Braucht Liebe Eifersucht?
Bernhard Reicher (bernhardreicher.at): "Nein. So wie ein Wald keine Schädlinge oder ein Computersystem keinen Virus braucht. Die Tatsache, dass eine Liebesbeziehung trotz Eifersucht bestehen kann, bedeutet nicht im Umkehrschluss, dass sie dafür unabdingbar wäre."
Therese Kersten (die-treuetester.eu): "Liebe lebt nicht von Eifersucht, sie kann in Grenzen allerdings die Liebe beleben."
Wie viel davon ist normal?
Birgit Maurer (liebeskummerpraxis.at):"Eifersucht gehört bei den meisten Menschen zum Gefühlsrepertoire. Nicht 'normal' wäre es, wenn es unsere Lebens- und Beziehungsqualität negativ beeinträchtigt oder auf die Partnerschaft zerstörerisch einwirkt."
Kersten: "Normale Eifersucht ist, wenn sie tatsächlich begründet ist, weil der Partner Anlass dazu gibt."
Wann wird es zerstörerisch?
Reicher: "Eifersucht ist per se destruktiv. Ihre Bandbreite mag zwar groß sein und von einem kleinen Stich der Unsicherheit bis zu einem Mord aus rasender, blindwütiger Eifersucht reichen. Die Übergänge innerhalb dieses Spektrums sind aber immer fließend. Nichts davon ist letztlich förderlich – für keinen der Beteiligten. Auf jeden Fall sollten die Alarmglocken ab dem Moment schrillen, wenn ich anderen die Schuld für die eigenen Eifersuchtsgefühle gebe."
Kersten: "Eifersucht wird problematisch für die Beziehung, wenn sie auf Einbildungen beruht und aus objektiver Sicht weder nachvollziehbar noch begründet erscheint. Das heißt, dass man eifersüchtig ist, obwohl der Partner absolut keinen Anlass dafür schafft."
Ist dieses Gefühl bei Frauen anders ausgeprägt als bei Männern?
Reicher: "Eifersucht ist ein Cocktail aus vielen unterschiedlichen negativen Emotionen wie zum Beispiel Neid, Verlassensängsten, unterdrückter Wut, Territorialverhalten, Minderwertigkeitsgefühlen aufgrund von Vernachlässigung oder Bevormundung in der Kindheit. Dieser Cocktail ist bei jedem individuell gemixt und anders ausgeprägt – unabhängig vom Geschlecht."
Maurer: "Männer reagieren eher vermehrt auf körperliche Untreue, weil die eine Bedrohung der männlichen Exklusivität darstellt. Frauen reagieren auf emotionale Untreue – !Verliebtheitsgefühle' stellen für sie eher eine existenzielle Bedrohung der Beziehung dar als körperliche Untreue."
Kann Eifersucht für eine Beziehung förderlich sein?
Reicher: "Wenn ich mittels eifersüchtig machender Strategien meinen Partner aus der Reserve locken möchte, ist aus meiner Sicht die Eifersucht für eine Beziehung nicht förderlich, sondern schafft eher ein destruktives Klima. Wer glaubt, Eifersucht für die Liebe zu brauchen, um sie zu beleben, sollte sich ehrlicherweise fragen, ob nicht schon eine Schieflage im Vertrauensverhältnis vorherrscht."
Kersten: "Leichte Eifersucht kann für eine Beziehung förderlich sein, wenn sie dem Partner zeigt, dass er einem wichtig ist und man ihn nicht verlieren möchte. Dann kann es durchaus ein Liebesbeweis sein, der das Feuer wieder neu entfacht."
Manche Menschen sind mehr, manche weniger eifersüchtig, Warum ist das so?
Reicher: "Je sicherer sich jemand seiner selbst ist, desto eher ist eine echte Selbstliebe vorhanden. Selbstliebe ist aber das Gegenteil von Narzissmus! Und je stärker diese ist, umso geringer die Eifersucht. Natürlich kommen noch andere Faktoren wie kulturelle oder religiöse Prägungen hinzu."
