Elizabeth, die Ich-Figur in "Schoßgebete" könnte auch Charlotte Roche, 33, sein. Aber so genau will das die provozierende Autorin, die mit "Feuchtgebiete" vor drei Jahren einen Megaseller landete, nicht zugeben. Die echte Charlotte lebt mit Mann Martin und Tochter Polly, 8, in einem "spießigen" Haushalt und ist seit Jahren in Therapie. Im Buch jedenfalls geht es erst ran an den Sex und die Pornos, wenn das Kind außer Haus ist.
WOMAN: Schreiben Sie Tagebuch?
Roche: Nein, nie gemacht!
WOMAN: Aber Ihr Buch liest sich wie ein Tagebuch, voller intimer Details!
Roche: Ja, meine Freunde fanden es teilweise unangenehm zu lesen. Sie meinten, sie hätten ein Tagebuch aufgebrochen. Aber das ist doch Sinn der Sache. Ich will, dass dieser Effekt kommt da macht jemand so richtig auf. Sehr viele Sachen sind natürlich erfunden oder zugespitzt.
WOMAN: Aber das Buch sollte wahrhaftig sein?
Roche: Wenn man ein Buch schreibt, sollte es wahrhaftig sein und so ehrlich, dass man fast kotzen muss. Ich bin sehr mutig, aber ich habe auch Angst vor der eigenen Courage.
WOMAN: Wo hört Charlotte auf und fängt Elizabeth an?
Roche: Es ist ja offensichtlich, dass sie sehr nahe beieinander sind. Das ist sehr befreiend und selbst reinigend. Natürlich fragen mich Journalisten: Gehen Sie mit Ihrem Mann ins Bordell? Diese Frage beantworte ich doch gar nicht, da macht man doch den ganzen Zauber des Buches kaputt.
WOMAN: Aber halten Sie Prostitution nicht für Frauen verachtend?
Roche: Es gibt in Köln ein Bordell, da werden bei Razzien 16 jährige Mädchen, die verschleppt wurden und nicht deutsch können, herausgeholt. Das ist das Schlimmste, auf der Welt. Aber man tut manchen Puffmüttern unrecht. Es gibt kleine Lokale, die wertig gemacht sind, da sprechen alle deutsch, sind weit über 30 und haben einen Mann. Die arbeiten halt nachts oder verdienen sich etwas dazu. Und wenn ein Typ ekelhaft ist, dass sagen sie, ich gehe mit dem nicht aufs Zimmer.
WOMAN: Die wenigsten Frauen können das locker wegstecken.
Roche: Wenn man bestimmen kann, welchen Freier man nimmt, dann heißt das doch nicht, dass die Frau daran kaputt gehen muss.
WOMAN: Ist Schoßgebete ein Familienroman?
Roche: Ich wollte ein Buch über die Ehe schreiben, über Liebe, aber nicht die romantische und verkitschte Liebe, sondern wie schwer Liebe ist. Wie schwer es ist, zusammen zu bleiben, wenn man zum Beispiel ein Scheidungskind ist. Was man alles in ein Familienleben mitbringt an vorigen Beziehungen wie zu einer Mutter oder zu einem Kind.
WOMAN: Ist Schreiben Masochismus für Sie?
Roche: Auch. Ich schreibe so, als würde es nicht veröffentlicht werden, als gäbe es kein Leben danach. Aber es wird natürlich veröffentlicht. Man buddelt in sich rum, das ist Masochismus. Andere Leute haben mehr Selbstschutz und würden das nicht machen. Ich habe wenig Selbstschutz.
WOMAN: Warum so wenig?
Roche: Wenn ich alles in einem Buch schreibe, wenn ich einen totalen Seelenstrip mache, bin ich unangreifbar und nicht mehr erpressbar.
WOMAN: Sie schreiben auch über Ihre Therapie.
