Kaum eine Zeitung weltweit, die dem Ereignis nicht zumindest ein paar Zeilen widmete: Frau heiratet sich selbst. Die Thailänderin Chen Wei Yi, 30, war kürzlich ganz allein vor den Altar getreten. Mit Brautkleid, Ring, Hochzeitsfeier, Gästen und allem Drum und Dran. Ihre Erklärung: "Wir müssen uns selbst lieben, bevor wir andere lieben können."
Zur Demonstration gab sie sich selbst das Jawort und schwor sich ewige Treue. Ob die Büroangestellte seither auf rosaroten Wolken schwebt, ist nicht bekannt. Unbestritten ist, dass sie mit ihrer Aktion einem Thema die Ehre gab, das zu den wichtigsten für jeden Menschen zählt.
Das, so befürchtet Lebenscoach Michael Adam, "sogar schon etwas abgelutscht" scheint, aber nach wie vor der Schlüssel zur Bewältigung vieler Probleme und Herausforderungen ist. An "Liebe dich selbst" kommt man auf der Suche nach einem glücklichen Leben einfach nicht vorbei.
Wobei Aktionen wie die von Chen Wei Yi zwar spektakulär sind, aber nichts über den wahren Seelenzustand eines Menschen aussagen. "Das Wichtigste", weiß Sabine Standenat, klinische Psychologin, "ist, dass ich es auch wirklich glaube: dass ich eine tolle Frau bin und das Beste verdiene!"
Bei der Selbstliebe geht es nämlich darum, die tiefe Überzeugung zu entwickeln, dass es vollkommen in Ordnung ist, wenn es einem gut geht - und zwar in jedem Lebensbereich. "Die meisten", so die Expertin, "haben mehr oder weniger das Programm 'Es muss gelitten werden' im Unterbewusstsein gespeichert. Und damit feiern sowohl Selbstblockaden als auch immer wieder schwierige Lebensumstände, die man instinktiv anzieht, fröhliche Urständ" - sei es in der Partnerschaft, im Arbeitsleben, im Freundes- oder Familienbereich.
Lieben mit Fehlern
Und es geht darum, sich da zu lieben, wo man gerade steht. Mit Übergewicht, dem einen oder anderen Fehler, Falten, schlimmen Erlebnissen, Schulden, Krankheit, Behinderungen, einer traumatischen Kindheit. "Keiner von uns ist perfekt", erinnert Standenat, die auch Seminare zum Thema hält (Infos:
www.standenat.at
), "und wer mit der Selbstliebe wartet, bis alles passt, verpasst alles!"
"Als Babys wurden wir bedingungslos geliebt", ergänzt Michael Adam ( www.sonnenscheinseminare.att ), "so wie wir waren. Aber irgendwann haben wir Dinge gesagt und getan, die nicht den Vorstellungen der Eltern entsprachen. Wir mussten die Erfahrung machen: Wenn ich nicht brav funktioniere, werde ich nicht geliebt!"
In der Schule wurden wir nach Leistungen bewertet, bei schlechten Ergebnissen mit weniger Zuneigung bedacht, und in der Pubertät kamen die ersten gebrochenen Herzen dazu. Letztendlich waren jene Erfahrungen, bei denen wir uns nicht geliebt fühlten, wesentlich stärker. Und in unser Innerstes ritzte sich die Überzeugung ein: Ich bin nicht liebenswert.
Bin nicht wichtig
Die Psychologin kann das nur bestätigen: "Die meisten von uns haben in der Kindheit nicht die Zuwendung, Unterstützung und Wertschätzung erhalten, die sie gebraucht hätten. Daraus schließt das Kind unbewusst: Ich bin nicht wichtig, bin nicht gut genug. Wenn dieses unbewusste Muster nicht entdeckt und korrigiert wird, schleppt man es ein Leben lang mit."
Die Merkmale
Die Grundstimmung eines Menschen, der sich selbst nicht genug liebt, ist überwiegend traurig, unzufrieden, wütend, gekränkt, voll Groll, ängstlich, depressiv, neidig oder hoffnungslos. Selbstliebe bedeutet das Gegenteil: weg vom Schmerz, hin zur Freude!
Aber wie kann ich nun einschätzen, wie es um "mich mit mir" tatsächlich steht? Sabine Standenat hat in sieben Punkten zusammengefasst, was typische Merkmale von Nicht-Liebe sind: Selbstabwertung, Verdrängen von Gefühlen und Problemen, übertriebener Perfektionismus, Kontakt mit Menschen, die einem nicht gut tun, Nicht-Setzen von Grenzen und die Unfähigkeit, Hilfe anzunehmen.
Das Beste rausholen
Wie stark oder schwach Selbstliebe ausgeprägt ist, zeigt sich nicht nur in der Partnerschaft, sondern in allen Lebensbereichen. In der Art, wie man kommuniziert und anderen gestattet, mit einem zu kommunizieren, in der Art, wie man seinen Wohnraum gestaltet, wie man mit seiner Seele und seinem Körper umgeht, aber auch, wie man sich präsentiert.
Frauen, die erklären, es sei ihnen egal, wie sie aussehen, lieben sich überhaupt nicht, stellt die Expertin klar. Es muss stattdessen heißen: "Ich bin vielleicht nicht Claudia Schiffer, aber I can be the best me I can be."
