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Gesunder Darm

Mehr als 50 Prozent der Bevölkerung leiden an Verdauungsproblemen oder auch an anderen medizinischen Störungen wie Migräne, Müdigkeit oder Übergewicht, die ihre Ursachen im Darm haben. Expertin Anita Frauwallner sprach mit uns über das Thema Darm.


Gesunder Darm
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Das Zentrum unseres Wohlbefindens - oder eben unseres Unwohlseins - ist genau in der Mitte: Im Darm. Anita Frauwallner leitet das Institut Allergosan, ein Zentrum für innovative naturheilkundliche Forschung mit dem Schwerpunkt Probiotika. Und sie hat sich den menschlichen Darm zu ihrem Forschungsgebiet auserkoren. Ihre These: "Nur wer einen gesunden Darm hat, kriegt all seine Beschwerden in den Griff!“

WOMAN: Warum macht man gerade den Darm zum Schwerpunkt seines Forschens? Ein bissl ein ungustiöses Terrain, oder?

Frauwallner: Aber gar nicht, denn wenn man erst verstanden hat, dass der Darm der Ursprung allen Übels oder auch allen Wohlbefindens ist, beschäftigt man sich gerne damit. Außerdem hatte mein Mann eine schwere chronisch entzündliche Darmerkrankung. Damals habe ich begonnen, mich mit Ernährung, gesunder Darmflora, Blähungen, Verstopfungen zu beschäftigen. Als dann mein Sohn auf die Welt kam und eine schwere Neurodermitis hatte, wurde mir klar, dass noch viel mehr Erkrankungen oder Beschwerden auf einen gesunden oder im Ungleichgewicht befindlichen Darm zurückzuführen sind.

WOMAN: Sehen Sie jemandem Darmprobleme an?

Frauwallner: Jein. Wenn jemand Akne hat oder auch Neurodermitis, ist immer auch etwas mit dem Darm in Unordnung. Oder auch, wenn man sich beim Abnehmen sehr schwertut, einfach nichts runtergeht, obwohl man sich kasteit, dann ist in den allermeisten Fällen eine defekte Darmflora schuld.

WOMAN: Für welche Beschwerden kann ein nicht funktionierender Darm ganz konkret verantwortlich sein?

Frauwallner: Migräne beispielsweise ist ganz typisch. Durch jahrzehntelange Forschung haben wir herausgefunden, dass diese riesige Fläche des Darms - man muss sich das mal vorstellen: 300 bis 400 Quadratmeter - enorm anfällig für Entzündungen ist. Diese Entzündungen bleiben nicht an Ort und Stelle, sie verteilen sich im ganzen Körper. Rheuma, Arthritis, Herz-Kreislauf-Erkrankungen - all das hat seine Ursache im Darm. Oder nehmen wir den großen Bereich der Hormone. Der Darm ist ein hormonproduzierendes Organ. Depressionen kommen zu einem großen Anteil aus dem Darm.

WOMAN: Burnout, Depressionen, Rastlosigkeit - all das sind Themen, die heute fast jeden betreffen. Das bedeutet, wir sollten alle unseren Darm sanieren, und dann wären wir alle pumperlgesund?

Frauwallner: Natürlich kann man nicht alle über einen Kamm scheren. Aber extreme Stimmungsschwankungen, die über zu viel Stress ausgelöst werden, bekommt man mit einer Sanierung des Darmes hervorragend in den Griff. 95 Prozent des Glückshormons werden im Darm gebildet. Der Körper ist eine großartige Regenerationsmaschine, die sehr viel selbst erledigt. Man braucht ihr nur ein bisschen Futter zu geben, dann macht sie alles selbst.

WOMAN: Was raten Sie nun jemandem, der eines der eben beschriebenen Probleme hat?

Frauwallner: Das Allerwichtigste ist zuerst einmal, eine Stuhlprobe machen zu lassen. Sie müssen sich vorstellen: Wenn Sie beispielsweise eine Woche lang ein Antibiotikum nehmen müssen, zerstört das 80 bis 90 Prozent Ihrer Darmflora. Um das wieder in den Griff zu bekommen, müssen sie sich monatelang sehr gesund ernähren.

WOMAN: Schafft man die Sanierung einer defekten Darmflora allein durch Nahrungsumstellung?

Frauwallner: Wenn Sie Geduld haben, bis zu einem gewissen Grad sicher. Aber das kann bis zu einem Jahr dauern.

WOMAN: Was bedeutet für den Darm "gesunde Ernährung“?

Frauwallner: Obst, Gemüse, Vollkornprodukte, Kohlehydrate wie Kartoffeln oder Vollkornreis sind wunderbar! Probiotische Milchprodukte, mäßig Fleisch und Fisch, möglichst wenig bis gar keinen Zucker. Das wäre die ideale Ernährung. Das Problem aber ist, dass der Darm keine Nerven hat und daher nicht SOS funken kann, wenn ihm was wehtut oder wenn ihm eben die Ernährung nicht passt.

WOMAN: Die Kühlregale gehen über vor probiotischen Joghurts und Milchmixgetränken. Viele versprechen, dass Blähungen weggehen, dass Kilos purzeln. Kann ich über probiotisches Joghurt meine Darmflora in Ordnung bringen?

