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7 Fragen an die Politik

Können wir PolitikerInnen noch vertrauen? Wie lässt sich Korruption verhindern? Und wie soll es weitergehen? Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle hat die wichtigsten Antworten – und Forderungen an das System.

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We need a change
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17. Mai 2019: Die Veröffentlichung des Ibiza-Videos versetzte Österreich in einen einen politischen Ausnahmezustand und bedeutete das Ende für die türkis-blaue Koalition. Kurz und seinem Kabinett wurde damals das Vertrauen versagt und er seines Amtes enthoben. Es war der erste Misstrauensantrag in der Geschichte der Zweiten Republik, der erfolgreich war. Kurz wurde zum Kanzler mit der kürzesten Amtszeit.

Nach einer Übergangsregierung nominierte die ÖVP Sebastian Kurz kurz darauf als Spitzenkandidaten für die Nationalratswahl. Sie erreichten einen klaren Wahlsieg mit 37,5 Prozent der Stimmen. Zusammen mit den Grünen formten sie eine Koalition.

9. Oktober 2021: Bundeskanzler Sebastian Kurz tritt zurück. Täglich werden neue Chatprotokolle präsentiert, die ihn in puncto Untreue und Bestechlichkeit belasten. Er bestreitet die Anschuldigungen. Es gilt die Unschuldsvermutung. In der Bevölkerung tun sich viele Fragen auf. Die sieben dringendsten beantwortet Politikwissenschaftlicher Kathrin Stainer-Hämmerle:

1. Können wir PolitikerInnen noch glauben?

Stainer-Hämmerle: "Ich würde davor warnen, zu verallgemeinern. Man muss differenzieren. In einzelnen Fällen ist viel Inakzeptables zu Tage getreten, unabhängig von den strafrechtlichen Vorwürfen. Es ist aber klar, dass nicht jeder Politiker oder jede Politikerin so ist. Man kann auch nicht von DEN Medien sprechen. Viel wichtiger ist es jetzt, festzustellen, was man zukünftig anders machen kann in puncto Transparenz, wo die Lücken waren und wie diese genutzt wurden. Was man sich aber schon auch eingestehen muss: Viele dieser Lücken kennen wir seit Jahren. Die Überschreitung der Wahlkampfkosten, die Stückelung der Spenden, die Debatte rund um die Inserate – all das war bekannt. Nur fehlte die Bereitschaft, von allen Parteien, hier mehr Transparenz zu forcieren. Es wurde zu wenig darauf reagiert."

2. Ist Österreich ein überdurchschnittlich korruptionsanfälliges Land?

"Nein. Sarkozy hat jetzt eine Haftstrafe ausgefasst, weil er fast das Doppelte der erlaubten Höchstsumme für seinen Präsidentschaftswahlkampf 2012 ausgegeben hat. Auch Italien sieht sich immer wieder mit Korruption konfrontiert. Was Österreich aber definitiv besonders macht: Dass es ein so kleines Land ist. Man kennt einander und die Grenze von Freundschaftsdienst in Richtung Einflussnahme, die politisch moralisch nicht in Ordnung oder sogar korrupt ist, verschwimmt häufig.

Die Frage ist: Wer trägt dafür die Verantwortung? Die, die die Macht haben zu entscheiden. Im Fall der Meinungsforscherin – und ich möchte ihr Tun keinesfalls verteidigen - zeigt sich, wie schwer es ist, sich in dieser Branche dem wirtschaftlichen Druck zu entziehen, wenn man überleben möchte. Das gilt auch für die Medien. Es ist nicht so einfach zu sagen, man verzichtet auf einen Teil des Zwei-Hundert-Millionen-Kuchens und weiß nicht, wie man das Geld sonst verdient. Das muss man ganz ehrlich diskutieren und Lösungen dafür finden."

3. Was braucht es für mehr Transparenz? Und lässt sich Korruption verhindern?

"Es geht um Kontrolle, Schutz der Justiz, gute Bedingungen für Medien, um weitere Missstände zu vermeiden. Dafür ist ein Parteienfinanzierungsgesetz nötig, mehr Kontrollmöglichkeiten des Rechnungshofes bei den Ausgaben der Parteien, besonders in Wahlkämpfen, ein Medienförderungssystem, mehr politische Bildung und öffentliche Debatten. Spielregeln setzen Standards und Maßstäbe. Es bedarf Aufklärung und Information – die parteiunabhängig passiert. Warum haben wir nicht ein großes Wirtschaftsforschungsinstitut, das wirklich neutral ist anstatt von drei, vier, die parteinah agieren?"

4. Was können WählerInnen tun?

"Sich nicht von Wahlversprechen blenden lassen, die, wenn man es sich genauer anschaut, nicht erfüllbar sind. Hinterfragen: Sind die Programmpunkte wirklich umsetzbar? Gerade jetzt haben wir durch die sozialen Medien so viele Möglichkeiten wie nie, uns Informationen einzuholen. Was aber auch bewusst sein muss: Diese Fülle führt oft zur Überforderung. Wir fragen uns: Was ist wahr? Was falsch? Den Umgang mit dieser Flut an Infos müssen wir lernen – in Schulen, aber auch gerade bei der älteren Bevölkerung erlebe ich immer wieder, dass sie der Overload stresst, weil sie nicht mehr in der Lange sind, so schnell alles zu hinterfragen und richtig einzuordnen."

Kathrin Stainer-Hämmerle
Kathrin Stainer-Hämmerle ist eine österreichische Politologin und unterrichtet Politikwissenschaft an der Fachhochschule Kärnten in Villach.

5. Wie kann man dem Informations-Chaos entgegenwirken?

"Es ist die Aufgabe der Medien, hier Aufklärungsarbeit zu leisten. Ihr Vertrauen ist momentan ähnlich beschädigt wie das der Politik. Umso wichtiger ist es jetzt, sich von unseriöser Berichterstattung deutlich zu distanzieren, noch mehr auf Qualität zu achten, die Recherchen zu intensivieren und die Inhalte so aufzubereiten, dass nicht nur die akademische Leserschaft, sondern alle sie verstehen."

6. Wie soll es weitergehen?

"Die Regierung hat kommuniziert, worauf sie sich jetzt konzentrieren: Budget, Pandemie, Pflege und Transparenzpakete. Es ist jetzt die Möglichkeit, ihre Reputation zu retten. Es werden täglich neue Chats publik. Es hängt davon ab: Wie entwickelt sich das Verfahren? Meine Prognose: Bis in den Frühling wird es die Regierung schon schaffen. Der Winter ist pandemiebedingt eine heikle Phase. Danach wird man sehen, ob sie noch weitere Vorhaben auf Schiene bringen."

7. Welche Folgen haben die ganzen Skandale international für Österreich?

"Die Italiener beschäftigt es wahrscheinlich am wenigsten, weil sie es aus eigenen Reihen kennen. Andere Länder reagieren fassungslos und enttäuscht. Man hat europaweit viel Hoffnung in die neuen Konservativen gesteckt. Kurz hat ein bürgerlich rechtes Programm versprochen und nun ist er entzaubert. Das macht auch Schaden für andere konservative Parteien in Europa."