Die Eintragungswoche für das Frauen*Volksbegehren findet von 1. bis 8. Oktober statt. Die Forderungen umfassen neun Themengebiete, die WOMAN.at im Rahmen einer Serie analysiert. Was beinhalten die Forderungen? Was sagen Expertinnen und Experten dazu? Was würde sich für Frauen in Österreich ändern? Beim Thema "Gewalt verhindern" geht es darum, Maßnahmen zu schaffen, die Gewalt wirklich verhindern sollen und nicht nur darauf zu reagieren.
Was fordert das Frauen*Volksbegehren?
- Den bundesweiten Ausbau von staatlich finanzierten und rechtlich abgesicherten, leicht zugänglichen, kostenfreien Einrichtungen und Beratungsstellen für alle gewaltbetroffenen Frauen und ihre Kinder
- Den Ausbau der Kooperation zwischen Behörden, Gerichten und Gewaltschutzzentren
- Verstärkte Sensibilisierungsprogramme in Schulen, der Justiz und der Polizei sowie Präventionsprogramme und Antigewalttrainings für Gefährdende
Warum sind diese Maßnahmen notwendig?
Das Österreichische Institut für Familienforschung führte 2011 eine Untersuchung über Gewalt in der Familie sowie im nahen sozialen Umfeld durch. Insgesamt wurden 1.292 Frauen und 1.042 Männer im Alter zwischen sechzehn und sechzig Jahren befragt. Die Auswertungen zeigen, dass nur 7,4 Prozent der befragten Frauen und 14,7 Prozent der Männer noch NIE Gewalt erlebt hat.
Die Studie zeigt, dass für viele Frauen das Zuhause der gefährlichste Ort ist
Wer diese Gewalt jeweils ausübt, ist jedoch stark abweichend: Männer sind in erster Linie im öffentlichen Raum gewalttätigen Übergriffen ausgesetzt, Frauen hingegen in dem Bereich, wo man sich eigentlich am sichersten fühlen sollte: 90 Prozent sämtlicher Gewalttaten gegen Frauen werden nach Schätzungen der Polizei in der Familie und im sozialen Nahraum ausgeübt. Und die Dunkelziffer der nicht angezeigten Vorfälle ist bei familiärer Gewalt immer noch sehr hoch.
Bei 67,2% der Sexualdelikte sind Täter den Opfern bekannt, in 27,9% der Fälle stehen Täter und Opfer sogar in einer familiären Beziehung zueinander. Laut der aktuellsten Studie zum Thema, dem Kriminalitätsberichtes des Innenministeriums 2016, stehen in nur 30,1% der Sexualdelikte das Opfer und der Täter in keiner Beziehung zu einander (Stichwort „Fremdtäter“). Und nur in 2,7% der strafbaren Handlungen ist die Täter-Opfer-Beziehung komplett unbekannt.
Sexuelle Belästigung oder sexuelle Gewalt ist darüber hinaus eine Form von Gewalt, die vornehmlich Frauen angetan wird. Insgesamt haben laut dieser Umfrage bereits 3 von 4 Frauen im Gegensatz zu 1 von 4 Männern Erfahrungen mit sexueller Belästigung gemacht.
Die Verantwortung dafür wird jedoch immer noch oft den Opfern zugeschoben (aufgrund von Kleidung, Alkoholkonsum oder vermeintlichen Verhalten). Dabei sind sexuelle Gewalt oder Vergewaltigungen jedoch kein Sex-Skandal, kein Missverständnis und kein Ausrutscher sondern eine gewalttätige Straftat, die auch immer als solche bezeichnet und strafverfolgt werden soll.
- Jede fünfte Frau ist ist in Österreich von körperlicher oder psychischer Gewalt betroffen, viele mehrmals in ihrem Leben.
- Drei von vier Frauen sind von sexueller Belästigung betroffen.
- Ein Großteil der gewalttätigen Übergriffe finden in der Familie und im Bekanntenkreis statt, sexuelle Übergriffe oft auch im öffentlichen Raum.
- Betrachtet man das Thema EU-weit, so ist häusliche Gewalt die Hauptursache für den Tod oder die Gesundheitsschädigung bei Frauen zwischen 16 und 44 Jahren und rangiert damit noch vor Krebs oder Verkehrsunfällen.
- Aktuelle Kampagnen wie #metoo zeigen auf, dass vor allem sexuelle Belästigung und Gewalt Alltag von Millionen von Frauen weltweit und auch in Österreich ist.
