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Long Covid: "Von einem normalen Leben kann keine Rede sein“

Was auch der Forschung erst jetzt klar wird: Eine Covid-19-Infektion kann auch mehrere Monate nach der Erkrankung noch massive Probleme verursachen - selbst bei mildem Verlauf. Eine Betroffene erzählt uns von den Langzeitfolgen, die sie arbeitsunfähig gemacht haben.

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Long Covid: "Von einem normalen Leben kann keine Rede sein“
© iStock

Hört man Yvonne Anreitter am Telefon, würde man nie annehmen, dass man gerade mit einer Frau spricht, die so sehr von Covid-19 gezeichnet ist, dass sie schon das Ausräumen ihres Geschirrspülers komplett erschöpft. Die 47-Jährige wirkt engagiert.

Aber die ehemalige Pädagogin leidet an "Long Covid": Bei 10 - 20 Prozent aller mit dem Coronavirus-Infizierten kommt es nach der Erkrankung zu Langzeitfolgen, die Monate oder vielleicht noch länger anhalten können. Wie lange kann die Wissenschaft nicht abschätzen, denn dazu kann es aufgrund des Auftretens des Virus vor rund einem Jahr aktuell ja keine Langzeitstudien geben.

Mehr dazu erfährst du hier: Leichter Verlauf bei Corona? Dennoch Langzeitfolgen

Wir haben die Mutter von vier Söhnen – Daniel (22), Fabian (20), Valentin (17) und Paul (13) –, die in Wien mit ihrem zweiten Mann zusammen lebt, zu ihrem jetzigen, völlig anderen Leben befragt:

Wann haben Sie sich mit dem Coronavirus infiziert?
Yvonne Anreitter: Anfang November wurde ich krank – mitten in meiner Ausbildung zur Personalverrechnerin sowie zur Mediatorin, da ich gerade dabei war, mich beruflich zu verändern.

Yvonne Anreitter

Wie verlief die Covid-19-Erkrankung bei Ihnen?
Yvonne Anreitter: Zunächst hatte ich einen milden Verlauf und musste nicht ins Krankenhaus. Am ersten Tag habe ich nur ein bisschen gehustet - hätten wir nicht gerade Pandemie, wäre ich wahrscheinlich nicht einmal zuhause geblieben. Am zweiten Tag kamen stärkere Symptome wie Halsschmerzen, Muskelschmerzen, Kopfschmerzen und Schüttelfrost dazu. Die geschwollenen Lymphknoten unter der Achsel waren so schmerzhaft, dass ich kaum schlafen und den Arm nicht mehr am Körper herunterhängen lassen konnte. Nach etwa fünf oder sechs Tagen hatte ich den Eindruck, es würde besser werden, aber am neunten Tag war der Höhepunkt, da ist es mir sicherlich insgesamt am schlechtesten gegangen. Nach eineinhalb Wochen dachte ich, es wäre vorbei. Dann kam jedoch erneut ein Rückschlag. Und danach alle drei - fünf Tage wieder.

Vor Weihnachten schaffte ich es zehn Tage zu arbeiten, hielt dabei aber nie den ganzen Tag durch. Die Kopfschmerzen waren wie Messer, die sich ins Hirn bohrten. Ich konnte nicht einmal mehr lesen, was am Bildschirm stand, meine Augen konnten nicht mehr scharfstellen. Erst vor zwei Tagen wurde dies wieder etwas besser und ich konnte zum ersten Mal seit Wochen einen ganzen Artikel in einer Zeitung lesen.

Ich war körperlich komplett geschwächt, weswegen ich seit 28. Dezember erneut im Krankenstand bin - aus dem ich seither auch nicht mehr rausgekommen bin.

Nun wurde zusätzlich festgestellt, dass meine Gallenblase nicht mehr richtig funktioniert, ebenso wie meine Verdauung. Man hört immer, dass Corona die Lunge oder das Herz angreift, aber das Virus wirkt durch die darauf folgende, überschießende Immunreaktion noch weiter. Ich bin zwar schon lange negativ getestet, aber der Körper kämpft immer noch mit dem, was das Virus angerichtet hat.

»Ich bin zwar schon lange negativ getestet, aber der Körper kämpft immer noch mit dem, was das Virus angerichtet hat.«

Was sagt Ärztinnen und Ärzte dazu?
Yvonne Anreitter: Man weiß einfach viel zu wenig über dieses Virus und dessen Folgen. Meine praktische Ärztin ist wirklich engagiert und informiert sich regelmäßig, aber da kann man noch keine Aussage treffen. Ich bekomme auch einen Haufen an Medikamenten wie Schmerzmittel, Cortison, Antibiotika, CBD, Vitamine - aber es gibt ja noch kein Heilmittel, daher versucht man alles andere.

Wissen Sie, wie Sie sich angesteckt haben?
Yvonne Anreitter: Vermutlich über meinen 17-jährigen Sohn, der sich wohl in der Berufsschule infiziert hatte. Ihm ging es sieben Tage lang wirklich schlecht, mit hohem Fieber und Halsschmerzen. Allerdings ohne Husten, weswegen der Arzt bei ihm zunächst keinen Covid-Test vornahm. Dies geschah erst, als ich erkrankte und andere Symptome aufwies. Er hat sich dann jedoch viel schneller erholt als ich und zum Glück keinerlei Langzeitfolgen.

Die anderen in meiner Familie haben sich nicht angesteckt. Das war meine größte Sorge, da mein Mann seit Kindheit an hohem Blutdruck leidet und mein anderer Sohn mit einem Herzfehler geboren wurde. Mein einziger Gedanke war: "Mein Gott, bloß nicht die beiden!". Aber obwohl in unserer Wohnung eine Trennung kaum möglich war, blieben wir die einzigen zwei Erkrankten.

