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Martina Gedeck im WOMAN-Interview

Die Schauspielerin Martina Gedeck im WOMAN-Interview. Die viel beschäftigte Schauspielerin über den neuen Film "Die Wand", in dem sie isoliert gegen den Wahnsinn kämpft - und warum Einsamkeit auch Therapie sein kann.


Martina Gedeck im WOMAN-Interview
© Thimfilm

WOMAN: Der Roman „Die Wand“ galt als unverfilmbar, Sie aber haben das Abenteuer gewagt?

Gedeck: Der Regisseur Julian Pölsler empfand das Buch nicht als unverfilmbar und mein Vertrauen in ihn, war die Vorraussetzung. Das Buch hat mich berührt und bewegt. Ob der Film überhaupt funktioniert, ob derselbe Ton entsteht und dieselbe Unbedingtheit, die beim Lesen aufkommt, das wusste man natürlich nicht. Als ich den Film das erste Mal sah, war ich sehr froh, wie sehr er unter die Haut geht. Im Film ist manches klarerweise noch näher, weil man es eben sieht.

WOMAN: Die Geburt eines Kalbes zum Beispiel!

Gedeck: Wir haben so lange auf die Geburt gewartet, es war glaube ich die vierte Kuh, bei der wir drehen konnten! Wenn die Kühe bereit waren zu gebären, haben wir alle gewartet, ich im Hotelzimmer im Kostüm, damit ich schnell zum Stall laufen konnte. Der Tierarzt kam, aber es ist nichts passiert. Die Kühe haben immer gekalbt, wenn das Filmteam nicht da war.

WOMAN: Als das Buch in den 1960 er Jahren erschien, wurde der Stoff als Reaktion auf Atomwaffen interpretiert in den 1980 er Jahren entdeckte die Frauenbewegung das Buch.

Gedeck: Der Stoff trägt für mich eine Zeitlosigkeit in sich, jede Generation sieht in dem Buch, was gesellschaftlich unter den Nägeln brennt. Ob Atomenergie, die Frauenfrage oder heute die existenzielle Bedrohung, die Sinnfrage oder die Krise.

WOMAN: Und für Sie als Schauspielerin?

Gedeck: Es geht um einen Menschen, der sich verwandelt und in sein eigentliches Wesen zurückfindet. Der sich aus der Kategorisierung Mann / Frau heraus bewegt. Als würden sich Schnittstellen auflösen, sie wird Teil der Natur. Manchmal habe ich mich beim Spielen wie eine Pflanze gefühlt, die an einem Ort bleibt und sich ständig verändert. Aufblühen und wieder zusammensinken.

WOMAN: Wie geht sie mit der Einsamkeit um?

Gedeck: Für mich war sie im vorigen Leben einsamer und erstarrter. Natürlich bricht eine existenzielle Katastrophe über sie herein und sie schlägt auf dem Abgrund auf, als sie die Wand entdeckt. Aber dann, wenn alles um sie herum schwarz ist, fängt es an lebendig zu werden. Sie geht in der Natur auf.

WOMAN: Wo sehen Sie die große Stärke dieser Frau?

Gedeck: Ihre Stärke ist der Überlebenswillen und dass sie Verantwortung übernimmt und eine Beziehung zu Lebewesen aufbaut, ihre Empathie für die Tiere. Das ist eine Brücke, die sich selber baut, damit sie nicht verzweifelt.

WOMAN: Sie spielen ganz alleine und haben keine Stichwortgeber, war das nicht unheimlich für Sie?

Gedeck: Doch, besonders die Begegnung mit der Wand. Zu Spielen, dass da etwas ist von dem man nicht weiß, was es ist. Da braucht man viel Vorstellungskraft.

WOMAN: Tiere stehlen den Schauspielern oft die Show.

Gedeck: (lacht) . Ja, Ich dachte, ich spiele alleine, aber alle kümmerten sich nur um die Tiere. Aber der Regisseur hat darauf geachtet hat, dass es nicht nur um den Hund und Katze geht. Das war schwierig: Die Katze sollte auf dem Tisch sitzen, aber sie wollte nicht.

WOMAN: Wie haben Sie da Ruhe bewahrt?

