Wir wissen und spüren alle: Die Zeiten sind hart. Kaum soziale Kontakte, Sorgen um die Gesundheit, Angst um die Finanzen sind nur ein paar Folgen der Pandemie. Corona hat tausende Menschen unglücklich gemacht. Deshalb haben Gurus, die uns einfache Glücksformeln servieren, gerade Hochkonjunktur: "Tu dir Gutes und sei glücklich" oder "Denk positiv, dann wird es besser!" Diese Sprüche bringen meist wenig.
Aber was hilft wirklich in der Krise? Gibt es in Sachen Glück so etwas wie eine objektive Wahrheit? Welche Anleitungen zum Glücklichsein hat die Wissenschaft?
Prof. Dr. Michael Kunze, Leiter des Institutes für Sozialmedizin an der Medizinischen Universität Wien und Sozialmediziner am AKH, hat mit einem Rechercheteam viele Studien zum Thema Glück analysiert. Und: Er hat selbst einiges durchgemacht: "Natürlich habe ich Schicksalsschläge abbekommen. Beklagen möchte ich mich aber nicht. Ich habe eine wunderbare Familie und blicke auf ein erfülltes Leben zurück. Ich durfte 1985 dabei sein, als Sir Karl Popper bei einem Vortrag sagte: 'Ich bin 83 und heute der glücklichste Mensch, den ich kenne. Ich finde das Leben unbeschreiblich wundervoll.' Dem kann ich mich nur anschließen," so der 78-Jährige. "Ich orientiere mich seit vielen Jahren an den Erkenntnissen der Glücksforschung. Sie hat mein Leben sanft in eine gute Bahn gelenkt. Das weiterzugeben, war mir ein Anliegen."
Sein Wissen verpackte er gemeinsam mit Journalistin und Bloggerin Silvia Jelincic in das eben erschienene Buch "Der Glücks-Kompass – Das ganze Wissen der Welt über Glück in einem Buch", das er selbst als eine Art Reiseführer bezeichnet. Es enthält Tipps, aber keine Patentrezepte. Denn die Anwendung der Erkenntnisse der Glücksforschung liegt stets in unserer eigenen Verantwortung.
Was ist eigentlich Glück?
Die große Liebe? Ein Lottogewinn? Ein sonniger Spaziergang durch den Wald? Oder die neue Staffel der Lieblingsserie? All das kann glücklich machen. Die Betonung liegt dabei auf "kann". Was Glück ausmacht, ist für jeden Menschen anders.
Trotzdem steht der Gewinn von Geld an der Spitze vieler Wunschlisten. Sind Wohlhabende aber wirklich glücklichere Menschen? Dem ist ein Kapitel des Buches gewidmet, das ernüchtert und gleichzeitig Hoffnung macht: Wenn wir unversehens reich werden, zum Beispiel durch einen Lottogewinn, hat das nicht nur erfreuliche Auswirkungen. Andere positive Ereignisse in unserem Leben könnten dadurch nämlich bedeutungsloser werden: Ein liebevoll angerichtetes Essen, ein Treffen im Freundeskreis, ein gemütlicher Fernsehabend – das alles war LottogewinnerInnen plötzlich weniger wert. Und am Ende sind viele nach dem Geldsegen sogar unglücklicher als zuvor.
Persönlichkeit ist also ein wichtiger Faktor für unser Glücksempfinden. Unsere Grundeinstellung zu uns selbst und unserer Umwelt, können wir nicht einfach so ändern, aber wir können sie mit der Zeit verändern. Diese Fähigkeit versetzt uns am ehesten in die Lage, ein glücklicherer Mensch zu werden. Vor Unglück von außen sind wir niemals sicher, aber wir können beeinflussen, wie wir damit umgehen.
Dem Glück hinterherzujagen, ist demnach der falsche Ansatz: Glück findet man nie außerhalb von sich selbst. Kunze und Jelincic definieren es als ein Hochgefühl, das gleichermaßen in uns und nachweislich auch um uns herum wirkt. Das Gefühl ist nicht auf einen selbst beschränkt: Es geht sogar netzwerkartig über das Individuum hinaus und sorgt ebenso bei Nachbarn, Freundinnen oder Familie für gesteigertes Glücksempfinden.
Glück ist im Ursprung ein individuelles, in der Folge dann aber auch ein kollektives Phänomen. Kunze sieht darin "etwas Neues, Unerklärliches". Und Hoffnungsvolles: "Gerade in den schwierigen Zeiten brauchen wir Menschen Glück. Dazu müssen wir verstehen, dass unser Glück mit dem aller anderen Menschen zusammenhängt. Wir brauchen mehr denn je das Wissen, wie wir unser aller Glück gemeinsam steigern können, den äußeren Umständen zum Trotz. Denn ein glückliches Leben hält uns Menschen nachweislich gesund."
