Ressort
Du befindest dich hier:

Mein schwerer Weg von der bösen Stiefmutter zur Gutmama

Das Bild der schaurigen Stiefmutter aus Grimms Märchen ist überholt. Trotzdem haben es Frauen in Patchwork-Familien nicht leicht. Journalistin Barbara Tóth erzählt vom schweren Weg zur Gutmama ihrer Bonuskinder, räumt mit Vorurteilen auf und gesteht Fehler ein, aus denen sie gelernt hat.

von

Barbara Tóth
© Residenz Verlag

Barbara Tóth, 43, hat endlich in ihre Rolle gefunden. Als Gutmutter, wie sie sich selbst gern bezeichnet. "Aber es war ein langer Weg dorthin", sagt die Journalistin, die für ihr Buch "Stiefmütter" intensiv recherchiert hat: "In Österreich gibt es dazu kaum Ratgeberliteratur. Die Rolle von Stiefmüttern in Patchworkfamilien wird wirklich stiefmütterlich behandelt. Dabei ist dieser Lebensabschnitt, statistisch gesehen, für sehr viele Frauen wahrscheinlich. Daher sehe ich meine Arbeit auch als Service und Huldigung an all diese Frauen, die als Gutmütter wirklich Unglaubliches leisten."

Tóth selbst hat zwei Buben im Volksschulalter. Vor vier Jahren bekam sie mit ihrem neuen Freund eine erwachsene Tochter und einen zehnjährigen Sohn dazu. "Am Anfang waren Liebe und Euphorie groß." Rasch zimmerte man sich ein scheinbar perfektes Familienleben. Fehler aus den vergangenen Beziehungen wollte man keinesfalls wiederholen. "Ich dachte, ich könne gleichzeitig Geliebte, Partnerin, Mutter und Stiefmutter sein." Doch nach der anfänglichen Begeisterung musste sie sich der Realität stellen. Und die sah anders aus...

"NACH DER ERSTEN VERLIEBTHEITSPHASE ERKANNTE ICH, DASS DA ETWAS SCHIEFLÄUFT."

Wie schnell sind Sie anfangs in Ihre Rolle als Stiefmutter hineingewachsen?
TÓTH: Heute sage ich: zu schnell. Mit unseren Ex-Partnern hatten wir uns so abgestimmt, dass wir abwechselnd Kinder- und Paarwochenenden hatten. Meine Stieftochter war ja schon erwachsen, um den Sohn meines Freundes habe ich mich an unseren gemeinsamen Wochenenden natürlich besonders bemüht. Und ohne, dass es mir bewusst war, machte ich den Kardinalfehler aller werdenden Stiefmütter.

Da sind wir neugierig: Welcher ist das?
TÓTH: Dass ich glaubte, alles wäre easy, wenn die Liebe zwischen mir und meinem neuen Partner nur groß genug sei. Die Beziehung der Kinder untereinander würde sich schon ergeben, meine zwei würden ihren neuen Bonuspapa sicher ebenso lieben wie ich, und mein Stiefsohn mich als Stiefmama ebenso. Ich dachte, meine neue Familie muss so funktionieren wie meine alte, biologische Familie, oder sogar besser.

Wann ist Ihnen klar geworden, dass da etwas schiefläuft?
TÓTH: Nach den ersten ein-bis eineinhalb Jahren. Das passiert zeitgleich damit, dass die erste Verliebtheitsphase abklingt. Man sieht klarer, und plötzlich gibt es Streitereien mit dem Partner und unter den Kindern.

Was würden Sie rückblickend anders machen?
TÓTH: Mir mehr Zeit lassen und mir Hilfe holen. Das ist ja das Paradoxe. So viele Frauen sind in ähnlichen Situationen, trotzdem gibt es für die Rolle "Stiefmutter" kaum realistische Vorbilder, Skripts, geschweige denn Anerkennung. Jede kämpft erst mal für sich allein und macht die gleichen Fehler. Deswegen plädiere ich in meinem Buch ja auch für eine neue Stiefmütterbewegung. Ich würde jedenfalls auch mit dem Partner vorab reflektieren, welche Vorgeschichten, Verletzungen es gibt und wie die Kleinen die Trennung erlebt haben. So wird man sich bewusster, was auf einen zukommt. Es ist leider einfach zu wenig, zu sagen: Wir lieben uns, und der Rest wird schon funktionieren. Ganz zentral ist auch die oder der Ex.

