Heutzutage halten wir fast jeden Augenblick in unserem Leben fotografisch fest. Die Handykamera ist schnell gezückt. In fast jeder Lebenslage. Aber eben nur fast. Denn der Anfang allen Lebens – also die Geburt an sich – wird meist ausgenommen. Erst wenn das Baby in saubere Tücher gewickelt in den Armen der erschöpften Mutter liegt, wird auf den Auslöser gedrückt. Dabei zählt gerade das "Davor" zu den prägendsten Ereignissen einer Frau – und natürlich auch zu jenen eines Mannes.

Die folgenden Bilder berühren uns wie kaum andere: Die "International Association of Professional Birth Photographers“ hat gerade die GewinnerInnen des Bildwettbewerbs für Geburtsfotografie 2021 bekannt gegeben. FotografInnen aus aller Welt halten darin den sehr intimen Moment des Gebärens fest.

Freudentränen, Blut, Schmerz, unbändige Liebe – alles vereint in diesen starken Fotos
Sie zeigen die Realität des Wunders der Geburt und bieten eine wertvolle Erinnerung für Mutter, Vater und die Menschen, die geholfen haben das neue Leben auf die Welt zu bringen. Die Entscheidung, diese Erfahrung bildlich dokumentieren zu lassen, ist etwas sehr Persönliches. Deshalb zählt die Geburtsfotografie zur Königsdiziplin in der Fotografie – ein Metier, in dem man unendlich viel psychologisches Gespür benötigt.

Aber wie kann man sich so eine Fotosession überhaupt vorstellen? Dazu haben wir die Mödlinger Fotografin Tamara Wassermann befragt, deren professioneller Fokus bei der Begleitung von Geburten liegt.
Wie läuft eine Foto-Session während einer Geburt ab?
Tamara Wassermann:
Ähnlich wie ein Hebamme oder Doula, bin ich schon Tage und Wochen vor dem Entbindungstermin eng mit dem Paar oder der werdenden Mama in Kontakt und habe Rufbereitschaft. Die Geburt selbst fängt für mich spätestens mit dem Einsetzen der ersten Wehen ein. Ich werde dann telefonisch informiert und über den Verlauf der Wehenabstände auf dem Laufenden gehalten. Wann ich mich tatsächlich auf den Weg mache, ist sehr individuell und wird auch vorher besprochen.

ashleymarstonbirthphotography.com
Worauf müssen Sie als Fotografin besonders achten?
Tamara Wassermann:
Jede Geburt ist anders und ich weiß nie, in welcher Stimmung die Menschen sind, denen ich gleich begegne, wie die Lichtsituation ist und wie lange ich vor Ort bleiben werde. Das können schon mal zwölf Stunden sein. Mich erwarten manchmal enge, kleine Räume, schlechte Blickwinkel, spärliches Kerzenlicht oder rasch wechselnde, intensive Emotionen.
Es ist dabei wichtig, sicher und unauffällig zu agieren. Ich darf beispielsweise bei schlechtem Licht nicht einfach blitzen oder näher herangehen, wenn die Sicht schlecht ist. Trotz der Umstände die besonderen, magischen Momente einzufangen und nicht zu verpassen, erfordert ein sehr hohes Maß an Aufmerksamkeit.
Feingefühl ist besonders wichtig. Wenn die Chemie zwischen den werdenden Eltern und mir nicht stimmt, kann es sein, dass meine Anwesenheit sich störend auf den Geburtsprozess auswirkt. Ich bitte die Frauen daher im Vorfeld, schonungslos ehrlich zu sein, sollte es während der Geburtsreise einen Moment geben, an dem meine Anwesenheit nicht mehr erwünscht ist.

Was wünschen sich die werdenden Eltern von Ihnen?
Tamara Wassermann:
Die werdenden Eltern wünschen sich vor allem einen ungestörten sowie sicheren Rahmen. Ein sensibler Moment ist schon mein Eintreffen. Ich muss mich in das Geburtsteam, das meistens aus Gebärender, Partner und Hebamme besteht, integrieren und darin unsichtbar, aber doch wachsam sein. Falls etwas gebraucht wird, bin ich zur Hand: ein Glas Wasser für die Hebamme, ein nasses Tuch für die Stirn der werdenden Mutter. Als Geburtsfotografin bin ich gleichzeitig Helferin und Stütze für alle Beteiligten.

Warum scheuen sich so viele Frauen diesen Moment festzuhalten?
Tamara Wassermann:
Dafür kann es sehr unterschiedliche, individuelle Gründe geben wie zum Beispiel die Angst vor der Geburt selbst. Oder der Wunsch dieses höchst intime Erlebnis ganz privat erleben erleben zu wollen. Manche haben Sorge, sich beobachtet zu fühlen und sich somit zurückzuhalten zu müssen.

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Ist die fotografische Begleitung auch im Krankenhaus erlaubt oder nur bei Heimgeburten?
Tamara Wassermann:
Ob ich als Geburtsfotografin mit in den Kreissaal darf, ist abhängig vom jeweiligen Krankenhaus. Ich habe hier schon sehr unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Einmal durfte ich sogar bei einer Zwillingsgeburt per Kaiserschnitt im OP dabei sein.

Was gefällt Ihnen selbst an der Geburtsfotografie?
Tamara Wassermann:
Als Fotografin fasziniert mich die unvergleichliche Schönheit des Ungestellten, das Ungefilterte, die Wahrhaftigkeit der Menschen und des Augenblicks.

Eine Geburt ist ein sehr emotionales Erlebnis – wie ist das für Sie, wenn Sie schon so viele miterlebt haben?
Tamara Wassermann:
Es gibt keine größere Ehre für mich, als den intimsten und gewaltigsten Prozess im Leben einer Frau mit all seiner Vielfalt an Emotionen einzufangen und somit unvergänglich zu machen. Ich empfinde Dankbarkeit für jeden Moment, den ich diesem heiligen Raum beiwohnen darf.
Haben Sie die Geburt ihrer eigenen Kinder ebenso fotografisch festhalten lassen?
Tamara Wassermann:
Nein, bei der Entbindung meiner beiden Söhne (8 und 13 Jahre) war mir die Geburtsfotografie selbst noch nicht bekannt. Aber wenn es zwischenmenschlich mit einer Kollegin passen würde, dann kann ich mir das mit meinem jetzigen Wissen sehr gut vorstellen.
