Ressort
Du befindest dich hier:

"Ich kenne meinen eigenen Vater nicht!"

Lara Maxers Kindheit war auf eine Lüge aufgebaut. Mit 33 Jahren entdeckte sie, dass ihr vermeintlicher Papa nicht ihr biologischer ist. Die Pädagogin erzählt von ihrer Verzweiflung, großen Enttäuschung und der Suche nach ihren Wurzeln.

von

Ich kenne meinen Vater nicht

BETROFFENHEIT. Lara Maxer vermisst ihren biologischen Vater. Bis heute hat sie ihn nicht kennengelernt: "Er weiß gar nicht, dass es mich gibt. Ein Jahr lang habe ich ihn intensiv gesucht."

© Ernst Kainerstorfer

Warum ich meine Geschichte erzähle? Weil jedes Kind das Recht hat, seine wahre Identität zu erfahren. Dieses Gefühl der Wurzellosigkeit geht sonst nie wieder weg", sagt Lara Maxer gleich zur Begrüßung in einem St. Pöltner Café. Noch heute leidet die 36-Jährige unter den Auswirkungen der Sprachlosigkeit und des Lügenkonstrukts, das über 30 Jahre lang um sie herum aufrechterhalten wurde. "Alle Verwandten haben Bescheid gewusst, aber meine Mutter und ihr Mann, den ich jahrzehntelang für meinen Vater hielt, haben sie gezwungen, mir meine wahre Herkunft zu verschweigen."

Ihre Kindheit beschreibt die Pädagogin als alles andere als idyllisch. "Psychische und physische Gewalt waren an der Tagesordnung. Ich bin von meinem sozialen Vater Gert, wie ich ihn heute bezeichne, und meiner Mutter Ilse wegen Nichtigkeiten geschlagen worden." Lara ist sich dessen bewusst, dass dieses negative Umfeld ein Grund ist, warum ihr Verzeihen heute noch schwer fällt. Geborgenheit fand das Mädchen lediglich bei ihren Großeltern. "Es sind ja Gerts Eltern. Mein Opa ist leider schon gestorben, aber meine Oma ist nach wie vor eine sehr enge Bezugsperson für mich. Das hat mich vor Schlimmerem bewahrt", erinnert sich die Wienerin.

Daran, dass Gert nicht ihr Papa sein könnte, hat Lara lange nicht gezweifelt. Obwohl: "Mit acht Jahren habe ich in mein Tagebuch geschrieben: Ich glaube, dass meine Eltern Verbrecher sind und ich gestohlen wurde." Und als Kind fragte sie ständig nach ihrer Zeugungsgeschichte. "Ich wollte es wieder und wieder hören." Und die Mama tischte immer dieselbe Version auf: dass Gert ein alter Jugendfreund war. Sie wäre mit 20 Jahren von Graz nach Innsbruck gegangen, um als Kellnerin zu arbeiten. Zufällig hätte sie Gert dort wieder getroffen. Der Beginn einer kurzen Liebesbeziehung, denn er wäre nach wenigen Wochen wieder zurück nach Graz gegangen. Was er angeblich nicht wusste: Ilse war schwanger. Erst nach der Geburt hätte sie ihm Bescheid gegeben und er soll sich sehr gefreut haben. Kurz darauf haben sie geheiratet. "Ich habe mich lange Zeit mit dieser Geschichte zufriedengegeben."

»Ich glaube, dass meine Eltern Verbrecher sind und ich gestohlen wurde«

SCHWIERIGER LEBENSWEG. Nach der Matura zog Lara endlich von zu Hause aus. Der Kontakt zu den Eltern: ein ständiges Auf und Ab. "Manchmal haben wir zwei Jahre lang nichts miteinander gesprochen und uns alles Mögliche vorgeworfen. Aber selbst im größten Streit wurde nie eine Andeutung über meine wahre Herkunft gemacht." Lara baute sich ein eigenes Leben auf. Elf Jahre lang arbeitete sie in Callcentern, später schaffte sie ein Pädagogik-Studium. So weit war alles gut, nur Beziehungen wollten nicht klappen. "Ich schlitterte immer in eine Abhängigkeit zum Partner. Letztendlich wurde ich immer verlassen." Bis die Wienerin vor fünf Jahren ihren Mann Lars kennenlernte. "Er hat dieses Muster mit seinem Einfühlungsvermögen unterbrochen."

