Tim Bengel ist Künstler. Nein, kein ausgebildeter Künstler, er ist Autodidakt. Sein Geld verdient er sehr erfolgreich mit seinen Bildern. Der 30-Jährige bastelt Collagen aus alten Fotomotiven und arbeitet dafür mit Sand und Blattgold. Die Videos zu seinen geschütteten Sandbildern werden millionenfach geklickt, auf Instagram folgen ihm mittlerweile rund 300.000 Menschen. Bengel selbst spricht überhaupt von einer medialen Reichweite von 400 Millionen Menschen. In seiner Generation zählt er wohl zu den bekanntesten Gesichtern der Branche.

Ob man die Arbeiten von Tim Bengel wirklich als Kunst im klassischen Sinn bezeichnen kann oder nicht, sei dahingestellt -Bengel selbst möchte sich ohnehin nicht in irgendeine Schublade stecken lassen. Seine Karriere beweist immerhin eines: Man kann ein erfolgreicher Künstler werden, ohne den herkömmlichen Weg über den Kunstmarkt zu gehen. Der Deutsche vermarktet sich seit sechs Jahren nämlich nicht wie andere seiner Kollegen über eine Galerie, sondern rein übers Netz. Und genau darin liegt vielleicht auch sein Erfolgsgeheimnis. Bengels Werke aus schwarzem und weißem gefilterten Sand sind mittlerweile bei Ausstellungen auf der ganzen Welt zu sehen. Geschichten wie die von Tim Bengel machen außerdem eines klar: Der Kunstmarkt befindet sich, auch aufgrund von Instagram & Co., mehr denn je im Wandel. Und wer jetzt nicht auf den (digitalen) Zug aufspringt, der ist ohnehin fast schon zu spät dran.
Die Jungen shoppen Kunst via Instagram.
Aktuelle Umfragen zeigen deutlich, dass sich der Markt und das Geschäft mit der Kunst verändern. Natürlich tut die Corona-Pandemie gerade ihr Übriges dazu, aber zusätzlich zum herkömmlichen Verkauf über Galerien nimmt der Online-Handel einen immer größeren Stellenwert ein, wie auch der "Hiscox Online Art Trade Report" vom Dezember 2020 belegt. Das britische Versicherungsunternehmen befragte für seine Studie 552 Kunstkäufer sowie Führungskräfte von 38 Online-Plattformen - und das Ergebnis unterstreicht, wohin sich Künstler und Käufer bewegen: ins Netz. Während die Online-Verkäufe bei großen Auktionshäusern wie Christie's, Sotheby's und Phillips im Jahr 2019 rund 187 Millionen Euro ausmachten, schoss dieser Wert in den ersten acht Monaten des vergangenen Jahres bereits auf 497 Millionen Euro in die Höhe. Spannend: Am Online-Kauf von Kunstwerken zeigen sich vor allem jene Menschen interessiert, die selbst noch nicht so lange sammeln: 82 Prozent der Web-Konsumenten sind erst seit rund drei Jahren dabei. Instagram &Co. als Tool zum Kunstkauf kommt vor allem bei den Jungen an: 69 Prozent der Befragten, die sich auf den Erwerb von Kunst über digitale Plattformen fokussieren, sind jünger als 35. Der Stellenwert der Online-Präsenz von Künstlern, Galerien und Kunstmessen wird also immer höher.
Künstler & Social Media.
"Die sozialen Medien sind definitiv ein attraktives Tool für die Kunstwelt", weiß auch Jana Alaraj, Social Media Managerin der Vienna Contemporary. Die heimische Kunstmesse findet alljährlich im September statt, der Instagram-Kanal der Messe hat fast 28.000 Follower. "Wir wollen damit unsere Community inspirieren, die Wiener sowie die internationale Kunstszene, und auch aktuelle Initiativen oder Galerienausstellungen promoten. Damit halten wir unsere Follower laufend informiert über spannende und aufstrebende Formate aus Mittel- und Osteuropa. Gleichzeitig sehen wir uns als Vermittlungs-und Netzwerkorgan, indem wir kleine und mittelgroße Kunstgalerien und KünstlerInnen aus diesen Regionen über unsere Social-Media-Plattformen einem breiteren globalen Publikum präsentieren." Wie sehr der Verkauf übers Netz floriert, weiß auch sie. "Wenn gerade Messe ist, bieten wir einen digitalen Verkaufsraum an, wo die Werke, die vor Ort ausgestellt sind, bequem von zu Hause aus erworben werden können." Die Vienna Contemporary setzt also voll aufs Netz. Grundsätzlich, so Alaraj, sieht sie den Kunstmarkt momentan allerdings noch in den Kinderschuhen, was die strategische Arbeit mit Social Media betrifft.

Künstler Peter Jellitsch, 38, ist da schon ein Stückchen weiter: Er wird von einer Galerie vertreten, nutzt seit 2014 aber zusätzlich Instagram als Tool, um sich und seine Arbeiten zu präsentieren. Immer wieder verkauft der Wiener Maler und Zeichner eines seiner Kunstwerke über die Social-Media-Plattform. Er findet es essenziell, die sozialen Medien für sich zu nutzen. "Es gibt eine ganz klare, starke Verschiebung in den digitalen Raum. Plattformen wie Instagram spielen eine immer bedeutendere Rolle. Man ist direkt mit potenziellen Kunden in Kontakt, kann sich selbst abseits des klassischen Weges als Künstler sowie als Marke etablieren."