Wie sehr sollte man sich als Bonusmama in eventuelle Auseinandersetzungen des Partners mit seiner Ex einmischen?
TÓTH: Alle Ratgeber sagen: Gar nicht! Weder anlegen, einmischen, noch in Konkurrenz treten. Wenn es eine Ex gibt, die gut mit der neuen Stieffamilie klarkommt und mit ihrem Leben happy ist, kann man sich sehr, sehr glücklich schätzen. Wenn es nicht so ist, heißt es freundlich bleiben, raushalten und sich immer wieder sagen: Es geht bei diesem Konflikt nicht um mich. Das ist sicher die Hauptbelastung für das Stiefmutterdasein. Konflikte anzusprechen und aufzulösen, bleibt ja meistens bei der Frau hängen. Aber in diesem Fall kann es nur der Partner mit seiner Ex auflösen. Sobald man dieses Thema anspricht, ist man diejenige, die Unruhe reinbringt.

Das Stiefmutterdasein ist also eine enorme Herausforderung...
TÓTH: Ja, das ist es. Deshalb meistern diese Frauen oft mehr als Mütter in klassischen Familien. Sie werden meist ohne Aufwärmphase in ihre neuen Rollen geworfen, sind gleichzeitig in einer frischen Liebesbeziehung und in einer Familienbeziehung. Sie sollen zu den Bonuskindern einen guten Kontakt auf bauen, einen Weg zu deren Mutter finden und ihren Einfluss tolerieren. Sie müssen die Interessen ihrer eigenen Kinder, so vorhanden, wahren. Oft kommen dann die Ansprüche der eigenen Eltern und Ex-Schwiegereltern dazu. Man könnte endlos aufzählen...

Sie sagen, heute würden Sie die Patchwork-Vereinigung langsamer angehen. Aber wie soll das mit diesen Aufgaben gelingen?
TÓTH: Indem man mehr reflektiert, was gerade mit einem passiert. Ich finde die Idee der Familienkonferenz zum Beispiel sehr gut. Dabei setzt sich das neue Paar mit allen Kindern regelmäßig zusammen und diskutiert, was sich jeder für die Zukunft erhofft und welche Wünsche jeder hat.

Kinder geraten zusätzlich zu den Turbulenzen in einen Loyalitätskonflikt zu ihren Eltern.
TÓTH: Ja, das ist unausweichlich und besonders kompliziert, wenn die Stiefkinder nur am Wochenende beim Vater sind. Das ist in Österreich ja leider immer noch das gängigste Modell. So entstehen auf der einen Seite Wochenendpapas und -stiefmamas und auf der anderen Seite Alltagsmamas. Da kommt nur schwer Normalität und Routine rein. Und wenn man als Stiefmutter mitbekommt, dass das Kind am Telefon der Mama erzählt: "Da ist es total fad", sollte man das nie persönlich nehmen. Das Kind will lediglich seiner Mutter gegenüber Loyalität zeigen. Die fordert das mitunter vielleicht auch ein, weil sie selbst mit der Situation nicht klarkommt. Hier heißt es wieder: sich zurücknehmen, auch wenn es einem schwer fällt.

In Ihrem Buch beschreiben Sie, wie sehr eigene Erlebnisse als Tochter das Verhalten als Stiefmutter beeinflussen.
TÓTH: Meine Mutter war zum Beispiel extrem gut organisiert, hatte alles im Griff, alles geplant, mit dem Ergebnis von fast schon komplett durchgetakteten Wochenenden. Diesen Ehrgeiz hatte ich dann auch als Stiefmutter. Ich habe aber erkannt, dass das alle überfordert. Ehrliche Selbstreflexion ist wichtig.

Was wünschen Sie sich hinsichtlich der Gesetzgebung für Patchwork-Familien?
TÓTH: Man muss sich das vorstellen: Die Rechtsprechung basiert immer noch auf dem Familienbild der 70er-Jahre. Als man davon ausging, dass ein Paar nach der Trennung den gleichen Lebensstil weiter lebt wie davor. Mit einer maximal Teilzeit arbeitenden Hausfrau und einem männlichen Hauptverdiener, der nach der Scheidung seine Ex-Familie weiterhin unterhält und seine Kinder nur an jedem zweiten Wochenende sieht. Das ist längst überholt. Ehen sind keine Versorgungsgemeinschaften mehr, sondern ein Lebensabschnitt. Im Idealfall empfehlen Psychologen ein Wechselmodell, in dem Eltern sich die Kinder halbe-halbe "teilen". So werden Väter nicht zu Wochenendpapas, Mütter nicht zu Alltagsmüttern degradiert. Frauen können mehr als nur Teilzeit arbeiten und haben Raum für eine neue Beziehung.

Wie funktioniert Ihr Patchwork-Gefüge nach vier Jahren?
TÓTH: Viel besser. Wir sind viel entspannter geworden und wissen nun, dass Patchworkfamilien nicht die verbesserte Wiederauflage einer gescheiterten alten Familie sind, sondern etwas ganz Eigenes, Neues, Spannendes und Schönes.

Stiefmütter
Themen:
WOMAN Community

Deine Meinung ist wichtig! Registriere dich jetzt und beteilige dich an Diskussionen.

Jetzt registrieren!

Schon dabei? .