auch gefragt, ob du mit 50 mal was mit einer 20-Jährigen haben möchtest. Damals warst du entrüstet und hast gesagt: „Never ever. Wie peinlich!“ Jetzt bist du 50. Und?

Campino:  Das ist eine gemeine Frage!

Frank: Sorry! Die sollte gar nicht gemein sein. Möglicherweise ist der 50-jährige Campino interessanter für manche Frauen als der 50-jährige Bankangestellte.

Campino:  Na, das will ich hoffen. Aber Klischees will man auch nicht bedienen, oder?

Frank: Weil wir gerade beim Sex sind? ...

Campino lacht schallend.

Frank: Was wird dir denn im Alter den Sex ersetzen? Golf?

Campino:  Ich hoffe, dass der nie ersetzt wird, weil mir das doch ein bisschen was bedeutet. Aber es muss nicht mehr in der Menge sein. Vielleicht. Das ist ähnlich wie mit dem Essen. Da ändert sich auch das Geschmacksempfinden. Während man früher vielleicht gerne in die Fritten-Bude gegangen ist und verschiedene Buden ausprobiert hat, würde man vielleicht später dann ein Restaurant bevorzugen.

Frank: Hier in Wien gehst du zum Würstelstand. Isst am liebsten Teufelsgriller?

Campino:  Ja, bei der Oper. Ich mag Würstel immer noch sehr. Aber die Geschmacksnerven ändern sich. Und so hab ich auch im Leben festgestellt, dass sich meine sexuellen Bedürfnisse und Vorlieben ändern?

Frank: Wilder oder braver?

Campino:  Das ist gar nicht so wichtig. Ich habe heute viel weniger das Gefühl, dass ich etwas verpasse. Man muss nicht an jeder Tür klingeln. Man weiß es viel mehr zu würdigen, wenn etwas in die Tiefe geht. Sich jemandem ganz zu schenken und dadurch ein Gefühl zu erleben, dass man nicht kannte, weil man seine Energien einfach so verstreute und sich auf nichts wirklich eingelassen hat. Es geht darum, gemeinsam Dinge zu entdecken, und sicher nicht darum, wie viel man im Bett herumhopst. Eine gute Turnstunde hat noch nie gleichzeitig guten Sex bedeutet. Es geht nicht um Statistik, es geht um gute Momente. 

Es klopft an der Türe. Campino springt auf. Es ist schon viel später als geplant. Er ruft hinaus: „Ich will noch fünf Minuten.“ Und setzt sich wieder neben mich.

Frank: Okay, letzte Frage: Wie lange wirst du noch diese wuscheligen Haare tragen?

Campino:  Ich weiß nicht. Ich hätte ja gerne eine ordentliche Frisur (fährt sich durch die Haare) .

Frank: Ist eh okay.

Campino:  Früher war mir wichtig, dass sie so wegstehen, dass ich so feuermeldermäßig durch die Gegend laufe. Aber irgendwann braucht man das nimmer. Ich muss nicht mehr unbedingt erkannt werden. Ich brauche das Starren der Menschen nicht mehr absichtlich herauszufordern. 

Frank: Also wie lange noch wuschelige Haare?

Campino:  Solange noch Haare da sind! Aber es wäre schön, wenn sie nicht völlig ungepflegt aussehen würden?

Interview: Euke Frank