Na, wonach hast du zuletzt im Internet gesucht? Ziemlich sicher bist du dabei auf Wikipedia gelandet - jener Website, die das moderne Wissen ausmacht. Seit Mai 2001 sind hier über zwei Millionen Artikel in deutscher Sprache entstanden. Befüllt wird das digitale Lexikon von seinen Nutzerinnen und Nutzern. Kostenlos. Dahinter steht hierzulande eine Frau: Claudia Garád ist Chefin von Wikimedia Österreich. Das heißt, sie ist verantwortlich für die gesamte "Wiki-Bewegung"."Dazu gehören neben Wikipedia auch viele andere Projekte wie etwa unser Wiktionary, Wikivoyage oder Wikidata", so die 37-Jährige.
HIER IST DAS WISSEN ZU HAUSE: Stolzenthalergasse 7, 1080 Wien. Kein stylisher Bürokomplex, wie man es von Konzernen wie Google, Apple oder Facebook kennt. Das kleine Office besteht aus drei Schreibtischen, einem Besprechungsraum, einem Communityraum. Die Österreich-Niederlassung der "Wikimedianer", wie sie sich nennen, ist überschaubar: Neben Claudia Garád arbeiten noch zwei fixe Mitarbeiter dort. Manchmal kommen Freelancer dazu. Den Großteil des Teams machen tausende Freiwillige aus, die von zu Hause mithelfen. Ihr Ziel: Freies Wissen schaffen und verbreiten.
"Mich fasziniert und motiviert das Engagement der Leute. Die meisten haben anspruchsvolle Jobs und stecken trotzdem so viel Energie rein", freut sich die Managerin. "Es entsteht ein irrsinniges Zusammengehörigkeitsgefühl, auch international." Vor Kurzem wurde Wikipedia in Österreich auf Platz eins der sympathischsten Marken gewählt. "Das macht uns stolz, vor allem in Zeiten, in denen Informationen von Internetplattformen kritisch hinterfragt werden. Auf Facebook machen oft Falschmeldungen die Runde. Wir haben für den Umgang mit Fake News viele Sicherheitsmaßnahmen und sind ein positives Beispiel dafür, wie es funktionieren kann."
Von Fake News und warum die Seite von Strache gesperrt wurde
Fehler werden sofort gemeldet. Und schaffen es im Normalfall nicht einmal bis zum Online-Status: "Unsere Mitglieder haben einen hohen Qualitätsanspruch. Aussagen und Fakten müssen durch seriöse Quellen belegt werden. Jeder, der an einem Artikel mitgearbeitet hat, bekommt eine Benachrichtigung, wenn daran etwas verändert wird. So fällt auch schnell auf, wenn jemand Vandalismus betreibt und nur ,Penis Penis Penis' schreibt. Das wird gleich gelöscht."
Wer in der deutschsprachigen Wikipedia mitarbeiten will, muss sich sein Vertrauen erst "verdienen". Nur Engagierte, die bereits rund 150 Beiträge bearbeitet haben, dürfen auch live editieren. Alle anderen Artikel werden von langjährigen Autoren gesichtet, bevor sie es ins Netz schaffen. Diese Qualitätsmaßnahmen haben aber auch ihre Schattenseiten. Etwa, wenn es um bekannte Persönlichkeiten geht, die gern den einen oder anderen Fehltritt aus ihrer Vita gelöscht hätten. Garád erklärt: "Das geht nicht so einfach. Sobald es einen Beleg für eine Entgleisung gibt, zum Beispiel einen Zeitungsartikel, bleibt das auch in der Wikipedia und ist nicht mehr rauszubekommen.
Viele glauben ja, wir sind eine Textagentur und sie können hier anrufen und ihre Wünsche in Auftrag geben. Aber Wikipedia ist kein Wunschkonzert!" Namen verrät die in Wien lebende Deutsche hier natürlich keine. Nur so viel: "Wir sind weder politisch noch von anderen beeinflussbar. Trotzdem gelten für die Beiträge von Politikern manchmal Sonderbedingungen. Im Wahlkampf waren die Seiten von Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache halb gesperrt: "Das war in den USA bei Trump und Clinton ähnlich. So wollen wir ein bisschen Ruhe reinbringen, wenn es gerade heiß hergeht. Und verhindern, dass tagesaktuelle Infos reingehauen werden, die vielleicht gar nicht stimmen. Also dürfen nur erfahrene Nutzerinnen und Nutzer daran schreiben."
LEBEN IM WIKIVERSUM. Wie wird man denn eigentlich Wiki-Chefin? "Recht einfach", lacht Garád. "Ich habe mich auf eine Stellenausschreibung beworben, die ich in der Zeitung gelesen habe. Der Bewerbungsprozess war dann aber weniger klassisch." Kein Assessment Center, keine langwierigen Tests. "2012 gab es noch kein Büro in Österreich, es war ein ehrenamtlicher Verein. Das erste Treffen mit zwei Vorstandsmitgliedern und einem Kollegen aus Deutschland hatte ich im Hinterzimmer einer Pizzeria, das zweite am Flughafen." Dann war es recht schnell entschieden. Seit fünf Jahren unterstützen sie und ihr Team die freiwilligen Mitarbeiter in vielen Belangen: "Wir stellen Equipment für Foto- oder Tonaufnahmen zur Verfügung. Und wir schauen auch, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen und finanziellen Mittel für unsere Arbeit gegeben sind."
Finanziert wird das weltweite Projekt über Spenden: "Das soll auch so bleiben. Wir wollen keine Werbung. Wer will schon einen Artikel über Erdöl lesen, der von einem Mineralölkonzern gesponsert wird? Das würde alle Nutzer verschrecken und wäre unglaubwürdig." Die Organisation will dem kostenfreien Konzept treu bleiben. Obwohl es laut Theorie nicht funktionieren kann. "Die Freiwilligen investieren so viel Zeit und Arbeit, erhalten aber weder Gehalt noch Prestige im klassischen Sinn dafür. Der Motivationsforschung zufolge ist so ein System quasi unmöglich. In der Praxis geht es aber!"
Garád sieht das Erfolgsrezept in der Community: "Sie erarbeiten sich durch die Anzahl ihrer Beiträge eine bestimmte Position in der Gruppe. Und sie setzen ein digitales Denkmal. Es ist ein tolles Gefühl, wenn man einen Artikel schreibt, und der erscheint dann als erstes oder als zweites Suchergebnis, wenn man danach googelt." Da geht es der Chefin gleich wie den Mitarbeitern: "In einer anderen Firma würde ich in so einer Position bestimmt mehr verdienen, aber ich mache meinen Job nicht fürs Geld."
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