An Schlaf war kaum zu denken. Die 51-Jährige war mit ihrem Team erst vor Kurzem rund um die Uhr im Einsatz. Und ermittelte im Mordfall des Mädchens Hadishat, der das ganze Land bewegte. "Die ersten 48 Stunden zählen. Die Tat ist frisch, der Täter muss sich erst orientieren", erklärt uns Claudia Bauer, als wir sie in den Räumen des LKA-Ermittlungsdienstes in der Wiener Berggasse besuchen.
Hier arbeiten drei Mordteams mit je sechs Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. 32 vorsätzliche Tötungsdelikte beschäftigten die Fahndungsteams seit Anfang des Jahres, allein in Wien waren es 15 Fälle. Bauer ist die einzige Frau in ihrer Gruppe. Enge Jeans, weiße Bluse, Stiefeletten - für das Foto steckt sich die sportliche Kriminalistin ihre Waffe in den Gürtel. Akzeptanzprobleme kennt sie nicht: "Bis auf die Kleinigkeit, dass ich auf Tatorten öfter mit der Psychologin vom Kriseninterventionsteam verwechselt werde." Seit 26 Jahren ist Bauer im Polizeidienst, seit 15 Jahren bei der Mordkommission. In dieser Zeit hat sie viele menschliche Abgründe kennengelernt. Aber zartbesaitet, meint die Wienerin, sei sie ohnehin nie gewesen.
FALL HADISHAT. Am 12.5. wurde die Leiche der kleinen Hadishat in einem Mistkübel gefunden, am 15.5. wurde der 16-jährige Robert K. festgenommen. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Wie haben Sie im Fall Hadishat die Suche nach dem Täter erlebt?
BAUER:
Wir wussten, dass wir ihn so schnell wie möglich finden mussten. Aufgrund der Art der Tötung schlossen wir eine Wiederholungsgefahr nicht aus. Die Zeit war unser größter Gegner.
Wie sehr kämpft man mit Wut, wenn man dem Täter gegenübersteht?
BAUER:
Professioneller Umgang ist wichtig, Zorn oder Hass haben da keinen Platz. Nur so ist eine ausgiebige Vernehmung mit einem Beschuldigten möglich. Und auch nur dann werden Fragen beantwortet. Es gibt immer wieder Fälle, wo ein vermeintlicher Täter uns zu provozieren versucht. Im Fall von Robert K. war es nicht so.
Wie hart im Nehmen muss man bei Ihrer Arbeit sein?
BAUER:
Polizisten haben keinen leichten oder sorgenfreien Job. Oft gerät man von einer Sekunde auf die andere in eine grenzwertige Situation, die eine sofortige und vor allem rechtlich korrekte Entscheidung fordert. In keinem anderen Beruf ist diese Spontanität zur Reaktion so gefordert. Angst ist der Feind eines jeden Polizisten. Sie hemmt und macht blind.
Klingt nicht unbedingt nach Traumjob.
BAUER:
Diese Tätigkeit ist spannend, vielseitig und sehr interessant, allerdings übersieht man die Tiefe des Abgrundes, in welchen wir jeden Tag blicken. Die tägliche Konfrontation mit dem Sterben, dem Tod, der Trauer und dem Leid ist für mich kein Traumjob, sondern Berufung.
Wie vereinbar ist das mit Familie?
BAUER:
Ich habe mich bewusst gegen Kinder entschieden, und mein Mann ist selbst Kriminalbeamter.
Müssen Sie sich als Frau mehr durchsetzen als Männer?
BAUER:
Nein, denn männliche Kollegen haben zwar beruflich Vorteile, wo Frauen benachteiligt sind, aber umgekehrt verhält es sich genauso. Ich war Anfang bis Mitte der 1990er-Jahre eine der ersten uniformierten und bewaffneten Frauen auf der Straße. Das war für alle befremdend. Für das Volk, für die Kollegen und auch für mich. Später zählte ich zu den ersten Kriminalbeamtinnen mit gleicher Laufbahn wie männliche Kollegen. Da ich dieselben Tätigkeiten wie sie verrichte, gibt's keine Probleme. Heute gehören die uniformierten Einsatzbeamtinnen zum normalen Erscheinungsbild und sind nicht mehr wegzudenken.
Wie sind Sie überhaupt dazu gekommen?
BAUER: Mein Großvater und mein Urgroßvater waren schon Polizisten. Ich habe noch eine Schwester. Meine Om
a hat sich schon gefreut, dass sie bei zwei Mädchen keine Uniformhemden bügeln muss. Leider zu früh gefreut. (lacht)
Wenn man in dem Bereich arbeitet, verfolgt man Medienberichte sicher ganz anders. Wie ist das bei Ihnen?
BAUER:
Ab und zu ärgere ich mich. Man darf nicht vergessen, dass die Polizei bei laufenden Gerichtsverfahren aus kriminaltaktischen Gründen keine Detailfragen beantworten kann und darf. Manche Reporter werden aber sehr ungeduldig, wenn sie über einen längeren Zeitraum keine neuen Informationen von unserer Pressestelle bekommen. Somit wird manchmal wild spekuliert. Aber es gibt auch Berichte mit sachlichem, gutem Journalismus.
Wie groß ist die Freude, wenn wieder einmal ein Täter gefasst ist? Und wie sehr nimmt es Sie mit, wenn es nicht gelingt?
BAUER:
Ich empfinde große Genugtuung und Erleichterung, wenn ein Fall geklärt ist und der Schuldige angemessen verurteilt wurde. Ich "freue" mich, der Opferfamilie sagen zu können, dass die Kripo alles Menschenmögliche versucht hat, den Täter auszuforschen, und die Gerechtigkeit gesiegt hat. Seit ich in dieser Gruppe arbeite, habe ich erst ein Mal einen Freispruch eines Beschuldigten im Zuge einer Gerichtsverhandlung erlebt. Zugegeben, das war sehr frustrierend.
Sind die Verbrechen in den letzten Jahren tatsächlich brutaler geworden?
BAUER:
Sagen wir so: Jedes Zeitalter hat seine Verbrecher.
Hat sich Ihre Persönlichkeit im Lauf der Karriere verändert?
BAUER:
Vermutlich. Die Leichtigkeit des Seins dürfte ich verloren haben.
Abschalten gelingt Ihnen wohl selten?
BAUER:
Manchmal. In der Pension werde ich dafür hoffentlich genug Zeit haben. Aber ich habe auch jetzt schon genügend Ausgleich. Ich studiere nebenbei an der Donau-Uni Krems Strafrecht, Wirtschaftsstrafrecht und Kriminologie. Da schreibe ich gerade an meiner Masterarbeit. Und ich verbringe viel Zeit mit meinem Hund und meiner Gartenarbeit.
Glaubt man noch an das Gute im Menschen, wenn man so viel Böses gesehen hat?
BAUER:
Ich habe oft in den Abgrund geschaut, aber wo es Schatten gibt, ist auch Licht. Ich bin grundsätzlich davon überzeugt, dass es viele helle, aber leider auch grottenschlechte Seelen gibt.
Kommentare
Ich war die erste weibliche Exekutorin in Wien und gebe der Dame in vielen Aussagen recht! Nur, dass ausschließlich als Polizistin schnelle Reaktion gefordert ist, kann ich nicht bestätigen. Als Vollstrecker geht es einem genauso! Man muss auf absolut jede Situation vorbereitet sein. Und auch auf jede Art von Persönlichkeit! Es gibt wirklich nichts, was es nicht gibt!