ZWEIFEL KOMMEN. Und dann kam die Erkenntnis, der Moment, an dem ihr all die Verlogenheit der letzten Jahrzehnte bewusst wurde. Die Wienerin war mittlerweile 33 Jahre alt und mit ihrer Tochter Kira schwanger. "In den ersten Monaten litt ich unter extremer Übelkeit und bin fast nur im Bett gelegen. Viel Zeit, um über mein Leben nachzudenken. Und da ist es mir wie Schuppen von den Augen gefallen. Die Zeugungsgeschichte, die mir meine Mutter jahrelang erzählt hatte, konnte einfach nicht stimmen. Diese angeblich zufällige Begegnung mit Gert in Tirol erschien ihr plötzlich völlig unrealistisch. Die Zweifel ließen sie nicht mehr los: "Ich wollte es einfach wissen." Lara nahm Kontakt mit dem Wiener Jugendamt auf. Man verwies sie an ihren Geburtsort Innsbruck. Dort bekam sie die angeforderten Unterlagen. "Das Feld, in dem der Name des Vaters eingetragen werden sollte, war leer. Auch die Adressen meiner Mutter vor und nach der Geburt stimmten nicht mit den Daten überein, die Mama genannt hatte. Ich war fassungslos." Erst ein paar Wochen später konfrontierte sie ihre Mutter mit dieser Erkenntnis: "Vorher habe ich es nicht geschafft. Ich musste das für mich verarbeiten. Meinen sozialen Vater konnte ich jedenfalls nicht mehr anschauen."

»Meinen sozialen Vater konnte ich jedenfalls nicht mehr anschauen.«

Bei der Geburtstagsfeier ihrer Oma nahm sie die Mutter zur Seite: "Er ist nicht mein Vater." Zunächst hat es die 56-Jährige abgestritten, dann doch zugegeben. Sie erklärte, in einer aussichtslosen Situation gewesen zu sein: Mit 20 hat sie in einem Schnellrestaurant in Bregenz einen Wiener Pharmareferenten kennengelernt. Sie wusste nur, dass er zwischen 45 und 50 Jahre alt war, mit Vornamen Harald hieß, verwitwet war und vier Kinder hatte. Ein One-Night-Stand, mehr nicht. Als sie ein paar Wochen später ihre Schwangerschaft bemerkte, war sie verzweifelt. Damals war man mit einem ledigen Kind unten durch. Sie hatte keine Ahnung, wo sie Harald finden konnte. Das Jugendamt drohte, ihr das Kind abzunehmen, da sie auch keinen Job mehr hatte. Da erinnerte sie sich an ihren Jugendfreund, der doch immer Kinder wollte, und bat ihn um Hilfe. Tatsächlich: Gert erklärte sich bereit, die Vaterrolle zu übernehmen...

ERFOLGLOSE SUCHE. Für Lara bricht mit dieser Beichte eine Welt zusammen: "Wie konnte sie nur? Mich jahrzehntelang anlügen und dann auch noch einem gewalttätigen Umfeld aussetzen. Warum hat sie mich nicht wenigstens davor bewahrt? Schwer zu ertragen war auch, dass es alle rundherum wussten und einfach geschwiegen haben." Vor drei Jahren, nach der Geburt ihrer Tochter, startete die junge Mutter die Suche nach ihrem leiblichen Vater. "Er weiß ja nicht, dass es mich gibt. Ich habe alles versucht. Beim Gesundheitsministerium nachgefragt, der pharmazeutischen Wirtschaft, Meldeamt und mich bei der Sendung 'Vermisst' bei RTL gemeldet. Die haben nicht reagiert." Sogar in dem Hotel, in dem sie gezeugt wurde, hat sie angerufen. Ohne Erfolg. Ein Jahr lang hat die junge Frau intensiv gesucht, bevor sie aufgegeben hat. "Ohne Nachname und Geburtsdatum, hieß es, wäre da nichts zu machen. Er müsste heute so um die 80 Jahre alt sein und stammt aus Wien." Eine Zeit lang hat Lara in jedem über 1,80 großen, älteren Mann mit blauen Augen ihren potenziellen Vater gesehen: "Die Augen habe ich von ihm."

Mit ihrer Mutter hat sie seit zwei Jahren keinen Kontakt: "Mama hat wohl Schuldgefühle. Ich habe ja Verständnis für sie. Man hätte mir das viel früher sagen müssen, falls nötig mit psychologischer Hilfe." Die holt sich Lara heute: "So viel Geld kann ich beim Therapeuten gar nicht ausgeben, dass ich das jemals komplett in den Griff bekomme. Eltern kommen über so eine Lüge hinweg, ein Kind vielleicht niemals."

KUCKUCKSKIND-FACTS

In Lara Maxers Fall wusste der soziale Vater, dass er nicht der biologische ist. Die Dunkelziffer an Kuckuckskindern, bei denen Männern Kinder untergeschoben werden, ist in Österreich hingegen sehr hoch. Jährlich werden rund 4.000 Vaterschaftstests durchgeführt. In jedem vierten Fall gibt es keine Übereinstimmung. Rechtliche Folgen: Der Scheinvater kann sein Unterhaltsgeld zurückfordern. Ansprüche bestehen gegen den biologischen Vater, die Mutter und das Kind.

Ich kenne meinen Vater nicht
LEBENSMENSCH. Um ihren Opa, den Vater ihres sozialen Papas, trauert Lara sehr: "Er war neben meiner Oma der wichtigste Mensch in meinem Leben. Leider ist er schon 2001 gestorben."


Ich kenne meinen Vater nicht
GEBORGENHEIT. In ihrer Kindheit gab es nur wenige Momente, in denen sich Lara glücklich fühlte: "Bei meinen Großeltern war das der Fall. Ich verbrachte fast jedes Wochenende bei ihnen in der Steiermark."


Thema: Report