Roche: Nein, ich schreibe über Elizabeths Therapie und habe selbst seit zehn Jahren Erfahrung mit Therapie. Therapie ist noch immer ein Tabu, man hört ja kaum Leute darüber zu sprechen. Die Leute finden es krass, wenn ich von Therapie erzähle.
WOMAN: Krass, weil es zu intim ist?
Roche: Ja, wenn jemand in Therapie ist, hat man Angst, die Leute könnten einen für verrückt halten. Dabei ist das Gegenteil der Fall, wer in Therapie ist, ist weniger verrückt, denn er lernt sich selber zu heilen.
WOMAN: Glauben Sie, hat die Frauenbewegung die Männer impotent gemacht?
Roche: Teilweise. Die Männer sind ratlos, wie viel Mann sie sein dürfen und die Mädchen machen komplett, was sie wollen, sind frei und selbstbewusst. Und stehen natürlich auf richtige Männer, die unbeirrbar ihr Männerding durchziehen. Das heißt ja nicht, dass sie Frauen unterdrücken, ein starker Mann verträgt auch eine starke Frau. Ich sehe eine Tendenz in der Gesellschaft männliche Sexualität zu verdammen. Alle jungen Männer, die ich kenne, waren noch nie im Puff. Das empfinde ich als Verweiblichung des Mannes.
WOMAN: Was sagt Ihr Mann dazu, dass Sie so offen über Sex schreiben?
Roche: Er will kein Bremsklotz sein. Und ich dachte, wie weit kann ich gehen? Es gibt in unserer Ehe so einen Wettbewerb wer hat die krassesten Witze, wer ist am ekelhaftesten und wenn er denkt, er sei zotig, setze ich immer noch eines drauf, so dass er total angewidert ist. Mein großer Antrieb ist es, meinen Mann zu schocken, aus rein sportlichen Gründen, um immer interessant zu bleiben.
WOMAN: Und war er schockiert?
Roche: Er hatte mit dem Gedanken gespielt, das Buch nicht zu lesen. Dann hat er es doch gelesen, als es fertig war. Er ist eine coole Sau und hat nichts geändert, war aber vier Tage wirklich schockiert. Aber er meinte: Charlotte, ich habe dir gesagt, du sollst Vollgas geben. Der ist doch cool, oder?
WOMAN: Aber Sie auch!
Roche: Ich fühle mich extrem frei, dass ich die heftigsten Sachen machen kann, ohne dass mich mein Mann bremst.
WOMAN: Glauben Sie, gibt es feministischen Sex?
Roche: Eben nicht, zum Glück nicht. Ich empfinde Sex als so etwas Neandertalermäßiges. Auch wenn man da Kultur, Gesetz und Moral reinbringen will, ist das alles umsonst. Da muss sich die Frau auch mal unterwerfen, damit sie am besten kommt oder er besser kommt. Es darf keine Moral im Bett geben abgesehen natürlich von Gewalt.
WOMAN: Wie ist das zu verstehen?
Roche: Es soll keine feministische Moral geben, dass man dem Mann sagt, erst musst du die Frau befriedigen. Da prallen zwei Körper aufeinander und das ist total antifeministisch. Da spielt man alte Rollen durch und das ist im Bett nicht schlimm. Und wenn man aus dem Schlafzimmer rauskommt, ist dann bitte wieder der Feminismus angesagt.
WOMAN: Und Sie glauben das funktioniert?
Roche: Der alte Feminismus, die Generation von Alice Schwarzer, ist sexfeindlich. Ich muss den alten Feminismus komplett aus dem Kopf radieren, weil der mich beim Sex stört. Man hat dieser Generation viel zu verdanken, aber man möchte sagen, ihr seid jetzt mal still, jetzt sind wir dran. Die alten Feministinnen haben gesät und mögen die Früchte nicht, die sie ernten. Wenn eine Frau den Penis ihres Mannes verehrt, dann ist das feministisch böse. Aber das ist nicht so, die Frau verehrt den Mann und der Mann die Frau, bei heterosexuellen Paaren. Man darf die Sexualität nicht politisch betrachten, denn sie ist nackte Biologie.