Zudem ist Glück quasi zeitlich "limitiert": Es kommt manchmal für Momente auf und kann wieder verschwinden. Wenn wir allerdings laufend Glücksmomente schaffen, können sie sich aufschaukeln, sich verketten und für ein längeres Hochgefühl sorgen. Dieses anhaltende Hochgefühl vollzieht sich in Wellen, die mehrere Monaten bis zu eineinhalb Jahren dauern können. Es ist durch Studien dokumentiert, dass das Glück in Phasen auftritt: Nach schweren Zeiten kommen wieder gute (und umgekehrt). Warum das so ist, können die Forschenden noch nicht sagen.
12 Glücks-Strategien
Wie finde ICH nun am besten das Glück? Dafür bieten die beiden AutorInnen mehrere wissenschaftlich erprobte Strategien an. Wir stellen hier fünf konkret vor und haben eine Leseprobe zusammengestellt:
GLÜCKS-STRATEGIE: ENTTÄUSCHUNGEN ENTSCHÄRFEN
Wie gehst du mit dem Gegenteil von Glück um? Nichts schadet unserem Glücksempfinden so sehr wie Enttäuschung. Diese kann uns richtig abstürzen lassen, wie die meisten aus der Liebe kennen. Um das Glücksempfinden langfristig zu stärken, brauchen wir also ein funktionierendes Enttäuschungsmanagement. Die Erfahrung zeigt auch: Enttäuschungen werden mit der Zeit milder. In reiferen Jahren sind wir nicht mehr so leicht zu erschüttern wie in unserer Jugend.
GLÜCKS-STRATEGIE: LUSTVOLL GUTE GEFÜHLE WECKEN
Die Glücksforschung setzt sich mit Methoden auseinander, die uns kleine Glücksmomente bescheren können: Dankbarkeit und Freundlichkeit sind Beispiele dafür. Die Liste der Tricks, die Glückshormone freisetzen, ist von Mensch zu Mensch verschieden. Wichtig ist, dass wir einiges ausprobieren und dann in unseren Alltag einflechten.
GLÜCKS-STRATEGIE: GLÜCKSÖKONOMIE VOR GELDÖKONOMIE
Das Strampeln im Hamsterrad für einen besseren Fernseher und das Erklimmen der nächsten Sprosse auf der Karriereleiter werden uns wahrscheinlich nicht glücklicher machen. Das bedeutet jedoch nicht, dass wir alle Hippies werden müssen. Wir sollten uns und unsere Wünsche immer wieder hinterfragen: Brauche ich das wirklich? Und vor allem: Wie viel brauche ich wirklich?
GLÜCKS-STRATEGIE: DIE EIGENEN POTENTIALE AUSSCHÖPFEN
Es macht uns glücklich, wenn wir uns weiterentwickeln, dazulernen, die eigenen Talente erkennen und diese möglichst gut nutzen.
GLÜCKS-STRATEGIE: LEBE LIEBER UNGEWÖHNLICH
Wir sind komplett vom Schicksal abhängig? Nicht unbedingt. Wenn deine Laune zu sinken beginnt, solltest du aktiv dagegensteuern. Um einen Gewöhnungseffekt bei deinen Methoden zu durchkreuzen, solltest du bewusst Ungewöhnliches tun und immer wieder Neues ausprobieren. Mit mehreren kleinen und vielleicht mal größeren Veränderungen verhinderst du negative Gedanken wie "mein Leben ist mühsam und unveränderbar".
"Der Glückskompass: Das ganze Wissen der Welt über Glück in einem Buch" von edition a
Leseprobe aus dem Buch:
GLÜCKS-STRATEGIE: POSITIVE FLASHBACKS NUTZEN
Wir können alle viel tun, um über möglichst weite Strecken selbst ein glückliches Leben zu führen und zum glücklichen Leben anderer beizutragen. Dazu ein Tipp, den ich Ihnen, sehr verehrte Leserinnen und Leser, als zwölfte Glücks-Strategie an dieser Stelle noch mitgeben will: Es gibt das noch weitgehend unerforschte Phänomen der positiven Flashbacks.
Landläufig bekannt sind nur die negativen Flashbacks. Manchmal passieren sehr schlimme Dinge, zum Beispiel Verkehrsunfälle mit entstellten Schwerverletzten. Negative Flashbacks können Unfallopfer und auch Ersthelfer haben. Sie erinnern sich plötzlich an die Szene am Unfallort und durchleben das traumatische Geschehen gleichsam erneut. Die Flashbacks werden ausgelöst durch einfache Sinneseindrücke. Oft sind es Gerüche oder der Anblick bestimmter Dinge, die sich in das Gedächtnis der Traumatisierten eingebrannt
haben.
