Es gibt Momente, die verändern ein Leben. Für Tort, 23, war es ein Tag im Juni 2005. Nämlich jener, an dem sie ihren ersten Brief von der Kinderhilfsorganisation "Plan International " erhielt. Und damit auch einen Funken mehr Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Auf gelbem Papier stand da: "Hallo. So begrüßen wir einander in unserer Sprache. Auch dich möchten wir so willkommen heißen. Wir freuen uns sehr, dass wir einen Sponsor für dich gefunden haben ..." Daneben viele Bilder. Von Kindern, die mit Bällen spielen, Landschaftsaufnahmen aus deutschen Städten und den Bergen.
Heute, 13 Jahre später, hat Tort den Brief noch immer bei sich. Sie holt ihn aus einem Regal neben ihrem Bett. Dank ihrer Paten konnte die Kambodschanerin zur Schule gehen, sie arbeitet mittlerweile als Lehrerin. Ohne Unterstützung von Menschen aus einem Land, von dem sie davor noch nie gehört hatte, wäre das nicht möglich gewesen "Wir hatten Angst, dass unsere Tochter benachteiligt werden würde, weil sie nur mit einem Arm zur Welt gekommen ist", erzählt ihre Mutter Kheng, 56. "Deshalb haben wir sie für die ,Plan International'-Förderungen angemeldet." Eine Übersetzerin, die uns beim Gespräch unterstützt, erklärt: "Patenkinder sind in der Gemeinde besonders angesehen. Sie dürfen neben der finanziellen Hilfe Kurse besuchen, die ihr Wissen und Selbstbewusstsein steigern sollen. Und es ist immer etwas Besonderes, wenn sie Briefe von ihren Förderern bekommen."

NEUE MÖGLICHKEITEN.
Vor einem Jahr war Tort schließlich die Erste aus ihrem Dorf, die das "Teacher Training College" abschloss. Seitdem jobbt die 23-Jährige untertags in der Schulbibliothek, lernt mit den Schülern lesen und motiviert sie zum Lernen. Abends unterrichtet sie in ihrem Dorf freiwillig Englisch. Jeden Tag zwischen halb sechs und sieben versammeln sich in einer kleinen Hütte neben ihrem Zuhause bis zu 30 Kinder, alle zwischen sieben und zwölf Jahre alt."What 's that?", fragt Tort in die Runde und hält das selbst gemalte Bild einer Wassermelone hoch."Watermelon", rufen alle Kinder gleichzeitig. Und noch einmal:"Waaateeermeeelooon!" Nächstes Wort: "Cocooonut!" Zwischendurch laufen Kühe an den Schülern vorbei -Torts Brüder treiben sie gerade vom Feld zurück in den Stall. Nach den Vokabelübungen werden die Hausaufgaben kontrolliert, die Kleinen singen dazu: "If you're happy and you know it, clap your hands." Tische und Sessel für den Unterricht wurden für unseren Besuch von der Gemeinde ausgeborgt. Meistens sitzen alle mit ihren Heften einfach auf Matten am Boden. Wie nötig dieses ehrenamtliche Engagement ist, zeigt die Bildungsstatistik des Landes: Rund 60 Prozent der Kinder haben auch heute noch keinen Schulabschluss. "Die Eltern bestärken sie vielfach darin, weil sie wollen, dass ihre Kinder Geld für den gemeinsamen Haushalt mitverdienen. Sie verstehen oft nicht, wie wichtig Ausbildung ist", so Muoy, die für "Plan International" vor Ort im Einsatz ist. "Deswegen versuchen wir, immer mehr Vorbilder wie Tort zu finden. Sie zeigt, was man schaffen kann, wenn man lernt."