WOMAN: Sie meinen auch, wenn der Sex nicht mehr stimmt, geht die Beziehung den Bach runter?
Roche: Davor habe ich Angst. Sexualität ist so ein fragiles Gebilde und wenn man anfängt den Partner langweilig zu finden oder zu verachten, weil man ihn zu gut kennt, dann kann man sich nicht mehr so hingeben. Erst wird der Sex weniger und dann ist früher oder später alles dahin. Ich hoffe das bleibt nicht so, weil es die Sexualität überbewertet.
WOMAN: Warum schreiben Sie dann so viel über Sex?
Roche: Meine Therapeutin sagt: Sex ist das Gegengift zum Tod und total lebensbejahend. Ich bin extrem angespannt, muss alles kontrollieren, habe Ängste und Probleme und der Sex ist die gesunde Droge des Lebens und für mich total befreiend. Es schaltet das Hirn ab und Hirn ist so anstrengend bei mir. Wenn man nur Körper ist, ist man so glücklich im hier und jetzt.
WOMAN: Finden Sie, ist Erotik eine Kunstform?
Roche: Ich finde, das Wort Erotik schon komisch. Leute benutzen das Wort Erotik und meinen Sex. Ich finde Erotik ein verlogenes Wort, nennen wir die Sachen beim Namen.
WOMAN: Was an ihrem Körper finden Sie sexy?
Roche: (Greift an Schlüsselbein) . Das ist ein schönes Stück Fleisch und bei Männern ist es die Leistengegend unter der Bauchmuskulatur.
WOMAN: Ziehen Sie sich gerne provozierend sexy an?
Roche: Ja, und da schlüpfe ich in eine Rolle und komme mir dabei selbstbewusst und stärker vor. Ich habe auch beschrieben, wie man sich in der Videothek einen Porno ausleiht, aber dann höre ich meine Mutter, die sagt, mach das nicht, du unterwirfst dich dem Mann, das ist erniedrigend gegen Frauen.
WOMAN: Hat Ihre Mutter nicht Recht?
Roche: Es kommt darauf an, welche Filme man sich anguckt. Ich schau mir keinen einzigen Film an, in dem es um Erniedrigung oder Vergewaltigung geht oder nur ein einziges schlechtes Wort gegen eine Frau gesagt wird.
WOMAN: Im Buch heißt es: Ich hasse es alleine zu sein. Gilt das auch für Sie?
Roche: Ja, ich bin nie alleine und halte die Ruhe nicht aus. Eine Sucht jagt die nächste. Vor drei Jahren war ich magersüchtig, dann folgte die Alkoholsucht. Ich habe vor einem Jahr aufgehört zu trinken, bin jetzt ein trockener Alkoholiker. Alles was ich mache, ist exzessiv und zerstörerisch. Jetzt muss ich das Leben nüchtern ertragen.
WOMAN: Verspießern Sie jetzt ganz fidel mit Kind und Mann?
Roche: Ja, ja schon und mit voller Absicht. Ich will alles besser machen als meine Eltern.
WOMAN: Leben Sie in einer Parallelwelt neben Ihrem Kind?
Roche: Dass man eine gute Mutter darstellt? Klar. Es gibt keine Fäkalausdrücke, wenn das Kind in der Nähe ist, man spielt eine 1950 er Jahre Hausfrau.
WOMAN: Wie lange können Sie das Ihrem Kind noch vorspielen?
Roche: Sie ist ja noch klein. Dann müsste man die Bilder angleichen. Ein Kind muss nicht wissen, wie verzweifelt die Mutter ist. Es ist okay dem Kind vorzuspielen, solange es noch klein ist, dass die Eltern das Leben im Griff haben, stark sind und das Kind durchs Leben führen. Wenn es älter ist, kann man schon sagen, die Mama ist immer ganz traurig.