Wie beeinflusst Long Covid Ihren Alltag?
Yvonne Anreitter: Ich bin krank - von einem normalen Leben kann keine Rede sein. Meine Familie versorgt mich, kocht für mich. Das Höchste der Gefühle ist es, wenn ich ein paar Schritte mit dem Hund hinaus schaffe - mehr, als einmal ums Haus ist allerdings nicht drinnen.

Dennoch versuche ich bei meinen Ausbildungen dranzubleiben. Zum Glück passiert da gerade sehr viel online. Aber auch da ist es mir passiert, dass ich mittendrin auf einmal wegkippe und einschlafe - weil ich einfach so erschöpft bin. Zwar geht es mir im Vergleich zu anderen, die Long Covid haben, noch relativ gut, von einem normalen Alltag bin ich dennoch weit entfernt.

An einem guten Tag habe ich es geschafft, den Geschirrspüler einzuräumen und Wäsche aufzuhängen. Danach konnte ich nichts mehr machen. Daher habe ich vorige Woche angefangen zu überlegen: Wie wird mein Leben, wenn das nicht mehr weggeht? Wenn ich nie fitter werde? Ich war davor sehr aktiv, zwei Mal am Tag am Hometrainer, habe gerne gearbeitet. Ich kann mir ein Leben ohne Vollgas kaum vorstellen! Und weiß ehrlicherweise nicht, wie ich es verkraften kann, nichts zu tun ohne depressiv zu werden.

»Wie wird mein Leben, wenn das nicht mehr weggeht?«

Alle meine Kinder waren Risikoschwangerschaften. Daher kenne ich eigentlich das Gefühl, lange liegen zu müssen. Bei einer Schwangerschaft weiß man jedoch ganz genau, wann diese vorbei ist. Und nun habe ich keine Ahnung, wie oder wie lange das weitergeht: keine Arbeit, keine Hobbys, kein aktiver Teil der Familie zu sein.

Zudem kann ich meinen jüngsten Sohn kaum sehen. Paul ist 13 und wohnt bei seinem Vater. Da ich im Moment mit so wenig Keimen wie möglich in Kontakt kommen darf, kann er uns nur selten besuchen. Mein Körper ist schon so überbeschäftigt, jede kleine Infektion könnte Großes anrichten. Und wenn er da ist, kann ich ja nichts mit ihm unternehmen.

Was ich ganz vergessen hatte zu erwähnen, sind die Wortfindungsstörungen, die ich habe. Weihnachten stand ich mit dem Jüngsten in der Küche - da war er ja gerade da - und musste ihn nach dem Wort für den Schöpflöffel fragen. Fun Fact am Rande: Der Junge sagte "Kelle". Ich war mir sicher, dass es das nicht ist, aber wie es richtig heißt, wollte mir nicht einfallen. Es ist so vieles weg im Kopf - Namen, Worte, ... Dabei bin eigentlich leidenschaftliche Quizzerin.

Wie reagiert Ihr Umfeld auf ihre aktuelle Situation?
Yvonne Anreitter: Meine Drei zuhause sind sehr geduldig, aber auch sehr belastet! Sonst ist es vor allem Verwunderung, die ich ernte. Weil die meisten noch nichts mit Long Covid anfangen können.

In meinem Freundeskreis kann sich das ebenso niemand vorstellen. Neulich fragte mich eine Freundin am Telefon: "Bist du schon wieder krank?" Nein, noch immer! Oder man fragt, wie es in der Arbeit läuft und wenn ich sage, dass ich noch immer im Krankenstand bin, heißt es "Aber du hast doch schon Covid gehabt?". In den Köpfen ist: Maximal dauert so eine Infektion drei Wochen, dann ist es erledigt.

»Bist du schon wieder krank? Nein, noch immer!«

Es ist schwierig in Worte zu fassen, was ich "denn jetzt noch hab". Diese Schwäche, diese hartnäckige Erschöpfung. Man bemüht sich ja, aber man kann nichts tun, um eine Verbesserung zu erreichen. Ganz im Gegenteil: Eine andere Long Covid-Patientin erzählte mir von einem Tipp ihres Kardiologen: "Jeder Schritt, den man nicht macht, ist ein guter Schritt!" Sonst lernen wir genau das Gegenteil: Jeder Schritt mehr ist gesund, macht uns fitter. Nun ist das Immunsystem so beschäftigt, daher hat der Körper keine Kraft für irgendetwas anderes und jeder Schritt könnte das Herz überfordern.

Was wäre Ihr Appell an alle, die denken: „So schlimm kann das ja nicht sein“?
Yvonne Anreitter: Mir ist es wichtig, dass mehr Menschen von Long Covid erfahren. Denn zehn Prozent aller Infizierten leiden an Langzeitfolgen. In Österreich gibt es bereits fast 400.000 bestätigte Covid-Fälle. Das heißt, es müsste 40.000 anderen Personen ähnlich gehen wir mir. Werden wir jemals wieder fähig sein, Vollzeit zu arbeiten? Daher würde ich mir wünschen, dass die Menschen vorsichtiger sind.

Niemand kann voraussagen, wie bei einer Erkrankung der Verlauf sein wird. Egal, wie jung oder fit man ist. Man möchte gerne glauben, man hätte es selbst in der Hand mit guter Ernährung oder einem trainiertem Körper - aber das geht nicht auf. So ist diese Krankheit nicht.

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