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Causa Rafreider: „Es braucht mehr Wissen über Gewaltbeziehungen“

Wie kann man als seriöses Medium korrekt über Gewalt in Beziehungen berichten? Diese Frage haben wir aus aktuellem Anlass mit Maria Rösslhumer von den Autonomen Frauenhäusern besprochen.

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Causa Rafreider: „Es braucht mehr Wissen über Gewaltbeziehungen“
© Luiza Puiu

Gewalt in Beziehungen ist ein Thema, das allgegenwärtig ist. Jede fünfte in einer Beziehung lebende Frau ist bzw. war schon davon betroffen. In die Medien geraten solche Fällen vor allem dann, wenn einer oder eine der involvierten Personen prominent ist. Aktuelles Beispiel: Die schweren Vorwürfe gegen ORF-Moderator Roman Rafreider. Und an dieser Stelle müssen wir Medien - auch wir von WOMAN - uns auch selbstkritisch die Frage stellen: Wie kann man über solche Fälle berichten? Auf der einen Seite gibt es ein öffentliches Interesse und die journalistische Praxis alle Seiten zu beleuchten. Demgegenüber steht ganz zentral der Opferschutz und die mediale Verantwortung der Justiz nicht vorzugreifen. Wir haben Maria Rösslhumer, Geschäftsführerin der Autonomen Österreichischen Frauenhäuser (AÖF) um ihre Meinung und Expertise aus der Sicht der betroffenen Frauen gefragt.


In den vergangenen Tagen und Wochen wurde von vielen Medien über die „Causa Rafreider“ berichtet. Die Berichterstattung wurde zum Teil stark kritisiert. Was ist da falsch gelaufen und wie hätte man es aus Ihrer Sicht korrekt machen können?
Maria Rösslhumer: Grundsätzlich ist es in Ordnung, dass man über eine Wegweisung berichtet. In den meisten Fällen landet so etwas ja erst in den Medien, wenn wirklich ganz schwere Gewalt, wie etwa ein Mordversuch, stattgefunden hat. Aufgrund der Prominenz von Roman Rafreider wird wohl schon über die Wegweisung und die angezeigten Delikte berichtet worden sein. Eine sachliche Berichterstattung - dagegen ist nichts einzuwenden. Aber ich finde es extrem problematisch, dass ein prominenter Mensch medial so viel Raum bekommt, um sich selber darzustellen. Damit erhält er die Chance, sein Verhalten zu verleugnen, zu verharmlosen und die Frau als Lügnerin bzw. als den Grund für die Eskalation darzustellen. Das sind klassische Täterstrategien, die hier angewendet werden. Und das ist generell abzulehnen.

Eine Argumentation die an dieser Stelle immer wieder zu hören ist: In einer perfekten Welt hätten natürlich beide den Ausgang des Verfahrens abgewartet und das überhaupt nicht medial ausgetragen. In der Realität waren aber die Nachrichten in der Kronen Zeitung abgedruckt und viele finden es legitim, dass auch Rafreider zu Wort kommt, nachdem schwerwiegende Vorwürfe gegen ihn im Raum stehen.
Maria Rösslhumer: Dass es in dieser Form öffentlich wurde muss natürlich die Kronen Zeitung verantworten. Aber zu den anderen Medien: Einer Seite einer Gewaltbeziehung öffentlich so viel Raum zu geben ist problematisch. Die Medien haben die Verantwortung den Opferschutz zu wahren und die Betroffene nicht zu beschuldigen. Hier wird ein Voyeurismus befriedigt und die Leserinnen freuen sich über mehr Hintergrundwissen, das verstehe ich schon. Aber es ist sehr einseitig und es kommt zu Beschuldigungen, Verharmlosungen und Verzerrungen. Natürlich haben alle das Recht informiert zu werden - aber eine sachliche Darstellung des Vorfalls ist das nicht. Und am Ende schadet so ein öffentlich ausgetragene Stellungnahme beiden.

Aber dann hört man - vor allem von Männern - immer wieder: „Rafreiders Leben bzw. Karriere wird durch diese Berichterstattung zerstört. Ist es nicht sein gutes Recht, sich dazu zu äußern?“
Maria Rösslhumer: Das mag schon sein, aber durch diese Form der Berichterstattung wird er zum Opfer gemacht. Es handelt sich um eine klassische „Opfer-Täter-Umkehr“. Tatsächlich muss man Menschen aber an ihren Taten messen. Und dazu gibt es Fakten: Es gab eine Wegweisung, es gab diese Nachrichten. Und da sollte man ihm nicht die Möglichkeit geben, sich als Opfer darzustellen. Zu klären was vorgefallen ist, ist Sache der Justiz und nicht der Öffentlichkeit bzw. der Medien. Aber durch seine Aussagen wird die Ex-Freundin jetzt als Lügnerin und als psychisch labil dargestellt. Als wolle sie ihm schaden und sich rächen. Aber eine Frau, die mit einem prominenten Mann zusammen ist, überlegt sich ohnehin zehn mal, ob sie überhaupt eine Anzeige machen soll. Weil sie weiß, was passieren wird. Sie wird zur Beschuldigten, es dreht sich um.