BESCHEIDENER ALLTAG.
Tort lebt mit ihren Eltern in der Provinz Siem Reap. Rund sechs Kilometer von der Stadt entfernt. Zuhause ist für sie ein rund 16 Quadratmeter großes Holzhaus, in dem auch immer wieder manche ihrer sieben Geschwister - die meisten sind bereits verheiratet -übernachten. Es ist ein einfaches Gebäude, auf Stelzen gebaut, wie die meisten in dieser Gegend. Das soll die Bewohner in der Regenzeit vor Hochwasser schützen. Zwischen den Matratzen stehen große Säcke mit Reissamen, die bald angepflanzt werden sollen, an den Wänden hängen bunte Poster von thailändischen Stars. Der Familie gehört noch ein zweites, etwa gleich großes Häuschen. Hier wird gekocht und gegessen. Weiterer Besitz: ein großes Feld, auf dem Obst und Gemüse angebaut werden. Davon ernährt sich die Familie, ein Teil wird verkauft. Genau so machen es auch die meisten in ihrem Umfeld -80 Prozent der kambodschanischen Bevölkerung leben von der Landwirtschaft. In den Städten boomt hingegen immer mehr der Fremdenverkehr. Millionen Touristen besuchen jährlich die riesigen Tempelanlagen rund um Angkor Wat. In Siem Reap wurden deshalb neue Hotels und Restaurants errichtet. Wer mit dem Auto jedoch zehn Minuten weiter raus fährt, merkt, wie die Hütten einfacher werden. Und die Straßen rumpeliger und voller Schlaglöcher.
VERLORENE GENERATION.
Während Tort noch ihre Englischstunde weiterführt, setzen wir uns mit ihren Eltern zusammen: Mutter Kheng, 56, und Vater Hass, 60, sind seit 39 Jahren verheiratet. Sie haben sieben Kinder, drei davon sind ins Nachbarland Thailand gezogen, um dort als Bauarbeiter Geld zu verdienen. Tort ist die Zweitjüngste. Und die Einzige mit Highschool-Abschluss in der Familie. Ihre Geschwister haben alle früher abgebrochen. Die Eltern selbst sind nie wirklich zur Schule gegangen, sie können weder lesen noch schreiben. "Wir leben von dem, was wir selbst erwirtschaften. Manchmal repariere ich auch Fahrräder für andere. Für eine richtige Ausbildung ist es leider zu spät", seufzt der Vater. "Es gibt ja keine Schule für ältere Menschen." Umso wichtiger war es ihm deshalb, dass seine Kinder mehr Möglichkeiten haben: "Vor allem Tort hat schon immer hart gearbeitet. Wenn sie auf die Kühe am Feld aufpassen musste, hatte sie immer Lernbücher dabei." Die Mutter lacht: "Wir haben uns meistens mehr um sie gesorgt, weil sie nur einen Arm hat. Aber Tort wollte uns immer beweisen, dass sie alles genauso kann. Heute fährt sie sogar mit dem Motorrad." In der Zwischenzeit hat Tort ihre Englischstunde beendet. Die Schüler laufen in alle Richtungen nach Hause. Manchmal bedankt sich die Community für ihr Engagement mit Säften oder Lebensmitteln. Diese teilt sie dann mit ihren Eltern. Auch mit ihrem Gehalt sorgt die 23-Jährige für ihre Familie und finanziert ihren Nichten und Neffen Schulunterlagen. Umgerechnet verdient die junge Kambodschanerin rund 187 Euro im Monat. Im Vergleich dazu: Das durchschnittliche Monatseinkommen in Österreich beträgt 2.106 Euro. Wir sitzen noch vor dem Haus. Langsam geht die Sonne unter. Also verabschieden wir uns, morgen treffen wir Tort an ihrem Arbeitsplatz in der Schulbibliothek wieder.

MÄDCHEN MOTIVIEREN.
Da ist was los! 300 Kinder laufen durch den Schulhof. Schreien, lachen, spielen. Sie sind aufgeregt und wollen wissen, wer die Menschen sind, die da kommen. Tort begrüßt uns in ihrer Lehreruniform: dunkelblauer, langer Rock, hellblaue Bluse. Sie bringt uns in die Bibliothek. Untertags liest sie hier den Erstklässlern vor und übt mit älteren Schülern. Einige waren sogar so engagiert, dass sie eigene Erzählungen kreiert haben: "Der Vogel und die Ameisen" steht da in der Landessprache Khmer neben bunten, selbstgemalten Illustrationen. Einen Teil ihres Lohns spart Tort für ihre Weiterbildung, sagt sie uns. Gern würde die Pädagogin auf der Universität studieren und als Highschool-Lehrerin 14-bis 18-Jährige unterrichten. Ihre Botschaft: "Bildung ist der Schlüssel zu einem besseren Leben. Vor allem für Frauen. Viele denken noch immer, dass Söhne mehr wert sind. Dann sage ich den Mädchen, sie müssen lernen, damit ihr Mann mal zu ihnen aufschaut." Tort lacht und fächert sich frische Luft zu. Die Hitze hängt im Zimmer -es ist Mittag, das Thermometer zeigt 32 Grad.
IHR GRÖSSTER TRAUM WIRKT KLEIN.
Auf die letzte Frage weiß Tort keine Antwort: Was ihr Traum ist? Das hat sich die 23-Jährige noch nie überlegt. Sie will weiter als Lehrerin arbeiten. Später mal heiraten, Kinder bekommen und ein eigenes Zuhause auf bauen. Am liebsten aber "in der Nähe der Eltern". Tort träumt von keinen großen Reisen oder materiellen Dingen. Ihre Wünsche mögen klein wirken, verglichen mit denen, die wir oft haben. Sie will ihr Umfeld unterstützen, ihren Beitrag leisten, so wie auch sie als junges Mädchen bestärkt wurde. Das macht für sie ein gutes Leben aus.

DER WEG IN EINE BESSERE ZUKUNFT:
Das Kind am Foto oben ist Tort als kleines Mädchen. Es ist das erste Bild, das ihrer Patenfamilie vor 13 Jahren geschickt wurde. Über Briefe hielt die heute 23-Jährige Kontakt mit ihren Unterstützern aus Deutschland. Darin berichtete sie aus ihrem Leben (u.). Mit nur 28 Euro im Monat kann jeder ein Patenkind und dessen Gemeinde unterstützen -in 51 Ländern in Afrika, Asien und Lateinamerika. Insgesamt werden in Kambodscha etwa 22.000 Kinder bis 18 Jahre supportet. Mehr Infos dazu: plan-international.at
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