Dass jener Evaluationsbericht der Polizei Wien, auf dessen Basis kürzlich entschieden wurde, nicht mehr an den sogenannten „Fallkonferenzen“ - eine Maßnahme zum Schutz von Frauen, die von ihren Ex-Partnern bedroht werden - teilzunehmen, schlussendlich veröffentlicht wurde, hat dann doch einige überrascht. Nicht zuletzt Rosa Logar, die Geschäftsführerin der Interventionsstelle gegen Gewalt an Frauen, die maßgeblich an dem Projekt beteiligt war: „Wir haben bereits Ende April erfahren, dass die Polizei nicht mehr teilnehmen wird - von einem Evaluationsbericht war damals aber keine Rede.“
Und dennoch: Als Medien anfingen über das Ende der gemeinsamen Konferenzen zu berichten, wurde das von Seiten des Innenministeriums und der Wiener Polizei damit begründet, dass ein Evaluationsbericht ergeben hätte, dass „diese Konferenzen keinen Mehrwert gegenüber anderen Projekten" hätten. Eine Einsicht in den Bericht war zu dem Zeitpunkt allerdings nicht möglich. Aufgrund des großen, medialen Interesses wurde dann aber doch angekündigt, ein Schriftstück vorzulegen. Das geschah vergangenen Montag. Auf der Website der Landespolizeidirektion (LPD) Wien wurde der 10-seitige Bericht allen zugänglich gemacht.
"Dokumentation schwierig und mühsam"
Die Basis der Evaluation bilden 14 Interviews mit involvierten PolizeibeamtInnen, drei Präsentationen, 45 Dokumente und 24 E-Mailnachrichten. Das erscheint für ein Projekt, das bereits im Jahr 2011 angelaufen ist, doch recht dürftig. Das sieht man auch bei der Polizei so, so steht gleich eingangs zum Evaluationsablauf geschrieben: „Die Entwicklung eines Projekthandbuches, wie es bei Pilotprojekten üblich ist, wurde seitens der LPD Wien als nicht federführende Organisation unterlassen, daher war die Zusammenführung der schriftlichen Aufzeichnungen, die von den einzelnen MitarbeiterInnen der involvierten Dienststellen der LPD Wien zur Dokumentation geführt wurden, auch wegen des langen Zeitraums schwierig und mühsam. Eine durchgängige und vollständige Schriftlichkeit ist nicht gewährleistet.“ Kurz zusammengefasst heißt das: Es gab von Seiten der LPD Wien keine umfassende Dokumentation, deshalb könne man nur auf diese wenigen, oben genannten Quellen für die Evaluation zurückgreifen.
Die anderen Beteiligten, wie etwa die Interventionsstelle oder die betroffenen Frauen in die Evaluation einzubinden, war aber offenbar nicht von Interesse. „Wir haben der Polizei immer eine gemeinsame Evaluation vorgeschlagen, für diesen Bericht wurden aber weder wir noch die anderen BündnispartnerInnen befragt“, so Rosa Logar. Gerade bei einem Projekt, dessen Kern die Vernetzung vieler verschiedener ExpertInnen ist, sei das nicht nachvollziehbar. Man hätte vor allem die Opfer, also die betroffenen Frauen befragen müssen - denn sie würden ihre Situation am besten kennen und wären die eigentlichen Expertinnen. Aber: Nach Interviews mit den Frauen oder ihren Eindrücken sucht man in dem Bericht vergeblich.
"Darstellung der Opfer zwangsläufig einseitig"
Im Gegenteil: In der Zusammenfassung steht sogar geschrieben, dass - obwohl der grundsätzliche Gedanke des Projekts, der Informationsaustausch, durchaus positiv zu sehen sei - eine Einschätzung der Gefährdungslage durch die Polizei zielführender sei, habe sie doch Kontakt mit Täter, Opfer und allfälligen Zeugen. Damit könne sie die Einschätzung, ob ein sogenannter Hochrisikofall vorliege, nach Prüfung einer Vielzahl von Informationen treffen „und stützt sich nicht nur auf die - zwangsläufig einseitigen - Angaben des Opfers“, so der Bericht im Wortlaut. Weiters wird im Bericht kritisiert, dass die Polizei beim Projekt „nicht federführend“ war, sondern Einladung, Moderation und Protokollführung durch die Interventionsstelle passiert sei. Das sei zwar nie so beschlossen worden, habe sich aber durch die „operativen Abläufe ergeben“.