WOMAN: Rasten Sie oft aus?
Roche: Ja, aber nur zu Hause. Ich kontrolliere die Fassade. Mein Mann kennt mich am besten und der kennt auch meine hässlichsten Seiten.
WOMAN: Wie hat sich Ihr Leben seit Feuchtgebiete verändert?
Roche: Wenn ich am Rhein laufen gehe, sind betrunkene Jugendliche da, die sagen, die ist die Feuchtgebiete. So heiße ich praktisch jetzt: mit Vornamen Feucht und mit dem Nachnamen Gebiete. Es gibt ein Leben vor dem Buch und eines danach. Auch das Geld verändert. Aber ich will keine Yacht, ich fahre in den Ferien immer in denselben Ort, gehe immer ins selbe Restaurant und lebe in meinem Viertel. Ich will nur meine Ruhe haben. Das brauche ich als Ausgleich zum inneren Wahnsinn.
WOMAN: Hat Sie der Erfolg umgehauen?
Roche: Ja, der hat mich fertig gemacht. Ich hab es auch völlig übertrieben und war viel auf Tour. Habe mit so vielen Menschen über die intimen Dinge wie Analverkehr geredet, auch mit ekeligen Männern. Zu viel vorgelesen, zu viel Interviews gegeben, bis ich einen Nervenzusammenbruch hatte. Wie immer alles exzessiv. Auch in der Buchbranche hieß es, der Erfolg habe mich kaputt gemacht.
WOMAN: War das der Ansporn für ein neues Buch?
Roche: Das war der Punkt, wo ich dachte, offensichtlich muss ich mich selbst wieder aus der Scheiße ziehen und noch ein Buch schreiben. In dem Moment, wo man das kann, heißt es auch, dass man sich erholt hat. Das hat drei Jahre gedauert.
WOMAN: Empfinden Sie sich selbst als anstrengend?
Roche: Total! Hoffentlich wird im Buch klar, warum mein Mann so viel Lob verdient, weil er den Wahnsinn aushält. Der running gag des Buches ist ja, man muss sehr gut blasen können, damit der Mann bei einem bleibt.
WOMAN: Sie können nicht leugnen etwas egozentrisch zu sein
Roche: Total. Mir ist das schon klar, wie narzisstisch dieses Buch ist. Das kommt aus der Kindheit, ich wurde zu einer Härte zu mir selber erzogen, meine Mutter machte fast Kindersoldaten aus uns. Dass man alles kann, egal wie schwer das ist und nie meckert. Man muss alles beinhart durch ziehen.
WOMAN: Sind Sie schamhaft?
Roche: Ja, nur weil ich immer die lauten ekelhaften Sachen mache, verstehen das die Leute falsch und glauben, ich habe keine Scham. Ganz im Gegenteil weil ich so Scham behaftet bin muss ich diese Bücher schreiben.
WOMAN: Sind Sie nachtragend?
Roche: Professionell auf jeden Fall. Privat versuche ich, nach einem Streit Freundschaften durch miteinander Reden zu retten. Was ich aber schwer finde, es ist für mich viel einfacher die Leute abzuschießen. Aber dann steht man bald alleine da.
WOMAN: Wie wird es werden , wenn Ihre Tochter in die Pubertät kommt?
Roche: Schrecklich, bei den Genen. Ich lese jetzt schon Bücher über die Pubertät.
WOMAN: Was ist wirklich wichtig?
Roche: Meine neue Familie. Darauf ist alles ausgerichtet, dass ich den Mist ablade in der Therapie, damit so wenig Mist wie möglich in der Familie ankommt. Das Erwachsenenleben muss so geordnet sein, dass die Kinder es gut haben. Die Kinder vom Wahnsinn fern zu halten.
Interview: Andrea Braunsteiner