Gedeck: In vielen Jahren harter Arbeit habe ich mir diese Art von Geduld anerzogen. Am Drehort ist immer ein Tohuwabohu, jemand flippt aus, es ist immer Lärm, ich habe mir immer gesagt: Nicht draus bringen lassen, nicht von wütenden Regisseuren, nicht von Geräuschen, ich muss mich so konzentrieren, dass wenn die Klappe fällt, ich zack, da bin. Das ist meine Aufgabe.

WOMAN: Wenn Sie eine Rolle in totaler Isolation spielen, gehen Sie für sich auch in eine innere Immigration?

Gedeck: Ja! Das habe ich schon im Vorfeld gemacht, ich wollte schmecken wie sich das anfühlt. Ich kenne die Isolation aus meinem Leben, kenne zurückgezogene, abgeschottete Zeiten und die positive und auch die nicht so angenehme Einsamkeit. Während der Dreharbeiten brauchte ich Konzentration, war auch abends alleine in meiner Hütte.

WOMAN: Was ist eine positive Einsamkeit?

Gedeck: Die Einsamkeit der Fülle. Das Alleinsein, wo alles in einem anfängt zu sprechen. Es gibt ein Alleinsein, das ich sehr gut kenne, des zu sich selbst kommen. Ich glaube, dass man den Kontakt zu sich selber pflegen sollte und eine Verantwortung gegenüber sich selber hat. Dass der Wesenskern wahr werden kann und sein Potenzial sich zeigen darf.

WOMAN: Wie machen Sie das?

Gedeck: Ich habe mir das Tagebuchschreiben zur Regel gemacht, zu schauen, was ist eigentlich nicht schön in meinem Leben, oder was möchte ich nicht haben und was kann ich ändern. Kann ich andere Wege gehen? Das kann man alleine besser, als andere Leute, die einem ständig sagen, was man tun soll. Man macht es nur viel zu selten. Man sollte behutsam mit sich sein. Die meisten Leute sind zu hart zu sich selbst.

WOMAN: Doch zu wenig hart und selbstkritisch?

Gedeck: Zu hart mit sich selbst heißt, dass sie sich nicht mögen und sich permanent maßregeln und sich sagen: du bist nichts wert, du hast kein Recht dies und das zu tun und dass sie sich nicht mehr mit sich beschäftigen und alles schleifen lassen.

WOMAN: Glauben Sie, dass die Wand am Ende ein Schutz für die Frau ist?

Gedeck: Ja, weil sie nicht mehr fremdbestimmt ist. Ich bin damit groß geworden, dass mir von allen Seiten gesagt wurde, wie es geht. Das kann etwas Schönes sein. Die Lehrer, die Medien, die Gesellschaft, man wird zugeschüttet an Ratschlägen. Machen Sie das, und wenn Sie das machen, dann machen Sie es so. Keiner kann eine Sache für sich selber herausfinden, alles war schon da. Ich hatte eine Zeit der Krise und dachte: Was mache ich? Wie geht es weiter? Dann überlegte ich, ich mache, das, was ich für mich will und ich wusste nicht was ich will. Da habe ich gemerkt: Vorsicht. Man muss seinen eigenen Weg finden. Das kennt man ja von Menschen, die man bewundert.

WOMAN: Sie sind ein freiheitsliebender Mensch, wie gehen Sie damit um, wenn Sie sich beengt fühlen?

Gedeck: Wenn ich mich beengt fühle, versuche ich mir im Inneren eine Welt zu bauen. Ich gehe in meine Phantasiewelten und da bin ich dann doch wieder frei. Wenn ich mich in einer Beziehung beengt fühle, dann muss ich es sagen. Aber ich trenne mich nicht. Ich behalte die Beziehung trotzdem an der Seite. Ich würde nie den Mann für immer verstoßen, ich würde das in eine andere Art Verhältnis umwandeln. Die Menschen, die jetzt in meinem Leben sind, würde ich gerne behalten. Ich habe viele Freunde aus alter Zeit.

WOMAN: Weil Sie einen Kreis um sich brauchen?

Gedeck: Nein, weil ich das Gefühl brauche, dass ich getragen werde, und mit Menschen in Kontakt bin, die ich schon lange kenne und bei denen ich nicht von vorne anfangen muss. Wenn ich in einer Beziehung beengt bin, dann bitte ich um Abstand. Der Abstand kann ja wieder aufgehoben werden. Manchmal braucht man den Abstand und die Zeit für sich. Das ist auch legitim.

Interview: Andrea Braunsteiner