Geburten sind ja eher so ein Frauending. Männer sind dazu nicht fähig, selbst wenn sie vielleicht gerne möchten. Und wenn unter Frauen das Thema aufkommt, hört man als Mann bei den blutigeren Details besser weg, wenn man sich wochenlange Alpträume ersparen will. Viele Frauen, so habe ich den Eindruck, berichten auch oft und gerne über Geburten. Meist (korrigiert mich, wenn ich falsch liege) lesen sich diese Berichte jedoch erstaunlich sachlich.
Wie lange hat’s gedauert, was ist passiert, welche Medikamente wurden gegeben, wie schwer und groß war das Kind? Manchmal klingt das eher nach Sportberichterstattung. Aber so eine Geburt ist viel größer als diese Fakten. Sie ist der definierende Moment im Leben der Eltern, der Punkt, an dem aus zwei Liebenden zwei Eltern werden. Ab dann ist nichts mehr so wie vorher.
Dabei fängt so eine Geburt erst mal recht harmlos an. Mitten in der Nacht weckt dich deine Frau mit einem ganz bestimmten Gesichtsausdruck, eine Mischung aus Euphorie und Angst und du weißt: Jetzt wird’s Ernst. Du ziehst dich schnell an, hilfst deiner Frau, die in dieser Zeit mehrmals das Gesicht vor Schmerzen verzieht und dann fährst du wie der Teufel durch die nächtlichen, einsamen Straßen deiner Stadt zum Krankenhaus. Du hilfst deiner Frau aus dem Auto, stützt sie und bringst sie irgendwie ins Krankenhaus, den Fahrstuhl hoch und rein in den Kreißsaal.
Den kennst du schon, du hast ihn neulich besichtigt. Die Hebamme hatte damals alles genau erklärt und es schien recht einfach, sicher und sehr harmonisch. Das Muttermund-Mobile war der Knaller. Die gedämpften Schreie aus dem Nachbarzimmer haben du und deine Frau damals unsicher weggekichert und danach fleißig verdrängt.
Dann beginnt die zweite Phase der Geburt: das Warten. Der Wehenschreiber tuckert vor sich hin, du hörst das Herzchen deines Kindes schlagen, du streichelst deiner Frau langsam über den Arm. Alles ist ruhig. Dann kommt die Wehe. Deine Frau bäumt sich auf, brüllt – und du kannst nichts tun.
Du kannst ihre Schmerzen nicht lindern und stehst daneben und bist völlig hilflos. Du kannst nur ihre Hand halten, die deine Hand während der Wehe zu Brei quetschen wird und du weißt: Das ist nur ein Bruchteil der Schmerzen, die sie gerade aushalten muss. Dann beruhigt sie sich langsam und es kehrt wieder Ruhe ein – bis zur nächsten Wehe. Das geht ein paar qualvolle Stunden so. Und wenn du dich gerade daran gewöhnt hast, geht die Sache in die dritte Phase über.
Das Kind kommt. Der deutlichste Hinweis darauf ist die Zunahme von Aktivität um dich herum. Die Wehen kommen jetzt so schnell, dass deine Frau kaum Zeit zum Durchatmen hat. Deine Hilflosigkeit der letzten Stunden steigert sich in pure Verzweiflung. Du möchtest die Hebamme und die mittlerweile anwesende Ärztin anbrüllen, doch endlich mal was gegen das Martyrium deiner Frau zu tun, aber das wäre sinnlos, denn viel machen können sie nicht.
Du bist in einem Traum, einem Alptraum, schlimmer als jeder, aus dem du bisher schweißgebadet aufgewacht bist, denn das hier ist echt, ein Wirbel aus Schmerzen, Schreien und Blut. Und dann – urplötzlich – wird es still. Es folgt eine Zeitspanne, ein paar Minuten, in der die Welt aufhört zu existieren, es gibt nur noch deine Frau und Blut und dich und Blut und ein Kind, das jetzt gleich da ist. Dann die letzte Wehe, ein letzter Schrei – und dann … noch einer.
Und die Hebamme hält ein rosa-blaues, schmieriges, sehr wütendes Etwas in den Händen und dir wird eine Schere in die Hand gedrückt und eine fleischige, rosa Schnur entgegengehalten und einen absurden Moment lang fragst du dich, ob sich so wohl C-Promis bei der Eröffnung eines Baumarktes fühlen. Dann schneidest du tapfer und aus einem Organismus werden zwei.
Während sich die Hebamme um das wütende Etwas kümmert, schaust du deiner Frau in die Augen, die jetzt wie aus einem Traum erwacht und Erleichterung verbreitet sich – und Stolz.
Damit beginnt die vierte Phase der Geburt. Nach einer Weile ebbt das geschäftige Tun im Kreißsaal ab, deine Frau ist versorgt, das Kind mollig warm eingepackt. Die ersten Strahlen der Märzsonne filtern durch die Gardinen des Kreißsaals. Frieden macht sich breit. Müde und hungrig sitzt du da, an diesem schrecklichsten, schönsten Tag in deinem Leben, neben deiner Frau und hältst ein Kind in den Armen.
Du schaust es an, du erkennst deine ganze Familie in dem kleinen Gesicht. Du riechst diesen ganz besonderen Geruch von frisch geborenen Kindern. Du spielst mit winzigen Fingerchen. Und dann, dann macht das Kind die Augen auf und sieht dich an. Während sich ein Abbild deines Gesichtes unwiderruflich in Millionen winziger Synapsen brennt, stirbst du. Und wirst im selben Moment wiedergeboren, als Vater und du hältst DEIN Kind in den Armen.
Du dachtest vielleicht, du liebst deine Frau, wie sonst nichts auf der Welt. Aber dieser eine Blick, aus diesen tiefschwarzen Augen, der brennt sich durch dein Bewusstsein direkt in dein Herz und erfüllt es mit einer Liebe, für die es ein ganz neues Universum bräuchte, um darin Platz zu finden. Du weißt plötzlich, du willst dieses Kind, dein Kind, lieben und ehren, in guten, wie in schlechten Zeiten und es bis auf den Tod verteidigen und jede Zelle in deinem Körper sagt: “Ja, ich will!”
Und so, meine Lieben, fühlt sich eine Geburt für Männer an. Wir können bloß nicht so gut darüber reden.
Den Originaltext findest du, gemeinsam mit vielen anderen persönlichen Berichten, auf dem Mama-Blog "mamaskind.de".

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