Kersten: "Häufig neigen Menschen mit geringem Selbstvertrauen dazu, eifersüchtiger zu sein, als Menschen mit einem gesunden Selbstbewusstsein. Aber auch Menschen, die bereits in einer früheren Partnerschaft betrogen wurden oder unter Verlustängsten leiden, sind öfter eifersüchtig."
Sind soziale Medien ein Turbo für Eifersuchtsszenarien?
Reicher: "Klar, das ist eine Möglichkeit. Andererseits sind soziale Medien und das Internet ein Turbo für alles und jedes, mithin aber auch für den konstruktiven Umgang mit Eifersucht. Man kann ja auch gute Tipps dazu finden."
Kersten: "Wenn man sowieso schon den Verdacht hat, dass der Partner aufgrund seiner häufigen Online-Aktivität mit anderen Frauen schreibt –dann ja! Prinzipiell glaube ich, dass Menschen, die ohnehin stärker eifersüchtig sind, mit Facebook & Co. noch eifersüchtiger werden können, weil sie hinter jeder Freundschaftsanfrage und jedem Like eine Gefahr lauern sehen."
Woran erkenne ich Untreue?
Reicher: "Treue ist Loyalität zu einem Menschen, kein sexuelles Besitzdenken. Insofern zeigt sich Treue in einer grundsätzlichen Achtung vor dem anderen, als Respekt, Würde und Zuverlässigkeit. Ich meine die Dinge so, wie ich sie sage, und nehme daher auch meine Liebsten beim Wort. Als untreu würde ich es also empfinden, wenn ich wiederholt merke, dass ich mich auf jemanden nicht verlassen kann oder jemand mir gegenüber unehrlich ist."
Maurer: "Es gibt die aktive Untreue im Sinne von Fremdgehen und die passive Untreue. Bei Letzterer verliert sich das Bedürfnis nach Nähe. Wesentlich dabei ist der Punkt, an dem der Wunsch nach Nähe flöten geht und sich Veränderungen im Verhalten bemerkbar machen. Wenn das gegenseitige Bemühen, Wertschätzung und Nähe verloren gehen, sind das schleichende Hinweise, dass sich in der Beziehung etwas verändert hat. Das kann manchmal ziemlich offensichtlich sein: plötzliche euphorische Stimmung, Einschreiben im Fitness-Studio, neuer Look, anderes Parfum, vermehrte Überstunden, neue Ideen -ein beflügelter Mensch, der immer unerreichbarer wird. Nach aktiver Untreue kann sich das schlechte Gewissen eines Menschen in besonderer Hilfsbereitschaft, Verständnis und Bemühen ausdrücken."
Wie bekommt man Eifersucht in den Griff?
Reicher: "Man muss bereit sein, sich mit schwierigen Gefühlen auseinanderzusetzen, und nicht versuchen, sie zu vermeiden. Da ist es überaus hilfreich, Eifersucht nicht als das böse Monster zu sehen, sondern als Wegweiser und hochintelligenten Schutzmechanismus. Irgendwann in unserer Entwicklung war sie eine wesentliche Überlebensstrategie. Indem ich in einem entsprechenden Setting herausfinde, welche Traumata dahinterstecken, die ich nie wieder erleben wollte und diese nun als erwachsener Mensch reflektiere und fühle, kann ich auch den Schutzmechanismus loslassen – er wird nicht mehr gebraucht."
Maurer: "Erlebe ich Eifersucht als singuläres Ereignis in einer Beziehung, weil sich etwa der Partner verändert oder zurückzieht, empfehle ich ein klärendes Gespräch. Immer wieder gilt: Reden, reden, reden! Wer nicht spricht, zerbricht! – und letzten Endes Beziehungen. Wenn ich die Eifersucht als permanenten Begleiter in meinem Beziehungsleben erfahre, empfehle ich, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, um sich mit dem eigenen Selbst zu beschäftigen."
Wie viel Kontrolle ist okay?