Wer sich selbst nicht mag, wird nach den Gesetzen von Aktion und Reaktion bzw. Resonanz ebensolche Menschen in sein Leben ziehen. "Partner, die uns nicht wirklich lieben, Vorgesetzte, die uns nicht mögen, Nachbarn, die anscheinend Streit suchen", zählt Michael Adam auf. "Sobald wir uns selbst lieben, hört es auf, wichtig zu sein, was andere über uns denken. Wir müssen keine verrückten Dinge mehr tun, nur damit wir uns die Liebe von gewissen Menschen, verdienen'! Denn wir fühlen tief in uns drinnen: Wir sind liebenswert - aus, Schluss, Basta!"
Im Zustand der Eigenliebe sind wir mit jenen Menschen in Resonanz, die uns gerne und bereitwillig ihre Zuneigung schenken. Zwei Partner, die mit sich selbst in Einklang stehen, gehen liebevoll und mit gegenseitiger Wertschätzung miteinander um. Konflikte bringen sie noch näher zueinander, weil einer den anderen nun noch besser versteht. "Alte Wunden", so Sabine Standenat, "kann zwar nur jeder selber heilen, aber ein Partner kann mir dabei helfen oder die Wunden noch vertiefen."
Wer sich nicht selbst liebt, kann hingegen auch niemand anderen lieben, denn sein Herz hat sich verschlossen. "Das hat das Herz einmal aus gutem Grund getan, weil der Schmerz sonst unerträglich geworden wäre", so Standenat. "Als Erwachsener hat man aber andere Möglichkeiten, mit Verletzungen umzugehen, denn als Kind. Wer sein Herz wieder öffnet, schafft die beste Voraussetzung dafür, auch einen Partner zu finden, dessen Herz offen ist."
Der erste Schritt
Die große Frage ist allerdings: Wie mach ich das? Wie lerne ich, mich selbst mehr zu lieben? "Der erste Schritt", so die Psychologin, ist eine ehrliche Bestandsaufnahme. In welchen Bereichen zeigt es sich, dass ich nicht genug von mir halte?" Dann geht es darum, zu folgender Einstellung zu kommen: Egal, wie es bisher war: Ich bin kein Opfer. Ich habe die Macht, mein Leben zum Besseren zu verändern. Ich verdiene es, glücklich zu sein.
Therapie erwägen
Dann sollte man ganz pragmatisch überlegen: In welchem Bereich kann ich beginnen, etwas zu verändern? Manchen fällt das im Privatleben leichter, anderen im Beruf. Wer sich noch gar nichts traut, soll zunächst einfach Informationen sammeln. Wichtig ist: sich helfen lassen.
"Es ist keine Schande, in Therapie zu gehen", betont Standenat, die auch ein Buch zum Thema geschrieben hat: "Lerne dich selbst zu lieben, dann liebt dich das Leben" (Droemer Knaur, 8,95).
Helfen kann es auch, Sätze zu suchen, die Mut und Kraft geben, und diese an den Badezimmerspiegel oder den Computer zu kleben. Etwa: Ich bin eine tolle Frau und verdiene nur das Beste. Bleib dir selber treu. Tu alles, um dich selbst glücklich zu machen. Wenn man sich's oft genug vorsagt und zu verinnerlichen versucht, wird man es (hoffentlich) auch eines Tages wirklich glauben.
Und immer daran denken: Gefühle, die man anderen entgegenbringt - Geduld, Mitleid, Verständnis, Vergebung -, soll man genauso für sich selbst hegen.
Listen machen
Lebenscoach Michael Adam hält viel von der Aussöhnung mit den eigenen Schattenseiten. Er nennt es, die Sonnen- und die Schattenkönigin zu integrieren. "Schreiben Sie zwei Listen. Zuerst eine mit all Ihren Schattenseiten - was mag ich nicht an mir, was gefällt mir an meinem Körper nicht, was nicht an meinem Wesen? Auf die zweite Liste kommt alles, was Sie an sich schätzen: Augen, Beine, Humor, Verlässlichkeit, gute Zuhörerin, einfühlsam usw."
In seinen Seminaren erlebt Adam immer wieder, wie erstaunt die Teilnehmer sind, wenn die Sonnenliste länger ist. Sie haben es umgekehrt erwartet. "Das liegt daran", weiß er, "dass alles, was uns belastet, was wir nicht mögen oder als unschön empfinden, unsere Aufmerksamkeit wesentlich mehr in Anspruch nimmt als das Umgekehrte." Schon in der Schule werden Fehler rot angestrichen und nicht die vielen richtigen Wörter.
"Wenn wir die Balance zwischen Sonnen- und Schattenseiten im richtigen Licht darstellen, erkennen wir, dass wir einfach liebenswert sind! Und erkennen Sie es jetzt!" Sonst kommt man, wie Adam richtig anmerkt, in die "wenn, dann"-Teufelskreise: Wenn ich fünf Kilo abgenommen habe - dann, wenn ich weniger Stress habe - dann, wenn die Kinder größer sind - dann...
Kein Egoismus
Wer sich selbst respektiert und für sich sorgt, gönnt sich automatisch schöne Dinge und Auszeiten. Und tut so nebenbei etwas für die Gesundheit. Denn Selbstliebe, betont die Psychologin, ist die beste Vorsorge. Dass speziell Frauen sich oft vor dem Vorwurf des Egoismus fürchten, wenn sie eigene Interessen wahrnehmen, weiß die Expertin.
"Aber wer schaut auf mich, wenn ich es nicht tue?", fragt sie und gibt auch gleich die Antwort: "Sich selbst zu lieben bedeutet nicht, ohne Mitgefühl und Verständnis für andere seinen Weg zu gehen. Kompromisse werden immer nötig sein - aber dann aus einer Position der Stärke heraus und nicht aus Angst vor Liebesverlust oder Streit."
Miriam Berger