Dicke Boots, Jeans und Sweatshirt: Als wir Sam Schweiger, 43, im Phil treffen, sitzt er schon breitbeinig am vorreservierten Tisch. Er begrüßt uns mit festem Händedruck und einem sympathischen Grinser im Gesicht. Nie im Leben würde man auf die Idee kommen, dass dieser Kerl vor 15 Jahren noch wie eine Frau ausgesehen hat!
Sam ist transsexuell. Nein, seine Geschichte hat "rein gar nix", wie er sagt, mit sexueller Orientierung zu tun. Transsexuelle (oder auch Transidente genannt) möchten vollständig in ihrem Identitätsgeschlecht leben. Und den eigenen Körper durch hormonelle und chirurgische Behandlungen an dieses Wunschgeschlecht - in Sams Fall das eines Mannes - angleichen. "Ich war schon immer ein Mann. Oder besser gesagt: Ein Mann im Körper einer Frau. Das wusste ich schon im Kindergarten. Ich lehnte meinen Körper ab und zog mich in eine Fantasiewelt zurück", erzählt Sam von seiner schwierigen Vergangenheit.

In der Pubertät wurde alles noch schlimmer. Depressionen, Ängste, mit 20 ein Nervenzusammenbruch. "Meine Sehnsucht nach einem Leben als Mann wurde immer stärker. Ich stand auf Frauen, aber nicht als Lesbe, sondern als Mann. Ich wusste: Das konnte ich mit meinem weiblichen Körper nicht ausleben." Das war vor über 20 Jahren. Heute hat der Wiener insgesamt neun Operationen hinter sich gebracht, engagiert sich in den Vereinen tabera.at und transmann-austria.at für Transidente und lebt seit 1,5 Jahren in einer glücklichen Beziehung mit einer Frau. "Ich bin bei mir selber angekommen."
DANKE, TESTOSTERON.
An sein "erstes Mal" unterm Messer kann er sich noch gut erinnern: "Ich ließ mir mit 28 beide Brüste entfernen. Ein unglaublich befreiendes Gefühl." Damals hieß Sam noch Sabine, arbeitete in einer Medienbeobachtungsagentur und hatte das Glück, von sehr toleranten Arbeitskollegen umgeben zu sein. Auch Eltern und Freunde wussten schon Bescheid, bevor er selber damit rausrückte. "Warum hast denn nicht schon früher was gesagt. Es war eh offensichtlich", erinnert er sich an die Reaktionen auf sein Outing.
Acht Jahre später der nächste Befreiungsschlag: die erste Testosteronspritze. "Ab diesem Zeitpunkt sprach mich keiner mehr als Frau an. Das war wie eine zweite Geburt. Meine Stimme wurde tiefer, mein Körper veränderte sich, die Haare am Kopf wurden weniger und die im Gesicht begannen zu sprießen. Ich feierte jedes neue Barthaar! Testosteron hat mich komplett verändert." Nicht nur körperlich. Auch Sams Seelenleben stellte sich auf den Kopf.
"Früher war ich immer ein zu emotionaler Mensch. Heute bin ich phlegmatisch! Wenn ich ein Problem ausdiskutiert habe, denke ich nicht mehr drüber nach. Aber ich weiß, was Östrogene mit Frauen machen, wie emotional und depressiv sie dadurch werden können. Testosteron hingegen ist großartig, macht selbstsicher und zufrieden. Ich trau mir heute viel mehr zu als früher", berichtet Sam von seinen Erfahrungen als Mann. Der Marketingberater merkt aber, dass er und seine Partnerin - im Unterschied zu früheren Freundinnen - oft aneinander vorbeireden. "Eigentlich wollte ich mir meine Rolle des Frauenverstehers, der beide Welten kennt, beibehalten. Das funktioniert leider nicht. Nicht nach sieben Jahren Testosteron."
Aber damit kann er leben. Auch damit, dass seine Harnröhre schon mehrmals operiert wurde, weil die Sache mit dem Penoid (Anm.: eine Penisprothese aus Hautlappen, Nerven und Blutgefäßen) nicht ganz so unkompliziert ist. Pinkeln im Stehen ist noch nicht drin, schmunzelt er. "Für mich gehört zur Sexualität aber nicht unbedingt nur ein Penis dazu. Zum Glück haben das meine Partnerinnen auch immer so gesehen. Frauen sind viel toleranter! Als Transfrau hast du es da schon schwieriger, weil viele Männer austicken, wenn sie checken, dass da vielleicht mal ein Penis war", weiß er.
"Für mich steht das Menschsein im Vordergrund. Jeder soll leben, wir er möchte, und sich nicht einschüchtern lassen. Aber es ist noch viel Aufklärungsarbeit nötig, um Berührungsängste verschwinden zu lassen. Erwachsene trauen sich nie, zu fragen: 'Bist du jetzt ein Mann oder eine Frau?' Und wenn, kommt meist nur, ob da was in der Hose ist", sagt Sam kopfschüttelnd, nimmt seine Kappe vom Kopf und fragt, ob's da jetzt eh keine Abdrücke auf der Stirn gibt. "Davon sieht man dann aber eh nix auf den Fotos, oder?"
"Ähm, Wo war ich stehengeblieben? Genau, bei meinem Geschlecht. Das sitzt nämlich im Kopf, nicht zwischen den Beinen." Angefeindet worden sei er in seinem Umfeld nie."Vielleicht, weil ich immer alles offen angesprochen habe. Das nimmt Menschen die Angst." Online schaut's da schon anders aus, Sam bloggt seit vielen Jahren über seinen Weg zum Mann (schweigsamer.at) und möchte anderen Transidenten Mut und Hoffnung geben. "Was da an Kommentaren kommt, ist schon grenzwertig. Aber das kann ich eh nicht ernst nehmen", sagt er und streichelt nochmal über seinen Kopf. "Einmal gelesen, schnell wieder vergessen!" Testosteron sei Dank.

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