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Sollen Frauen bei Impfungen nachgereiht werden, weil Männer häufiger an COVID-19 sterben?

Nach einem Artikel der deutschen Wochenzeitung "Die Zeit" wird in sozialen Netzwerken heftig diskutiert, ob Männer bei der Corona-Impfung bevorzugt werden sollen. Der Hintergrund: Sie erkranken oft stärker an COVID-19. Wir haben eine Gendermedizinerin dazu befragt.

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Sollen Frauen bei Impfungen nachgereiht werden, weil Männer häufiger an COVID-19 sterben?
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Aktuell reißen sich alle Nationen um ein wertvolles Gut: die Corona-Schutzimpfung. Da größere Mengen erst produziert werden müssen, werden besonders gefährdete Personen als Erste geimpft: In Österreich sind das Menschen in Alters- und Pflegeheimen sowie Hochrisikogruppen und medizinisches Personal. Zählt es jedoch auch schon als Risiko, ein Mann zu sein?

Statistiken zeigen: Männer versterben häufiger an COVID-19 als Frauen. Sie neigen zu schwereren Krankheitsverläufen, außerdem ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass sie Beatmungsmaschinen brauchen.

Warum sterben Männer häufiger an COVID-19?

Laut einer Studie, die im Fachblatt "PNAS" veröffentlicht wurde, nehmen Frauen das Virus sowie die damit einhergehenden Einschränkungen ernster als Männer. Sie waschen sich gründlicher die Hände, halten mehr Abstand und achten verstärkt auf mögliche Symptome. Vielfach gehen MedizinerInnen auch davon aus, dass Männer einen ungesünderen Lebensstil pflegen, häufiger rauchen und seltener zum Arzt oder zur Ärztin gehen. Darüber hinaus mehren sich die Hinweise, dass medizinische Faktoren für einen Geschlechterunterschied bei COVID-19-Erkrankungen verantwortlich sind. Aber sollten Männer deswegen echt zur Risikogruppe gezählt werden? Und sogar vor Frauen die Schutzimpfung erhalten, wie in einem aktuellen Kommentar mit dem Titel "Männer first!“ auf Zeit.de gefordert wird? Wir haben bei Univ. Prof.in Dr.in Alexandra Kautzky-Willer, die Leiterin der Abteilung für Gendermedizin an der MedUni Wien, nachgefragt:

Wie beurteilen Sie die Forderung, derzufolge Männer zuerst geimpft werden sollen?
Kautzky-Willer: "Männer first" bei der Impfung? Nein, ein Kampf der Geschlechter ist weder hier noch sonst angesagt! Richtig ist, dass bei einer COVID-19-Erkrankung Männer öfter schwere Verläufe mit Intensivbehandlung und Beatmung benötigen. Auch die Sterblichkeit ist bei Männern etwas höher (57 % in Österreich): Auf 10 Todesfälle bei Frauen kommen 12 bei Männern in Österreich und Deutschland.

»Frauen erkranken gleich häufig oder sogar häufiger.«

Allerdings erkranken Frauen gleich häufig oder sogar etwas häufiger. Außerdem nähert sich die Gender-Sterbe-Ratio seit einigen Monaten in Österreich und Deutschland zunehmend an. Frauen sind bei der Pflege von Angehörigen sowie in Gesundheitsberufen, wo Frauen zirka 70 Prozent und den Großteil der Infizierten ausmachen, vorrangig einer Ansteckungsgefahr ausgesetzt. Damit sind sie bei Erkrankung als Überträgerinnen für die Pflegebedürftigen besonders riskant. Auch in vielen anderen „systemrelevanten Berufen“ überwiegen Frauen.

Das männliche Geschlecht ist zwar ein Risikofaktor, jedoch haben das Alter und Vorerkrankungen wie Diabetes, Nieren- und Herzkreislauferkrankungen, COPD oder Adipositas einen stärkeren Einfluss.

Univ. Prof.in Dr.in Alexandra Kautzky-Willer ist Fachärztin für Innere Medizin und die erste Professorin für Gendermedizin an der Medizinischen Universität Wien sowie Leiterin der Klinischen Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechsel.