- Aufgrund der fehlenden Finanzierung von Frauenhäusern mussten im Jahr 2015 über 350 schutzbedürftige Frauen und Kinder abgewiesen werden.
- Frauen, die um Asyl ansuchen oder einen prekären Aufenthaltsstatus haben, sind oft nicht in die Zielgruppe von vertraglichen und gesetzlichen Regelungen inkludiert.
- Dabei trifft diese Gewalt Frauen aus allen Schichten, jeder religiösen und ethnischen Zugehörigkeit, jedes Einkommens, Alters oder Familienstands.
In Österreich ist die Gesetzgebung zum Gewaltschutz zwar im Vergleich mit anderen Nationen bereits sehr fortschrittlich, bei der Umsetzung jedoch sieht es etwas anders aus. Denn es fehlt in diesem Bereich immer noch an öffentlichen Geldern. Schätzungen zufolge fehlen für einen wirksamen Gewaltschutz in ganz Österreich bis zu 200 Millionen Euro. In Folge gibt es zu wenige Frauenhäuser und spezialisierte Zufluchtseinrichtungen sowie zu wenig Geld für Täterarbeit und Gewaltprävention.
Warten auf Ergebnisse der "Taskforce Strafrecht"
Dass zuletzt die Polizei aus einem international gelobten Gewaltschutzprojekt - den sogenannten "Fallkonferenzen" (MARAC) - in denen von Opferschutzorganisationen Justiz und Polizei gemeinsam die Gefährdung, die von einem bereits weggewiesenem Gewalttäter ausgeht, besprochen wurde, ausgestiegen ist, sorgt vielerorts für Unverständnis. Vor allem vor dem Hintergrund, dass in Österreich alleine in diesem Jahr schon 16 Frauen von ihren (Ex-)Partnern ermordet wurden. WOMAN.at hat berichtet. Auch wenn von Seiten des Frauenministeriums immer wieder betont wird, der Gewaltschutz stehe an oberster Stelle und man habe große Erwartungen an die von Staatssekretärin Karoline Edtstadler (ÖVP) einberufene "Taskforce Strafrecht" - diese wird aber frühestens im ersten Quartal 2019 Ergebnisse liefern.
Kommunikationspolitik zulasten von Gewaltopfern?
Ein weiterer Punkt, der Anlass zur Sorge über den Umgang mit Opfern von Gewalt gibt, ist jenes Mail aus dem Innenministerium, das Österreich in den vergangenen Tagen in die internationalen Schlagzeilen gebracht hat. Denn neben Einschränkungen in Sachen Zugang zu Informationen für kritische Medien, werden die Landespolizeidirektionen darin auch dazu aufgefordert, Sexualdelikte verstärkt zu kommunizieren. KriminalsoziologInnen und Opferschutzinstitutionen kritisieren das in doppelter Hinsicht: Einerseits würde eine verstärkte Kommunikation von Sexualdelikten dafür sorgen, dass die Anzahl der Delikte von der Bevölkerung überschätzt würden und andererseits auch die Wahrnehmung davon, wo Frauen Gefahr droht, fehlgeleitet würde. Denn wie die Zahlen zeigen, sind Frauen in den eigenen vier Wänden wesentlich stärker gefährdet, als im öffentlichen Raum. Das berge "die große Gefahr der Verzerrung", so Maria Rösslhumer, Geschäftsführerin der Autonomen Österreichischen Frauenhäuser. Sie weist außerdem darauf hin, dass eine verstärkte Kommunikation dieser Delikte, zu einer Retraumatisierung der Opfer führen kann.
Wir haben mit Ina Mastnak, Geschäftsführerin von TARA, der Frauenberatungsstelle bei sexueller Gewalt Steiermark über Prävention und Täterarbeit gesprochen:
Was gäbe es für Möglichkeiten der Prävention von Gewalt?
Mastnak:
Wichtig sind Workshops, Gespräche und Trainings mit Kindern, Jugendlichen und Menschen jeglichen Alters, um über sexuelle Integrität beziehungsweise über Grenzen aufzuklären: Vor allem um die eigenen als auch die fremden Grenzen zu kennen und diese nicht zu überschreiten. Denn vielen Tätern ist nicht einmal bewusst, dass sie Täter sind und bereits Grenzen überschritten haben. Diese Aufklärung findet idealerweise in gemischten Gruppen mit Männern und Frauen statt, um nicht alle Männer unter Generalverdacht zu stellen.