Nach diesem Prinzip funktionieren auch positive Flashbacks. Wir alle kennen solche Momente. Wir erinnern uns plötzlich, ausgelöst durch irgendwelche Sinneseindrücke, an etwas besonders Schönes in unserem Leben. Die positiven Flashbacks sind häufiger als die negativen. Sie erzeugen einen regelrechten Schub an Gefühlen, die uns glücklich machen. Leider gibt es noch keine Studien, die die glücksfördernden Effekte von positiven Flashbacks untersuchen.
Es war zur Weihnachtszeit irgendwann in den frühen 1990er Jahren, als ich damit begann, mir dieses Phänomen zunutze zu machen. An diesem kalten, grauen Morgen kam mir am Weg zur Arbeit ein Mann mit einem im weißen Netz verpackten Christbaum entgegen. Schon von weitem ist mir aufgefallen, dass der Mann alle Mühe hatte, den Christbaum zu tragen. Es war nämlich ein ungewöhnlich großer Christbaum, den er da zu schleppen hatte. Da ich an diesem Morgen keinen Termin hatte, hatte ich es nicht ganz eilig. Also fragte ich den Mann: "Brauchen Sie Hilfe?" Er nickte dankbar. "Mein Auto steht gleich um die Ecke!" Den Baum zu zweit fünfzig Meter weit zu tragen, war überhaupt kein Problem. Da geschah es. Der frische Duft des Nadelbaums, der sanft auf der Decke am Autodach landete, stieg mir in die Nase. Und plötzlich war ich auf dem kleinen Waldweg zwischen Wagerberg und Sauberg in der Steiermark. Für einen kurzen Moment war ich dort, atmete die sommerliche Waldluft, den warmen Duft der von der aufgehenden Sonne gewärmten Tannen. Dann holte mich die Realität wieder ein. Der Mann bedankte sich und ich ging zurück zum Institut. Oder besser gesagt: Ich schwebte. Ich fühlte mich richtig gut.
Dass ich gerade eine gute Tat begangen hatte, mag den Effekt verstärkt haben. Mir war klar, dass das ein echter Flashback gewesen war und dass der Geruchssinn, der in einer unserer entwicklungsgeschichtlich ältesten Gehirnregionen sitzt, dieses Phänomen ausgelöst hatte. Der Flashback an sich war nicht weiter bemerkenswert. Bemerkenswert war allerdings der Umstand, dass das Hochgefühl den ganzen Vormittag anhielt.
Seit diesem Tag achte ich auf die vielen schönen Momente, die mein Gedächtnis mir im Alltag immer wieder blitzlichtartig zu Bewusstsein bringt. Wir alle kennen das. Diese besonderen Momente aus unserer Vergangenheit tauchen relativ oft auf. Mit ein wenig Training können wir uns konditionieren. Wir können lernen, diese schönen Blitzlicht-Momente in unser Bewusstsein dringen zu lassen und sie bewusst zu genießen. Das sorgt für laufende kleine Schübe des Glücks.
Mit der Zeit werden Sie feststellen, dass sich bestimmte Bilder wiederholen. Diese Bilder können sie immer wieder aus ihrem Gedächtnis hervorholen, um die schönen Momente in Gedanken wieder zu erleben. Diese schönen Momente sind genau das, was bei Ihnen ganz persönlich die Glückshormone zur Ausschüttung bringt. Das können Sie sich immer wieder herholen. Denken Sie nicht viel darüber nach. Analysieren Sie das gute Gefühl nicht. Sorgen Sie nur durch ein bewusstes Wechselspiel zwischen Bewusstsein und dem Unbewussten, das diese Momente aus ihrem Gedächtnis hervorholt, dafür, dass diese Momente nicht wieder abtauchen, sondern ihnen im Gedächtnis bleiben. Das sind kleine Glücksspeicher für Sie.
Je älter Sie werden, desto mehr solcher Glücksspeicher werden sich in Ihrem Leben ansammeln. Vielleicht ist es auch diesem Umstand geschuldet, dass die Menschen nach der Midlife-Crisis glücklicher werden. Mein Leben ist reich an diesen kleinen Glücksspeichern. Mit der Zeit bin ich dazu übergegangen, mir eine Liste anzulegen und die schönen Momente als Stichworte zu sammeln. Das sind durchwegs Kleinigkeiten, die nur für mich eine besondere Bedeutung haben. Sei es eine ganz frühe Erinnerung an eine Burg im Sandkasten mit Wassergraben. Sei es ein besonders inniges Umarmen meiner Frau während eines Gewitters. Sei es der Blick vom Semmering hinüber auf die Rax. Manchmal nehme ich diese Liste zur Hand und überfliege die Stichworte. Damit rufe ich den einen oder anderen schönen Moment, den ich sonst vielleicht wieder vergessen hätte, bewusst wieder in mein Gedächtnis.