Es gibt ja auch Interview-Anfragen bei der Ex-Freundin, es wurde mit ihrem Anwalt kommuniziert. Sie hätte ja auch die Möglichkeit ihre Sichtweise in den Medien darzustellen. Worin liegt da der Unterschied?
Maria Rösslhumer: Wenn sie in die Medien geht, kann auch sie sehr schnell eine Verleumdungsklage und Rufschädigungsklage am Hals haben - weil er ein Prominenter ist. Wir beobachten, dass sich immer mehr Frauen nicht trauen, eine Anzeige zu machen - weil zu bemerken ist, dass diese Strategie von Tätern immer stärker herangezogen wird. Sie ist daher gut beraten, nicht in die Öffentlichkeit zu gehen. Weil jede Aussage, die sie tätigt, könnte kontraproduktiv ausgelegt werden. In einem Strafverfahren heißt es immer im „Zweifel für den Angeklagten“ das heißt, das Opfer muss Beweise erbringen was noch schwieriger wird, wenn in Medienberichten Aussagen getätigt werden.


Andererseits: Irgendwie sind ja auch diese Nachrichten in den Medien gelandet und es wird von vielen vermutet, dass sie von der Ex-Freundin und/oder ihrem Umfeld weitergegeben wurden.
Maria Rösslhumer: Sollte dem so sein, war es wahrscheinlich das Einzige, was ihr in dem Moment eingefallen ist, um zu zeigen, dass es keine einmalige und auch keine harmlose Geschichte war. Und viele Betroffene sind im Moment einer Wegweisung in einer Ausnahmesituation. Wenn dann auch noch die Medien ins Spiel kommen, macht man vielleicht Dinge, die man sonst nicht tun würde. Da braucht es vor allem rechtliche Unterstützung für die Betroffenen. Insofern ist es sehr wichtig, dass es die Interventionsstellen gibt, die Frauen betreuen und Prozessbegleitung anbieten. Sofern es zu einem Prozess kommt. Es kann natürlich auch sein, dass das jetzt ohnehin alles eingestellt wird. Auch, weil er ein Prominenter ist. Wir haben eine Zwei-Klassen-Justiz: Menschen, die es sich leisten können, werden auch vom Gericht anders behandelt als „normale“ BürgerInnen.

Roman Rafreider sagt in allen Interviews, er hätte nie physische Gewalt angewendet. Aber an den öffentlich gewordenen Nachrichten kann man ganz eindeutig massive psychische Gewalt erkennen und das gibt er ja auch zu. Wird hier psychische Gewalt im Vergleich zu physischer unterschätzt bzw. verharmlost?
Maria Rösslhumer: Das ist psychische Gewalt und gefährliche Drohung. Und das ist ein Straftatbestand. Er hat sie in Angst und Panik versetzt. Auch wenn er nicht zugeschlagen hat - es ist schwere psychische Gewalt. Und genau als das muss das gesehen werden. Aber wie schon erwähnt: Da versucht er eben alles umzudrehen.

Das heißt es ist eigentlich sehr offensichtlich: Auf der einen Seite gibt er selbst einen Straftatbestand zu, im gleichen Atemzug wird aber über die psychischen Probleme der Ex-Freundin gesprochen um das zu rechtfertigen.
Maria Rösslhumer: Das sind die genau die Täterstrategien, von denen ich vorher gesprochen habe. Die Frau wird als psychisch labil dargestellt, sie ist diejenige, die nicht in der Lage ist ihr Leben in die Hand zu nehmen oder Konflikte zu bewältigen und so weiter. Genau das passiert in den Interviews. Wenn man in so einer Situation an die Öffentlichkeit gehen will, wäre es viel besser zu sagen: "Ja, ich habe Probleme. Ich habe Schwierigkeiten mit Konflikten umzugehen, es tut mir alles extrem leid. Es ist mir aber passiert und ich möchte hier eine Änderung herbeiführen." Wenn jemand das sagt und dabei kein Wort über die Ex-Freundin verliert, dann würde ihn das denjenigen sogar als sympathischen Menschen darstellen. Sehr viele Menschen haben Probleme und Konflikte in der Partnerschaft. Und gerade bei Trennung oder Scheidung eskaliert es oft, da kommt es immer wieder zu Übergriffen. Wenn man sich hier einsichtig zeigt und sagt: „Ja, ich war psychisch übergriffig, ich muss das angehen, ich muss daran arbeiten“ - das wäre eine andere Darstellung als die Verantwortung abzugeben. Also als sich selbst als Opfer darzustellen und der Frau die Schuld zu geben. Dadurch würde auch signalisiert, dass man an sich arbeiten und Verantwortung übernehmen muss. Das ist doch viel „männlicher“, als die Schuld abzuschieben.


Wie sollte man jetzt Ihrer Meinung nach weiter über den Fall berichten?
Maria Rösslhumer: Wenn es zum Strafverfahren kommt, sollten Medien möglichst sachlich darüber berichten und schauen, welches Gerichtsurteil gesprochen wurde und welche Konsequenzen das hat. Wir, also die Opferschutzorganisationen, wünschen uns eine sensible und verantwortungsvolle Berichterstattung mit mehr Hintergrundinformationen dazu, wie es überhaupt zu Gewaltbeziehungen kommt, welche Dynamiken und Ursachen das hat. Und: Wie man sich Hilfe suchen kann - es gibt die Männerberatungsstellen, die hier wichtige Anlaufstellen wären. Es braucht einfach mehr Hintergrund, als immer nur Opfer und Täter an der Pranger zu stellen. Die Menschen müssen verstehen, was in Gewaltbeziehungen passiert. Und dass es Chancen gibt, heraus zu kommen - wenn man Verantwortung übernimmt und sich Hilfe holt.