Maurer: "Der Wunsch nach Kontrolle bedeutet, dass die Beziehung in eine Schieflage geraten ist. Möchte ich die Kontrolle, um im Fall einer Trennung/Scheidung die Schuldlage zu klären oder die Beziehung retten? Kontrolle nährt Misstrauen, macht unsicher, unattraktiv und kann letztendlich die Partnerschaft zerstören. Wenn sich ein eigenartiges Gefühl breitmacht, sollte diesem nachgegangen werden – im Gespräch mit dem Partner. Kontrolle schafft Misstrauen und einen Graben zwischen zwei Menschen. Klärende Gespräche können da wieder Nähe und Vertrauen schaffen."
Kersten: "Generell sollte in einer Beziehung so viel Vertrauen herrschen, dass man den Partner nicht kontrolliert und dass es auch keinen Anlass dafür gibt, ihn beobachten zu müssen. Doch wenn man vermutet, dass der Partner fremdgeht, dann kann es durchaus legitim sein, den Partner zu kontrollieren, um Gewissheit zu erlangen."
Kann ich verhindern, dass mich der Partner betrügt?
Reicher: "Ja, wenn man ihn in Einzelhaft sperrt. Im Ernst: Ich werde nie verhindern können, dass Menschen einander sexy finden und Gefühle füreinander entwickeln. Im Gegenteil: Je mehr ich klammere, umso größer wird der Drang meiner Partner, auszubrechen. Wer wird schon gern ständig überwacht? Einen geliebten Menschen panisch an sich zu binden, erzeugt nur noch größeren Druck. Da hilft nur ehrliche Kommunikation."
Maurer: "Nein, es gibt keine Garantie für Treue. Es braucht beide, um ein gutes Fundament für die Partnerschaft zu schaffen. Beide Seiten müssen sich um ein gutes Klima bemühen – im Sinne von Vertrauen, Liebe und Zuwendung."
Kann eine offene Beziehung gut gehen?
Maurer: "Die Mehrheit von uns ist in familiären Strukturen groß geworden, in Zweierbeziehung oder Patchwork-Familiensystemen. Und so betrachtet haben die meisten von uns wenig Erfahrung mit offenen Beziehungen, was zu Schwierigkeiten führen kann. Dreieckskonstellationen können die Beziehungsqualität sehr 'verdünnen', das Einlassen blockieren und damit Distanz schaffen."
Kersten: "Eine offene Beziehung wird niemals funktionieren, wenn man sich aus Liebe zum Partner dafür entscheidet. Es kann unter Umständen gut gehen, wenn sich beide dafür entschieden haben und sie tatsächlich leben wollen. Doch ich denke auch, dass eine offene Beziehung gewisse Regeln benötigt, um funktionieren zu können."
"Wer liebt, geht nicht fremd" – stimmt das?
Reicher: "Das kommt ein bisschen darauf an, wie Fremdgehen definiert ist. Wenn es sich als Hintergehen getroffener Vereinbarungen, Schönfärberei oder Heimlichtuerei zeigt, hat es meiner Ansicht nach nicht viel mit Liebe zu tun. Gleichzeitig erkenne ich an, dass ich einen anderen Menschen nicht besitzen kann und meinerseits nicht besessen werden will. Ich habe in meinen polyamorösen Beziehungen die Freiheit, sowohl emotionale als auch sexuelle Begegnungen mit anderen Menschen zu genießen, und begrüße, dass meine Liebsten dieselbe Freiheit haben. Das ist jedoch kein Fremdgehen im herkömmlichen Sinn, weil es im vollen Wissen und der Zustimmung aller Beteiligten geschieht und das gesamte Beziehungsgeflecht bereichern kann. Ich würde also sagen: Wer liebt, ist vollkommen aufrichtig."
Maurer: "Viele Menschen sind der Meinung, dass man den Partner nicht betrügen soll und damit verletzt, wenn man ihn liebt. Allerdings gehen die meisten Menschen fremd, weil sie zum Beispiel sexuelle Befriedigung oder Anerkennung suchen und dabei gleichzeitig ihren Partner von ganzem Herzen lieben. In der heutigen Zeit müsste es deshalb heißen: Wer fremdgeht, kann auch lieben."
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