Ihm geht es dabei aber nicht nur darum, möglichst schnell viele Kunstwerke zu verkaufen, sondern er möchte seinen Followern auch einen Blick hinter die Kulissen in seinem Studio im 15. Wiener Gemeindebezirk ermöglichen und so ein authentisches Bild von sich selbst vermitteln. "Interessierte können beim Schaffensprozess von Bildern dabei sein und bekommen Einblicke in mein Arbeiten an sich. Der Zugang zu den Künstlern und zur Kunst wird niederschwelliger, ich sehe es ein bisschen als eine Art der Entmystifizierung." Auch in Sachen Preispolitik wird mehr Transparenz ermöglicht, meint Jellitsch. Dass manche Kolleginnen und Kollegen der Branche das Netz und die sozialen Medien immer noch ignorieren, sieht er kritisch. "Ich glaube, man sollte sich dem nicht einfach verweigern. Social-Media-Kanäle können durchaus eine zusätzliche Ebene des eigenen Schaffensprozesses darstellen. Man hat ja gerade jetzt in der Krise gesehen, was passiert, wenn das klassische Geschäftsmodell des Galerie-Verkaufs wegbricht."
Die Kunstbranche wurde durch Corona hart getroffen.
Aber es gab auch Profiteure. Wie Véra Kempf und ihr Team: Seit 2017 betreibt die Unternehmerin mit zwei Kollegen "Singulart" - eine Online-Galerie, die Künstler aus aller Welt vertritt. Die Pandemie hat für ein Umsatzhoch gesorgt. Kempf freut sich: "Wir konnten vielen Künstlern dank der steigenden Verkaufszahlen die Existenz sichern. Und genau das ist ja unser Prinzip: Wir wollen Künstler in ihrem Schaffen stärken."

Und weil sich die Kluft zwischen der analogen und digitalen Kunstwelt während der Pandemie so deutlich wie nie zuvor gezeigt hat -bis dato war vor Ort zu sein ja besonders wichtig -, wollen auch Felix Heuritsch und Michael Leithner von der Agentur "Studio Weholo" hier ansetzen und der Branche unter die Arme greifen. Der Fokus des interdisziplinären Studios liegt auf den Bereichen Augmented Reality und Virtual Reality, die Zeit des Ausnahmezustands nutzten die beiden Kreativen zur Entwicklung einer "Augmented Reality Gallery App". Was die kann? Etwas, das Galerien und Kunstinteressierten beim Online-Shopping von Kunstwerken hilft. Heuritsch: "Interessierte können Exponate in realen Größen, Proportionen und Details in den eigenen vier Wänden platzieren. Es wird bestmöglich versucht, die Wirkung und Aura des Kunstwerks einzufangen, um eine realitätsgetreue Darstellung und Empfindung für den Kunstinteressierten zu schaffen." Sprich: Ich hänge mir das Bild, das ich kaufen möchte, erst via App ins Wohnzimmer, um zu sehen, ob es da überhaupt hinpasst. Die Rückmeldungen sind jedenfalls positiv, ihr Vorhaben ist sehr ambitioniert: "Uns ist bewusst, dass physische Kunst schwierig in die virtuelle, digitale Welt zu übertragen ist, jedoch ermöglichen es die Technologien, die wir nutzen, die Realität zu simulieren."
Diese Problematik sieht auch Galeristin Sophie Tappeiner als gegeben. Tappeiner hat sich mit ihrer Galerie auf die Präsentation von Künstlern spezialisiert, die sich in ihrer Arbeit vor allem auf Installationen und Skulpturen fokussieren.

Sie sieht den Trend, Kunst übers Netz oder via Social Media zu kaufen und zu verkaufen, eher skeptisch. "Das gelingt vielleicht gut mit klassischer Malerei -aber nicht so gut mit Konzeptkunst, bei der es letztendlich doch auch darum geht, inhaltliche Absichten des Künstlers zu erfassen und sie im Raum wirken zu lassen." Künstler Peter Jellitsch pflichtet Tappeiner zwar bei, wirft allerdings die Frage auf: "Liegt nicht genau darin die Herausforderung? Den digitalen Raum in Zukunft auch für konzeptuelle Arbeiten besser zu öffnen?"
Aber was ist mit den Galerien? Haben sie irgendwann ausgedient?
Von der Galeristin bis zum Künstler glaubt das keiner. Jana Alaraj von der Vienna Contemporary: "Galerien bieten die Möglichkeit der persönlichen Interaktion und Vernetzung von KünstlerInnen und Kunstinteressierten. Für KünstlerInnen sind sie nach wie vor ein entscheidender Raum, um die richtigen interessierten SammlerInnen und das Publikum zu finden. Nicht alle KünstlerInnen sind die geborenen Selbstvermarkter oder haben den gleichen Zugang zu technischen Produktionsmöglichkeiten -auf diesem Gebiet kann ihnen eine Galerie entscheidende Arbeit abnehmen. So kann sich der/die KünstlerIn vor allem auf den kreativen Schaffensprozess konzentrieren. Galerien werden immer einen persönlichen Service bieten, der nicht so schnell auf Instagram oder anderen Social-Media-Plattformen zu finden sein wird." Mit ihrer Einschätzung geben die Experten auch der Prognose des "Hiscox Online Art Trade Report" recht: Die Studie prophezeit, dass nach der Pandemie das Bedürfnis nach einem physischen Kauferlebnis vor Ort in Galerien wieder verstärkt da sein wird.