Warum erkranken Männer schwerer an COVID-19?
Kautzky-Willer: Das liegt sowohl an biologischen wie auch psychosozialen Unterschieden. Biologische Vorteile der Frauen sind die stärkere "X-Chromosom-Gendosis" sowie die weiblichen Sexualhormone, was mit einem stärkeren Immunsystem einhergeht. Zu den anderen Gründen gehört, dass Männer verglichen mit Frauen vor allem in jüngeren Jahren häufiger Vorerkrankungen mit höherem Risiko aufweisen, wie Krankheiten der Atemwege und des Herz-Kreislaufsystems einschließlich Bluthochdruck, Krebserkrankungen, Diabetes oder Adipositas. Dazu kommen Unterschiede im Risikoverhalten, in Hygienemaßnahmen, dem Lebensstil und Rauchen.

Welche Rolle spielen weibliche Hormone in Bezug auf das Immunsystem?
Kautzky-Willer: Die weiblichen Sexualhormone Östrogen und Progesteron begünstigen eine effektive Immunantwort mit stärkerer Antikörperbildung, robusterer T-Zell-Aktivierung und rascherer Viruseliminierung. Schädliche Entzündungsprozesse werden abgeschwächt. Männliche Sexualhormone erleichtern den Eintritt der Viren in die Zellen und haben eine eher dämpfende Wirkung auf das Immunsystem. Es laufen sogar Studien zum Einsatz von Östrogen bei COVID-19-kranken postmenopausalen Frauen oder von Progesteron bei erkrankten Männern.

»Studien belegen, dass postmenopausale Frauen ein höheres Risiko haben, unabhängig vom Alter.«

Was ändert sich nach der Menopause?
Kautzky-Willer: Der weibliche Hormonschutz geht verloren, die Krankheitsmuster gleichen sich mit zunehmenden Alter immer mehr an. Einige Studien belegen, dass postmenopausale Frauen ein höheres Risiko als prämenopausale Frauen haben, unabhängig vom Alter. Vor allem im höheren Alter überwiegen bei den COVID-19-Erkrankungen die Frauen.

Gibt es auch für junge Frauen "Nachteile"?
Kautzky-Willer: Ja, wenn im Zeit-Artikel schon auf die Reproduktion angespielt wird, so sollte hier auf eine tatsächliche mögliche Ungleichbehandlung hingewiesen werden: Obwohl mittlerweile Daten belegen, dass Schwangere im Fall einer COVID-19-Erkrankung ein stark erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf, eine notwendige Intensivbehandlung bis hin zu einer höheren Sterblichkeit von Mutter und Kind aufweisen, sind diese derzeit von Impfungen ausgeschlossen. Weil die Daten dazu aus den Studien unzureichend sind. Das sollte möglichst schnell in Studien nachgeholt werden, damit junge Frauen nicht weiter verunsichert werden. Man könnte auch darüber diskutieren: Sollen Frauen mit Kinderwunsch aus diesen Gründen vorgereiht werden? Schließlich geht es hier ebenso um die Zukunft beider Geschlechter.

»Man könnte auch darüber diskutieren: Sollen Frauen mit Kinderwunsch vorgereiht werden? Schließlich geht es hier ebenso um die Zukunft beider Geschlechter.«

Frauen trifft die Corona-Krise in anderer Hinsicht härter

Frauen leiden häufiger an Langzeitfolgen von COVID-19 - kennt man dafür bereits Gründe ?
Kautzky-Willer: Das betrifft insbesondere die psychischen Langzeitfolgen, posttraumatische Belastungsstörungen, Angstzustände und Depressionen. Frauen haben generell ein höheres Risiko für psychische Erkrankungen und sind durch Mehrfachbelastung mit Home Office, Home Schooling, Haushalt und unbezahlter Pflege oft zusätzlich massiv belastet. Ungleichheiten werden gerade in Krisenzeiten verstärkt.

Ist die Impfung zu gleichen Teilen an Männern und Frauen getestet worden?
Kautzky-Willer: In den Studien ist das Verhältnis ausgeglichen (beispielsweise bei Biontech 49 % Frauen). Es ist wichtig, dass die Daten zu den Impfungen, möglichen Nebenwirkungen und der Langzeit-Wirksamkeit nach Geschlecht getrennt weiter beobachtet und ausgewertet werden. Bisher sind wenige allergische Reaktionen bekannt, die meisten traten bei Frauen auf. Aufgrund der derzeit priorisierten Altersgruppen und PflegeheimbewohnerInnen werden wohl im Moment mehr Frauen als Männer geimpft.

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