Zwanzig Jahre war er verheiratet, dann starb seine Frau an Krebs. Zunächst war da die Trauer. Dazu kam diese schreckliche Einsamkeit. Keiner da, wenn man nach Hause kommt. Niemand, dem man bei Tisch von seinem Tag erzählen kann, keiner, der beim Fernsehen neben einem sitzt. Und vor allem keiner, an den man sich in der Nacht ankuscheln kann.
Freilich: Der Mann, der anonym bleiben möchte und sich deshalb "Deerman" nennt, traf sich nach dem Tod seiner Frau mit vielen Frauen. Aber keine zeigte Interesse an ihm. Die Jahre vergingen, die Verzweiflung wurde größer, die Einsamkeit immer bedrückender. Bis sich "Deerman" im Internet eine Puppe kaufte. Lebensgroß, aus Silikon. Sie sieht seiner verstorbenen Frau ähnlich, er nennt sie "Erica". Jetzt ist da jemand in seinem Leben. Auch wenn der nichts zu sagen hat.

Es ist einfach, Männer wie "Deerman" einfach nur als pervers und sonderbar abzustempeln. Aber das Leben ist differenzierter. Die dänische Fotojournalistin Benita Marcussen hat einige Männer, die mit ihren Sexpuppen zusammenleben, getroffen und porträtiert.
Für 50.000 Euro kann man alles bestimmen. Auch den Nagellack.
Rund 400 Stück verkauft Abyss Creation , einer der führenden Hersteller für "RealDolls", pro Jahr. 80 Stunden dauert die Herstellung einer Silikon-Puppe, die Preise rangieren von 5000 bis zu 40.000 Dollar. Dafür können die Kunden wirklich alles bestimmen: Den Gesichtsausdruck, die Busengröße, die Augenfarbe, die Haarlänge. Für das Geld könnte man sich auch ein Jahr lang ein Escort-Girl mieten. Oder eine Frau aus dem Katalog der Heiratsvermittel kaufen. Aber die haben zwei Fehler: Sie altern. Und sie sprechen.
Auf der Website Dollforum.com tauschen 41.000 User dann die Bilder ihrer Puppen. Hier können sie offen über ihre Sehnsüchte und die absurde Liebe zu den Puppen sprechen, ohne sofort als abartig verurteilt zu werden.
Natürlich geht es vielen vor allem um Sex und erotische Fantasien. Aber, so Benita Marcussen: "Etwa zehn Prozent dieser Männer haben vor allem eine emotionale Beziehung zu ihren Puppen. Sie kleiden sie ein, schminken sie, tragen sie von Zimmer zu Zimmer, erzählen ihnen etwas und behandeln sie mit Respekt. Sie kümmern sich um diese Puppen, als wären sie enge Freundinnen, keine Objekte."
Damit Benita die Männer überhaupt vor die Kamera bekam, war lange Überzeugungsarbeit notwendig. Wie etwa bei "Kharn", den sie mehrere Monate lang interviewte, ehe er sich vor die Kamera stellte.

Vor 20 Jahren wurde Kharn (r.) von seiner Frau verlassen. Seit der Scheidung lebt er in der Villa seiner Eltern (l.) in England. Lange Zeit versuchte er, auf normalem Weg eine neue Partnerin kennenzulernen. In Bars. Im Internet. Sogar im Supermarkt. Vergeblich. 1998 kaufte er seine erste Puppe, es wurden im Laufe der Zeit einige. Seine aktuelle Lebensgefährtin heißt Alektra, benannt nach dem US-Pornostar Alektra Blue, der sie auch ähnlich sieht. Trotzdem hat Kharn keinen Sex mit seiner Plastik-Alektra. "Ich sehe sie nur gerne an, mag es, wenn sie in meiner Nähe ist." Trotzdem hofft er, dass irgendwann eine reale Frau in sein Leben tritt. Zumindest seine Eltern haben sich an die stumme Partnerin mittlerweile gewöhnt.

"Shadowman" hat eine Freundin, zwei erwachsene Töchter – und fünf Puppen. Hier umarmt er in einem Hotelzimmer in Wales seine aktuelle Lieblings-Nebenfrau, "Carly"...

Seine Familie weiß von den Puppen, sie spielen im Alltag von "Shadowman" auch keine Rolle. Nur in einsamen Nächten, da tut es gut, jemanden im Arm zu halten. Denn "Shadowman" leidet unter Angstzuständen. Alleine im Dunkeln, das hält er kaum aus.

Obwohl immens teuer, sind die Puppen sehr empfindlich. Das Silikon trocknet bei Heizungsluft schnell aus, das Material bekommt kleine Löcher. So wie bei "Courtney", deren Lippen rissig wurden. Wenn es besonders schlimm wird, müssen die Puppen zurück in die Fabrik geschickt werden, wo sie geflickt werden.

Fotojournalistin Benita Marcussen: "Die Männer sind sehr stolz auf ihre Puppen. Auch bei unseren Fototerminen war es ihnen wichtig, dass die Puppen hübsch angezogen sind und ihre Frisur ordentlich sitzt. Es ist rührend. Und gleichzeitig auch sehr beklemmend."

Eleganter Hut, Pseudo-Chanel-Blazer, Mini-Rock und Strapse. Zwischen Lady und Luder – so sieht für "Everad" die ideale Frau aus. Vor allem aber sollte sie nicht reden, das findet er verwirrend. "Ich verstehe die Frauen einfach nicht," sagt er. "Sie sagen etwas, meinen es aber ganz anders." Das ist bei seinen zwölf Puppen nicht so. Die geben keine Widerworte, sondern sind schön und vor allem ein Leben lang treu. Ab und an trägt er sie hinaus in seinen Garten. Durchlüften – und um schöne Fotos von ihnen zu machen. Die stellt er dann aufs Kaminsims. Wie Familienbilder.

"Everad" mit einer seiner Favoritinnen. In seiner Kollektion finden sich asiatische, russische und amerikanische Puppenmodelle. Besonders stolz ist er darauf, dass er vier zusätzliche Plastikgesichter besitzt, die er nach Lust und Laune auf die verschiedenen Körper setzen kann. "So wechseln meine Frauen ihre Laune." Ein bisschen fröhlich sollen sie trotzdem immer dreinsehen.

In der Manufaktur von Abyss Creation laufen die Frauen von Fließband. Früher wurden sie aus Hartplastik hergestellt, hatten abstruse Gesichter mit aufgerissenen Mündern und waren mit Stoff überzogen. Heute sind sie lebensecht und aus biegsamen Silikon. Brustgröße, Beinlänge, ja, sogar die Rouge-Farbe wird maßgeschneidert. Auch die Fingernägel sind auf Wunsch unlackiert. "Manche Kunden bemalen ihren Puppen einfach gerne selbst die Nägel in jeweils aktuellen Trendfarben."

Nach der Geburt ihres Kindes verließ Chris Zachos' Frau ihren Mann. Per Gerichtsbeschluss verwehrte sie ihm den Kontakt zu seiner Tochter. Es folgte ein jahrelanger Rosenkrieg, der Zachos zu einem verbitterten Mann machte. Frauen, so ist er mittlerweile überzeugt, sind schlecht. "Lala Salama" (l.) und "Sharon" (r.) sind das nicht. Sie lächeln und lassen sich umarmen. Immer. Selbst wenn Zachos ein paar Bier zu viel hatte.
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