Frauwallner: Wenn Sie davor eine fette Torte essen und danach Schweinebraten, dann bestimmt nicht. Bei einer generell gesunden Ernährung führen diese Joghurt-Bakterien auf jeden Fall zu einer Verbesserung. Es ist in Wahrheit ganz simpel: Wenn die Stadt Wien schön ist, werden sich hier mehr Menschen ansiedeln. Und so ist´s auch im Darm: Je intakter das Milieu, umso lieber halten sich hier gute Bakterien auf und vermehren sich sogar. Die suchen sich nämlich aus, ob sie bleiben oder ob sie mit dem nächsten Stuhlgang den Körper wieder verlassen. Und ehrlich gefragt: Würden Sie auf einer Müllhalde leben wollen? Ich sicher nicht …

WOMAN: Was kann ich sonst noch tun?

Frauwallner: Ich rate den Menschen, auch einmal einen Termin bei einer Ernährungsberaterin zu machen und vorher eine Zeit lang aufzuschreiben, was sie genau gegessen haben. Vieles steckt man so zwischendurch in den Mund, vergisst es aber dann. Verschaffen Sie sich einen Überblick.

WOMAN: Wir essen doch auch alle viel zu viel. Der Körper kommt ja mit viel weniger aus, als wir glauben. Und, so predigt Hormonexperte Johannes Huber, wer weniger isst, lebt länger …

Frauwallner: Wer sich nur von einem Apfel und zwei Scheiben Vollkornbrot ernährt, hat definitiv zu wenig. Der Körper braucht Energie, damit er seine Stoffwechselfunktionen ausüben kann. Sie brauchen eigentlich relativ viel an verschiedenen Stoffen, damit diese Regenerationsmaschine einwandfrei funktioniert. Wenn Sie ein Haus bauen wollen, brauchen Sie auch Ziegel, Beton, Sand, Wasser, Leitungen. Nur mit Ziegeln wird dieses Haus wackeln und irgendwann zusammenbrechen. Wichtig ist, dass wir unserem Körper möglichst wenig geben, das künstlich aufbereitet wurde. Also möglichst wenig Fast Food, möglichst wenig Fertigprodukte. Achten Sie auf den versteckten Zucker, auf Konservierungsmittel, auf Farbstoffe oder auch Geschmacksverstärker.

WOMAN: Die Diät-Industrie erfindet ja ständig neue "Wundermittel“ oder auch Methoden, mit denen man "garantiert ganz schnell ganz viel abnehmen kann“. Was denken Sie über die rigorose Einschränkung mancher Lebensmittel bei Diäten, wie zum Beispiel den Verzicht auf Kohlehydrate?

Frauwallner: Der Darm stellt sich sehr schnell auf Umstellungen ein. Langfristig nützt es gar nichts, wenn Sie für drei, vier Wochen die Kohlehydrate weglassen, denn das werden Sie niemals durchhalten, und danach werden Sie wieder zunehmen. Alles, was nicht ausgewogen ist, wird nicht zum Ziel führen.

WOMAN: Welche Regeln führen Ihrer Erfahrung nach zu einem gesunden Darm und damit auch zu mehr Wohlbefinden?

Frauwallner: Meiden Sie die "schnelle Küche“ mit großen Mengen an Fett, Zucker und leeren Kohlehydraten. Trinken Sie täglich zwei Liter Wasser. Bewegen Sie sich jeden Tag an der frischen Luft - egal zu welcher Jahreszeit. Das bringt den Darm in Schwung. Verzichten Sie auf Abführmittel - die machen auf Dauer die Darmflora kaputt. Nehmen Sie stattdessen täglich gesunde Darmbakterien zu sich. Am besten eine Kombination aus Laktobazillen, Enterokokken und Bifidobakterien. Erkundigen Sie sich in der Apotheke. Gut ist auch, möglichst oft ein Stück Papaya zu essen - diese tropische Frucht ist ein echtes Zaubermittel für den Darm, weil sie reich an Enzymen und Aminosäuren ist. Und für alle, die ihre Darmprobleme vermutlich durch zu viel Stress und Ärger bekommen haben: Lernen Sie, sich zu entspannen, vielleicht durch Yoga oder autogenes Training oder andere Tätigkeiten, die Ihren Kopf freimachen vom Hamsterrad der quälenden Gedanken. Und: Gönnen Sie Ihrem Darm ein- bis zweimal pro Jahr eine Auszeit. Entgiften Sie ihn!

WOMAN: Zum Beispiel mit Fasten oder der F.-X.-Mayr-Kur?

Frauwallner: Wir werken gerade an der Uniklinik Graz an einer riesigen Forschungsarbeit, bei der die Auswirkungen solcher Fastenphasen wie der F.-X.-Mayr-Kur ausgetestet werden. Die Ergebnisse sind sensationell.

WOMAN: Aber das sind doch nur Semmeln und Milch …

Frauwallner: Schon lange nicht mehr. Heute bekommen Sie Buchweizenweckerln, Gemüseaufstriche, Gemüsesuppen, gesäuerte Milchprodukte.

WOMAN: Das Problem ist ja nicht, dass wir nicht alle wüssten, was gesund wäre. Aber dann kommen wieder diese Heißhungerattacken nach Süßem …

Frauwallner: Ja, das ist wie bei Drogenabhängigen, aber irgendwann müssen Sie sich zu einem Entzug durchringen.

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