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Handbuch gegen sexuelle Belästigung: "It's not that grey"

Ein "Guide" in Buchform zeigt, dass die vielzitierte "Grauzone" bei Übergriffen eigentlich gar nicht so grau ist - vielmehr erfolgt Belästigung immer nach ähnlichen Mustern. Gegen die man sich umso besser wehren kann, wenn man dafür eine gemeinsame Sprache hat.

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Handbuch gegen sexuelle Belästigung: "It's not that grey"
© Marianna Tuokkola

Angefangen habe alles damit, dass sie bereits in ihrer ersten Woche als Mitarbeiterin im Europäischen Parlament - das war im Jahr 2015 - "Übergriffe am laufenden Band" erlebt habe, erzählt Autorin Sara Hassan, die damals 23 Jahre alt war. Das habe bei Typen begonnen, die ganz selbstverständlich nach deinem MitarbeiterInnen-Ausweis greifen - der wohlgemerkt direkt an der Brust hängt - über dubiose Jobangebote im Abtausch für erotische Dienste - obwohl die Betroffene ja ganz eindeutig einen Job hatte - bis hin zu "klassischen" körperlichen Übergriffen. Und zwar überall. Direkt am Arbeitsplatz, im Fitness-Studio, in Lokalen. In und rund um die Institutionen der Europäischen Union in Brüssel bemerkte Sara Hassan jedenfalls ein Klima, in dem solche Übergriffe auf der Tagesordnung zu stehen schienen.

Während die allgemeine und mediale Debatte über massive sexuelle Belästigung im EU-Parlament noch bis 2017 auf sich warten lassen sollte - Stichwort: #MeToo - wurde Sara Hassans Eindruck schon damals durch Gespräche mit Kolleginnen bestätigt, sie alle hatten von ähnlichen Vorfällen zu berichten. "Im Austausch bemerkten wir relativ schnell, dass sich diese Geschichten in vielen Punkten gleichen, dass diesen Übergriffen stets eine ähnliche Systematik zu Grunde liegt", sagt Sara Hassan. So habe man damals begonnen, sich als feministisches Netzwerk einmal im Monat zu Workshops zu treffen, in denen einerseits Geschichten ausgetauscht und gesammelt wurden und andererseits auch Fortbildung zum Thema betrieben wurde.

Geschichten niederschreiben

Ein zentraler Gedanke, der dabei aufkam, war jener: "Wenn so viele dieser Geschichten so ähnlich sind, wäre es dann nicht extrem sinnvoll, wenn wir die hinter dem Übergriff liegende Systematik analysieren, sie niederschreiben und den Verhaltensweisen vor alllem auch Namen geben?" Denn das würde es wesentlich einfacher machen bereits den Anfang eines Übergriffs zu bemerken - und sich als Betroffene, aber auch als Zeuge/Zeugin wehren zu können. Und so kam es dazu, dass Sara Hassan und Juliette Sanchez-Lambert gemeinsam das Buch geschrieben haben.

Das Buch gibt's nicht nur gebunden, sondern auch kostenlos zum Download. (Link am Artikelende)

Die Dinge beim Namen nennen

Um ebendiese Systematiken und Begriffe zu veranschaulichen, werden im Buch Erzählungen von Übergriffen, die tatsächlich passiert sind, geteilt. In der Spalte links daneben wird das Geschehene in rot analysiert - und dabei die klassischen Muster von Belästigung benannt. Etwa "Starting with a compliment" (es ist um einiges schwerer, sich gegen etwas zu wehren, was doch eigentlich als Kompliment begann...) oder "Blurring the lines" (Wenn Grenzen verschoben werden, etwa von Arbeitsbereich und Privatem, Freundschaft oder Beziehung, eröffnet das Belästigern mehr Möglichkeiten...) oder relativ offensichtlich, die "Invitation to a private Space" (egal ob physischer Raum wie etwa im Büro oder im Hotel, aber auch der Wechsel von einer beruflichen Kommunikation via E-Mail hin zu einem privateren Messenger....).