Ebenso eine große Rolle spielt die mediale Berichterstattung und das öffentliche Thematisieren von sexueller Gewalt. Diese sollte stets sehr sensibel und nicht reißerisch gestaltet sein - und selbstverständlich ohne damit Rückschlüsse auf das Opfer zuzulassen. Und vor allem sollte dabei über die größte Problematik von Gewalt gegen Frauen gesprochen werden: dass die Täter in erster Linie die Partner, Ehemänner, Bekannte oder Personen aus der Familie sind.
Warum wird bei der Prävention hauptsächlich auf die Opfer fokussiert und so selten auf die Täter?
Mastnak:
Das ist leider immer noch der verdrehte Zugang unserer patriarchalen Gesellschaft. Nach Vergewaltigungen werden Mädchen oder Frauen immer noch häufig gefragt: "Was hast du denn gemacht, dass das passiert ist?" Man fokussiert zu sehr darauf, was das Opfer gemacht hat und nicht welche Straftat der Täter. So wird beispielsweise schon kleinen Mädchen geraten nicht in der Nacht alleine unterwegs zu sein und auch damit Verantwortung den potenziellen Opfern zugeschoben.
Daher ist der Vorstoß der Staatssekretärin im Innenministerium, Karoline Edtstadler (ÖVP), mit ihrer versprochenen Task-Force in Bezug auf Opferschutz und Täterarbeit ein guter Ansatz. Diese sollte jedoch nicht zu finanziellen Lasten bisher bestehender Institutionen des Opferschutzes umgesetzt werden.
Sexualisierte Gewalt ist immer noch mit Scham verbunden (Stichwort: vermeintliche Mitschuld) und wird daher oftmals gar nicht oder spät, wie uns etwa auch die aktuelle Debatte aus den USA rund um einen Richterkandidaten für den Obersten Gerichtshof zeigt, angezeigt. Wie kann hier gegengesteuert werden?
Mastnak:
Auf verschiedenen Ebenen: Wird einerseits mehr und eben nicht reißerisch über sexuelle Gewalt berichtet und gesprochen, sehen Opfer, dass sie nicht alleine sind. Aber auch strafrechtlich muss mehr passieren und Täter öfter verurteilt werden. Die Chancen, dass Verfahren zugunsten der tatsächlichen Opfers ausgehen, müssen verbessert werden. Und die Chancen einer Gegenanzeige vom Täter wegen Verleumdung verringert. Dabei helfen kann, eine Opferschutzeinrichtung in Anspruch zu nehmen - beispielsweise bieten wir bei TARA eine kostenlose juristische und psychosoziale Prozessbegleitung, von der Anzeige bis zum Prozessende.
Welche Vorteile würde es bringen, wenn Behörden, Gerichte und Opferschutzeinrichtungen enger zusammen arbeiten?
Mastnak:
Eigentlich gibt es nur Vorteile für alle Beteiligten, aber vor allem für die Opfer. Sie werden besser psychologisch aber auch praktisch sowie juristisch unterstützt. Den Behörden wird ebenso viel an Aufwand abgenommen, da in Kooperation die Frauen besser über Abläufe informiert werden und darüber, was sie im Falle einer Anzeige erwartet. Für die bessere Zusammenarbeit müssen bei sexueller Gewalt jedoch erst noch gesetzliche Grundlagen geschaffen werden.
Da die Forderungen des 1. Frauenvolksbegehrens 1997 nur unzureichend oder überhaupt nicht verwirklicht wurden, sahen sich die Vertreterinnen und Vertreter des neuen Frauen*Volksbegehrens dazu berufen, die Forderungen noch einmal aufzurollen, zu aktualisieren und wieder in den gesellschaftlichen Diskurs zu bringen und starteten eine der größten feministischen Bewegungen Österreichs. In der Woche von 1. bis 8. Oktober ist 7 Tage lang Zeit, das Frauenvolksbegehren auf jedem Gemeindeamt (Bezirksamt in Wien) unabhängig der eigenen Gemeinde zu unterschreiben. Wichtig: Für eine gültige Unterschrift wird ein amtlicher Ausweis benötigt. Volksbegehren müssen von mindestens 100.000 Stimmberechtigten unterschrieben werden, damit sie im Nationalrat behandelt werden. Mehr Infos findet ihr auf frauenvolksbegehren.at.
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