Eine Plattform für Künstler, Medienschaffende und InfluencerInnen, um mit Abos anstatt von Werbung Geld zu verdienen – dieses Konzept hat sich im Netz längst durchgesetzt. "Steady"' ein Berliner Start-up aus Berlin, das 2016 gegründet wurde, ist ein Beispiel dafür. Hier laden JournalistInnen und BloggerInnen exklusive Inhalte hoch. Ein anderes: "OnlyFans", das ebenfalls vor fünf Jahren gelauncht wurde, auf dem wiederum vor allem Z-Promis wie It-Girl Georgina Fleur oder Reality-Show-Star Bastia Yotta aktiv sind. Auch immer mehr InfluencerInnen kassieren dort ab. Teils mit sehr einschlägigen Inhalten, weshalb "OnlyFans" mittlerweile auch als "Porno-Instagram" gehandelt wird.
Social Media Experte Matthias Jax vom Österreichischen Institut für angewandte Telekommunikation erklärt: "Die inhaltliche Entwicklung des Dienstes ist wenig überraschend. Sex sells, das ist eine alte Marketing-Strategie, die noch immer funktioniert." Eh. Dafür braucht man sich nicht mal auf einschlägigen Seiten herumtreiben. Allein zig Musikvideos beweisen, dass Erotik zieht. Nach wie vor. Mehr denn je. Wie auch immer. Und zum Teil sogar zu Fitnesstrends mutiert, wie Twerking etwa. Schnelles Hinternwackeln, etwas holprig auf Deutsch übersetzt.
Was passiert, wenn wir "Sex" auf Google eingeben …
"Das muss man auch gar nicht verteufeln"' erklärt Jax: "Sex ist ein Teil unserer Gesellschaft und etwas Natürliches." Allerdings, so der Experte, sei der kritische Umgang damit essentiell. "Man muss Inhalte hinterfragen, vor allem auf Hinblick auf Kinder und Jugendliche. Wir arbeiten intensiv mit SexualpädagogInnen zusammen, die immer wieder darauf hinweisen, wie wichtig Aufklärungsarbeit ist." Das Interesse für Sex beginnt meist im Volksschulalter. Jax: "Da wollten Kinder wissen, wie Erwachsene Geschlechtsverkehr haben." Und dann geht es recht schnell. Spätestens mit dem ersten Smartphone findet auch der erste Kontakt zu Pornographie statt: "Bald kommen sie drauf, was passiert, wenn sie 'Sex' oder 'Pornos’ auf Google eingeben. Umso wichtiger ist es dann, dass sie wissen, dass das keine echte, gelebte Liebe ist, sondern Fantasy, eine Art Spielfilm."
Es ist der Reiz, nicht zu wissen, was einen erwartet.
Aber warum boomt eine Plattform wie "OnlyFans"' wenn es eben auch so viel Erotik-Content im Netz gibt' der nichts kostet!? Innerhalb eines Jahres ist die Mitgliederzahl von sieben Millionen auf 90 explodiert. "Es ist der Reiz, nicht zu wissen, was einen erwartet", analysiert Jax. Und: "Was auch zieht, ist der Gedanke, dass man das Mädchen oder den Typ 'von nebenan' sieht." Außerdem, so Barbara Buchegger von saferinternet.at: "Die UserInnen haben nicht das Gefühl, anonym zu konsumieren, sondern auf ihr Gegenüber Einfluss nehmen zu können, weil die Content-Creator auf ihre AbonnentInnen auch tatsächlich reagieren."
Ein Vermögen mit Nacktbildern verdienen
Das Image von "OnlyFans" ist jedenfalls fragwürdig. Internationale Fitnessmodels, die auf Instagram und YouTube mit Sportübungen bekannt wurden, masturbieren hier vor laufender Kamera und posten Nacktbilder. Für fünf bis elf Dollar pro UserIn. Je nach Reichweite kann dabei einiges zusammenkommen. Der australische Social-Media-Star Jem Wolfie etwa hat in nur knapp acht Monaten dort mit Nudes über zwei Millionen Dollar verdient. "Geld für sexuelle Dienstleistungen zu verlangen, ist per se nichts Neues"' entschärft Buchegger. So lange es nicht Jugendliche sind, die explizite Inhalte auf der Plattform anbieten, sehen Buchegger als auch Jax kein wirkliches Problem.
Und trotzdem verändert "OnlyFans" unseren Zugang zu Sex. Psychiater und Neurowissenschaftler Raphael Bonelli erklärt: "Wir bewegen uns damit wieder ein Stück weiter weg von der Dimension, Sexualität als Sprache der Liebe zu verstehen. Das muss man kritisch sehen. Es ist erwiesen, dass Menschen, die regelmäßig Pornos konsumieren weniger Sex haben als jene, die es nicht tun. Somit trägt die Plattform dazu bei, dass wir weniger Sexualität erleben als früher. Wir verlieren außerdem das Gefühl von Intimität, echter Nähe und den respektvollen Umgang miteinander."
Sexuelle Revolution?
Intimfluencerin Suzie Grime sieht das anders. Sie empfindet "OnlyFans" als eine Plattform für modernen Feminismus. In einem Interview mit dem Bayrischen Rundfunk sagt sie: "Es ist die Demokratisierung der Erotikbranche. Man kann den Content produzieren, den man will. Alles ist sehr selbstbestimmt. Es gibt Frauen die Macht zurück, Erzählerin und Darstellerin ihres eigenen Narrativs zu sein. Die einzigen, die mitkassieren, ist die Plattform selbst." Bonelli dazu: "Es gibt keinen Zwischenhändler mehr, der Frauen vermarktet und mit ihnen das große Geld macht. So bleibt mehr für die Darstellerinnen selbst, das stimmt. Das ist für mich aber noch lange nicht feministisch. Und so frei, wie die meisten glauben, sind sie nicht. Das ist ein Trugschluss. Man kann sich selbst sehr schnell verlieren, wenn man sein Innerstes unreflektiert nach außen trägt ohne etwas für sich selbst zu bewahren. Es hat Folgen, wenn man seine Intimität veräußert. Aber es tut einem nicht gut. Viel schöner finde ich Sexualität, die auf Augenhöhe passiert."