"Morgen fange ich an" – die wohl größte Lüge, mit der wir uns selbst das Leben schwer machen. Immer wieder schieben wir Dinge vor uns her, prokrastinieren und scheitern an unserer eigenen Inkonsequenz. Dahinter steht oft die Angst zu versagen, aber auch der Mangel an Willensstärke. Sich neue Dinge an- oder alte Verhaltensweisen abzugewöhnen, widerstrebt unserer Natur. Leider. Letztenendes werden wir dann bitter enttäuscht. Sich in sich selbst zu irren, tut nämlich ganz besonders weh. Wir suchen verzweifelt nach den Gründen. Und oft begraben wir unser eigenes Fehlverhalten unter einem Haufen Ausreden.
Zu Beginn des Jahres folgt dann der erneute Motivationsschub: Wir nehmen uns fest vor, etwas zu verändern. Doch sind wir damit am richtigen Weg? Überfordern wir uns selbst? Oder braucht es schlichtweg mehr Disziplin? "Hubert, sei doch einfach still!" – so sollten wir unserem inneren Schweinehund auf humoristische Weise entgegentreten, um ihn auf sanfte Weise auszuhebeln, meint Psychotherapeutin Mag. Barbara Haid. Wir haben sie zum Interview gebeten und Strategien abgefragt, die uns helfen, durchzuhalten und unsere Ziele tatsächlich zu erreichen. Schritt für Schritt...
Mag. Barbara Haid ist eine Psychotherapeutin und Coachin aus Tirol. Mehr über ihre Arbeit findet ihr unter www.transformberatung.com.
WOMAN: Wie schaffen wir es, unsere Neujahresvorsätze über das ganze Jahr durchzuhalten? Sind wir nicht doch dazu verdammt, unserem inneren Schweinehund zu unterliegen?
Barbara Haid: Aus der Hirnforschung wissen wir, dass man den Bereich, in dem die Willensstärke sitzt, trainieren kann wie einen Muskel. Und zwar sprechen wir hier vom präfrontalen Cortex (der Großhirnrinde). Hier sitzt auch die Fähigkeit, sich auf etwas zu fokussieren oder die Lösung von abstrakten Problemen zu finden. Mentale Disziplin lässt sich trainieren. Das Wichtigste ist, auf basale Grundbedürfnisse zu achten – beispielsweise ausreichend zu schlafen.
Man sollte zudem nicht zu streng zu sich sein. Im ersten Schritt wäre es sinnvoll, sich ein einziges konkretes Ziel zu setzen, um sich nicht zu überfordern. Misserfolge sollten schon von vornherein eingeplant werden, um sich vor Enttäuschungen zu bewahren und die kleineren Erfolge zu feiern.
Sollte ich also mein Vorhaben 10.000 Schritte zu gehen, mit 5.000 Schritten pro Tag beginnen?
Barbara Haid: Sich kleinere Ziele in Form von Meilensteinen zu setzen, wäre zu Beginn eine gute Strategie, ja. Das größere Ziel könnte man sich wie eine Vision vorstellen. Wichtig ist auch, sich zu überlegen, warum man das Ziel erreichen möchte. Danach folgt erst das Wie. Es gibt ein Buch zu diesem Thema, dessen Titel lautet „Das Ziel ist im Weg“. Das Warum zu hinterfragen, ist der wichtigste Schritt.
Weshalb ist die „Warum-Frage“ so wichtig?
Barbara Haid: Mit der Warum-Frage landen wir bei den Werten. Die sollten bei diesem Vorhaben ganz klar im Zentrum stehen. Ich nehme mir vor, im Sommer eine Reise nach Rom zu unternehmen. Der Wert dahinter lautet: Es soll Richtung Süden gehen. Jeder Schritt Richtung Süden wäre dann ein Erfolg. Das bewirkt, dass das ganze Vorhaben mit weniger Stress verbunden ist. Ein permanent positives Gefühl ist erfolgsversprechend, weil die Zufriedenheit dauerhaft größer wird.
Sind Misserfolge also etwas Gutes?
Barbara Haid:Ja, sie sind unglaublich wichtig. Aus ihnen lernt man unglaublich viel. Sie fördern unsere Frustrationstoleranz und damit unsere Resilienz (Anmerkung: Widerstandsfähigkeit). Man sollte immer die Ursache für den Rückfall hinterfragen. Was hat mich in diese Lage gebracht? Man könnte den Rückfall als „Vorfall“ bezeichnen und sich fragen, was man daraus lernt. Denn auch wenn wir Gewohnheitstiere sind – Menschen sind unglaublich lernfähig.
Es ist wichtig, sich in diesem Moment wirklich eine Minute Zeit zu nehmen, durchzuatmen und zu versuchen, in die eigene Mitte zu kommen. Alles, was aus dem Bereich des Achtsamkeitstrainings kommt, kann hilfreich sein: Atemübungen, Meditation, Yoga. Aber oft reicht auch einfach nur eine Atempause und ein Moment der Stille. Wir haben so die Chance, bewusstere Entscheidungen treffen zu können und klar nachzudenken. Rauche ich jetzt wirklich diese Zigarette? Schreibe ich meinem Ex zurück? Wir sollten aber immer in dem Wissen handeln, dass wir irgendwann wieder scheitern werden, weil es das Leben einfach mit sich bringt.