Das sind nur drei von vielen im Buch beschriebenen Verhaltensweisen - von denen jede einzelne den meisten Frauen bekannt sein dürfte. Nur: Bisher hatten wir für vieles davon schlichtweg keinen Namen oder erkannten in gewissen Verhaltensweisen kein wiederkehrendes Muster von Belästigung - das ändert dieses Buch. "Es ist eigentlich erstaunlich, dass sich dafür bisher keine gemeinsame Sprache entwickelt hat, so oft wie wir alle diese Dinge erleben", sagt Sara Hassan. "Ich habe ein bisschen den Eindruck, dass das vor allem deshalb so ist, weil das ein Wissen ist, über das nur Frauen verfügen - und das deshalb offenbar als illegitim begriffen wird."

Die beiden Autorinnen Juliette Sanchez-Lambert (mitte) und Sara Hassan (rechts) bei der Buchpräsentation in Brüssel.

Praktische Anleitungen und "Red Flags"

Das will das Buch "It's not that grey" nun ändern. Neben der sprachlichen Benennung von Verhaltensmustern, findet sich darin aber auch ein "Red Flag System", das Frauen bzw. alle Menschen, die von Übergriffen betroffen sind, für sich selbst nutzen können. Dabei geht es vor allem darum, mit diesen "roten Flaggen" eigene Grenzen abzustecken - und diese dann auch auszusprechen bzw. klar zu machen.

Aber auch jenen, die hartnäckig behaupten, beim Flirten existiere zwangsläufig eine Grauzone, bei der schon mal eine Grenzüberschreitung passieren kann, kann das Buch ein wertvoller Ratgeber sein, um das eigene Verhalten einmal zu reflektieren. Und kleiner Hinweise am Rande, so schwer ist es gar nicht zu verstehen: "Sobald Macht im Spiel ist und diese Macht in irgendeiner Weise ausgenützt oder missbraucht wird, ist es kein Flirt sondern ein Übergriff", sagt Sara Hassan und konkretisiert: "Komm Macht ins Spiel, ist es deshalb kein Kompliment bzw. Flirt mehr, sondern eine rote Fahne, weil die Adressatin nicht 'Nein' sagen kann, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen."

Buch richtet sich auch an "Unbeteiligte"

So sei auch das Feedback von Männern, die das Buch gelesen haben, interessant gewesen: "Viele, die sich selbst immer für die 'Good Guys' halten, haben sich durch einige der angesprochenen Verhaltensmuster ertappt gefühlt." Dennoch, das Buch richtet sich nicht in erster Linie an sie, sondern an alle Betroffenen - aber auch an vermeintlich "Unbeteiligte". So ist jenen, die Übergriffe beobachten, sogar ein ganzes Kapitel gewidmet - denn auch wie ein Zeuge bzw. eine Zeugin mit so einer Situation umgeht, kann einen Unterschied machen. "Wenn jemand in einer Runde einen sexistischen Kommentar ablässt und alle schweigen dazu, dann werden solche Aussagen durch das Schweigen legitimiert. Dann heißt es vielleicht dann: 'Ach, der ist halt so' und alle akzeptieren das. Genau so etwas bereitet aber den Nährboden für weitere Eskalation." Und genau diese Eskalationen schon in ihren Anfängen zur verhindern und nicht zuletzt die "Welt zu verändern" ist der Anspruch des Buches - das wir hiermit allen empfehlen wollen.

Wie komme ich an das Buch?

Auf der Website von "Period.", jenem feministischen Netzwerk, das 2016 von Sara Hassan 2016 in Brüssel mitbegründet wurde, gibt es die Broschüre "It's not that grey" kostenlos zum Download!

Über die Autorin:

Sara Hassan (26) war bis September 2018 politische Referentin im Europäischen Parlament. Sie betreibt gemeinsam mit Sarah Diedro den Podcast "Vocal about it: A podcast celebrating women of color in Europe and featuring real talks about their lives as two WOC living in Brussels." Darüber hinaus ist sie nach wie vor bei "Period." engagiert und arbeitet als freie Journalistin. Auf Twitter ist Sara Hassan zu vielen Themengebieten aktiv.

Thema: Feminismus