Dem Umstand, dass die Polizei nicht „federführend involviert“ war, widerspricht Logar. „Die Interventionsstelle hat dankenswerter Weise die Koordination übernommen - das ist viel Arbeit. Aber: Die Polizei war durchaus federführend tätig, weil der damalige Vize-Präsident der Polizei Wien, Karl Mahrer, das Projekt vonseiten der Polizei federführend mitinitiiert hat. Damit war das Projekt bei der Polizei auf höchster Ebene angesiedelt. Alle Auftakt-Veranstaltungen haben in den Räumlichkeiten der Polizei stattgefunden. Es ist alles mit den Führungskräften abgestimmt gewesen, wir hatten im Abstand von drei Monaten regelmäßige Jours fixes mit der Polizei - die gibt es heute leider nicht mehr – und haben dort über die Entwicklung der MARAC (Multi-Agency Risk Assessment Conference, Anm.) gesprochen.“ Auch die Sitzungsprotokolle seien stets in der Steuerungsgruppe abgestimmt worden. „Es entzieht sich meiner Kenntnis, wie man zu der Beurteilung kommt, die Polizei sei hier nicht federführend gewesen.“
Mahrer: "Hoffnung auf Task-Force"
Den Evaluierungsbericht hat der derzeit in Urlaub befindliche Karl Mahrer, der inzwischen nicht mehr bei der Polizei tätig, sondern ÖVP-Nationalratsabgeordneter und Sicherheitssprecher der ÖVP Wien ist, noch nicht gelesen. Zu seiner Zeit bei der Polizei habe er darin durchaus ein verfolgenswertes Projekt gesehen: „Das war ein Rahmen, wo erstmals alle Institutionen an einem Tisch zusammengekommen sind und strukturierte Gespräche geführt werden konnten.“ Aber ihm sei durchaus bewusst, dass es immer wieder Kritik aus den Reihen der Polizei daran gegeben hätte, insbesondere in Sachen Datenschutz bzw. Datentransfer: „Hier werden personenbezogene Daten weitergegeben und das kann nur auf einer gesetzlich geregelten Basis passieren“, sagt Mahrer.
Deshalb lege er seine Hoffnungen in die von Staatssekretärin Karoline Edtstadler (ÖVP) eingesetzte „Task-Force Strafrecht“. Diese werden allerdings frühestens im zweiten Quartal 2019 vorliegen. Im Idealfall sollten die betreffenden Ergebnisse der Task-Force mit einer Evaluierung des Projekts MARAC zusammengeführt werden und dann „kann man weiter schauen“. Wie er sich eine derartige Evaluation vorstellt? „Ich stelle mir eine Evaluierung so vor, dass unter Einbeziehung aller Beteiligten das Projekt umfassend bewertet wird. Wenn hier nur ein Teil der Teilnehmenden herangezogen wurde, dann würde ich sagen, diese Evaluation ist noch optimierungsfähig.“
"Ohne Vernetzung kein Opferschutz"
Was laut Mahrer klar sein müsse: „Wenn wir Opferschutz ordentlich machen wollen, dann ist Vernetzung die Voraussetzung für Gefahrenvermeidung. Da brauchen wir uns nichts vormachen: Das kann keine Organisation alleine. Da müssen alle zusammenkommen.“ Aber dafür bräuchte es gesetzliche Rahmenbedingungen. Sollte die Task-Force diese schaffen, kann er sich durchaus eine Rückkehr der MARAC-Konferenzen vorstellen - „wie auch immer das dann konkret heißt oder ausgestaltet wird. Klar ist: Ohne Vernetzung funktioniert Opferschutz nicht." Das hätten 30 Jahre Gewaltschutz in Österreich gezeigt - und Österreich sogar zu einem Vorbild gemacht.
Und auch wenn Mahrer hinter dem Projekt-Ausstieg der Polizei keine Trendwende in der 30-jährigen Geschichte des Gewaltschutzes oder die Handschrift der türkis-blauen Regierung bzw. des FPÖ-geführten Innenministeriums erkennen will - es bleibt abzuwarten, ob diese Erkenntnis von den aktuellen Entscheidungsträgern geteilt wird und Österreich seiner Rolle als Vorbild in Sachen Gewaltschutz in Europa weiterhin gerecht werden kann. Unter Berücksichtigung der aktuellen Beschlüsse dieser Regierung befürchten viele Frauenorganisationen das Gegenteil.
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