Je mehr wir uns etwas vornehmen, desto weniger gelingt es uns oft. Sabotieren wir uns selbst?
Barbara Haid:Dieser Mechanismus tritt ganz häufig auf – er wohnt uns Menschen ein Stück weit inne. Das Verbotene erscheint uns besonders reizvoll. Es hilft, sich auf das „Warum“ zu konzentrieren. Warum nehme ich mir vor, früher schlafen zu gehen? Was habe ich davon?
Der Grund für das Vorhaben ist häufig ganz klar. Trotzdem gelingt es uns manchmal nicht, es umzusetzen. Kurzzeitige Befriedigungen sind in diesem Moment oft wichtiger...
Barbara Haid: Dann sind kleinere Ziele hilfreicher. Nehmen wir das Beispiel mit dem Früher-Schlafengehen. Versuchen Sie, eine halbe Stunde früher schlafen zu gehen. Oder nur jeden zweiten Tag, früher schlafen zu gehen. Belohnungen sind dabei ganz essenziell. Manche führen eine Stricherl-Liste, andere kaufen sich etwas, wenn es zehn Mal gelungen ist. Wir Menschen funktionieren über das Belohnungssystem. Alles, was bei Kindern gut klappt, funktioniert auch bei uns Erwachsenen. Es bringt auch sehr viel, die Vorsätze „nur“ für einen gewissen Zeitraum durchzuziehen. Diesen kann man dann auch verlängern. Aber der Druck wird dadurch erstmal rausgenommen.
Was bringt Vorsätze oft zum Scheitern?
Barbara Haid: Drei Punkte sind dafür verantwortlich. Wir haben oft das Bedürfnis, immer alles kontrollieren zu müssen – was schlichtweg zum Scheitern verurteilt ist. Zu sehen, dass wir eben keine Kontrolle haben, verursacht negativen Stress. Der Schweinehund wird dadurch nur noch größer. Das Vorhaben ist dann negativ besetzt. Ein weiterer Punkt ist der unrealistische Optimismus, mit dem wir uns einfach restlos überfordern. Wir sind oft gar nicht in der Lage, unser gesetztes Ziel zu erreichen.
Wir eröffnen mit den Vorsätzen ein Schlachtfeld – eine sogenannte Kampfzone gegen uns selbst. Zum Beispiel, wenn wir auf das Rauchen verzichten wollen. Eine überwundene Nikotinsucht gibt uns genauso viel Zufriedenheit wie eine Zigarette, die wir genussvoll rauchen. Hier ist es wiederum wichtig, sich das große Ganze vor Augen zu führen. Sich das „Warum“ noch einmal bewusst zu machen.
Welche Strategien oder Hilfsmittel gibt es noch, die uns vor dem Scheitern bewahren?
Barbara Haid: Es hilft, die Ziele aufzuschreiben oder sich Codewörter zurechtzulegen. Zum Beispiel dem Schweinehund einen Namen zu geben. Wenn er zu groß wird, kann man mit ihm in den Dialog treten. So bekommt das Ganze eine humoristische Note, die das Ganze leichter machte.
„Hubert, sei doch einfach still. Was ist denn eigentlich los?“ So?
Barbara Haid: Genau. Man sollte ihn fragen, was man denn tun könnte, um ihn zu beseitigen.
Aber auch Unterstützung von außen kann helfen. Zum Beispiel sich für den Sport einen Partner oder eine Partnerin suchen oder sich einer Gruppe anzuschließen. Das hilft gegen Durchhänger. Auch eine Art Tagebuch kann helfen, die kleinen Erfolge zu feiern.
Und: Eine bessere Körperhaltung hilft unserer Willensstärke übrigens auch. Aufrechtes Sitzen und Stehen, die Schultern nach hinten nehmen – unser Körper kann auch unsere geistige Haltung verbessern.
Wir sind Gewohnheitstiere. Wie lange dauert es, bis man sich Verhalten an- oder abgewöhnt hat?
Barbara Haid: 60 Tage ist eine realistische Zahl. Es dauert teilweise auch viel länger. Viele Verhaltensmuster sind in unserem sogenannten Reptiliengehirn verankert – da sind alte Spuren und Verhalten, die wir uns antrainiert haben. Neue Wege zu gehen, ist schwierig. Man läuft immer wieder Gefahr, in den alten Trampelpfad zu treten.
Wenn es ums Grenzensetzen geht, ist es wichtig, sich die Worte JA und NEIN genau anzuschauen. Neinsagen kann man lernen und üben. Natürlich kann hier ein Coaching oder eine Therapie hilfreich sein, um zu sehen, wie das besser gelingen kann.
Hätten Sie einen Tipp für einen Neujahresvorsatz, den wir uns alle vornehmen sollten?
Barbara Haid: Sich selbst auch mal etwas Gutes zu tun. Das vergessen wir viel zu oft. Das können viele Kleinigkeiten im Alltag sein: ein Bad nehmen, eine Tasse Tee genießen... Sich etwas vorzunehmen, wo man sich nicht anstrengen muss.