Logo

Die Profi-Aufreißer: Verführung durch Beleidigen?

Subressort
Aktualisiert
Lesezeit
12 min
Die Profi-Aufreißer: Verführung durch Beleidigen?
Flirtbuddies: Dejyo, 24, und Mario, 20, haben sich online kennengelernt und treffen sich ein paar Mal in der Woche, um gemeinsam Frauen zu erobern. "Es ist unser Hobby!"©WOMAN/ Roland Ferrigato
  1. home
  2. Pleasure
  3. Dating
Anbaggern als Challenge? Das ist genau ihr Ding! Sie nennen sich Pick-up-Artists und ziehen meist im Rudel los, um ihre "Verführungskünste" zu trainieren. Frauen sehen sie als Mittel zum Zweck, um ihr Ego zu boosten. Hilfe, was ist das für ein verrücktes Flirt-Game?

Hey Angelika, darf ich Angie zu dir sagen?" - "Ähm, NEIN, darfst du nicht!", finde ich und rutsche auf meinem Sessel auf Sicherheitsabstand. Mir gegenüber sitzt Dejyo, 24. Lederjacke, Bart, vielleicht eine Spur zu viel Gel in der Frisur, aber okay. Der Grund unseres Kaffeehaus-Dates? Dejyos Hobby. Er ist nämlich selbst ernannter Pick-up-Artist (PUA). Soll heißen: Er ist Profi-Aufreißer. Drei bis vier Mal die Woche zieht Dejyo mit seinen Kumpels um die Häuser, um so viele "Hot Babes" wie möglich anzuquatschen. "Sex ist nicht mein Ziel. Sex ist ein Bonus! Mir geht's eher darum, mich meinen Ängsten zu stellen, die Komfortzone zu verlassen.

Meinen Mann stehen, das gibt mir den ultimativen Kick!", erzählt er, während er mit dem kleinen (beringten!) Finger seinen Ziegenbart streichelt. Ich vergrößere unseren Abstand um ein paar weitere Zentimeter. "Und bitte sag nicht aufreißen, liebe Angelika. Pick-up ist für mich die hohe Kunst der Verführung." Aha. Wo liegt der Unterschied?

Blurred image background
WOMAN-Redakteurin Angelika Strobl im Gespräch mit Dejyo © © WOMAN/ Roland Ferrigato

Was sind das wirklich für Männer, die sich zum Aufreißen am Fließband zusammentrollen, um ihr Ego zu boosten? Vor unserem Treffen mit Dejyo haben wir mit einem Insider gesprochen, der mehrere Monate in der Wiener Pick-up-Artist-Szene unterwegs war. "Dort sind ein paar Hundert Männer aktiv, besonders reflektiert waren die wenigsten. Bei der Mehrheit war eine gewisse emotionale Naivität und Unsicherheit in Bezug auf das Leben und im Besondern auf Frauen festzustellen", beschreibt er das Phänomen.

Bevor Dejyo sein Glück im Pick-up fand, hatte auch er seine Probleme mit dem anderen Geschlecht, gibt er offen zu: "Früher war ich total unterwürfig, was Frauen anbelangt. Dann entdeckte ich Pick-up für mich, studierte Flirt-Strategien in diversen Online-Foren, setzte sozusagen eine Maske auf und begann, zu manipulieren. Ich bin aber kein böser Pick-up-Artist, mir geht's mehr ums Socializen!"

Typen wie Dejyo tauschen sich in zahlreichen Foren darüber aus, mit welchen Tricks man Frauen am schnellsten flachlegen kann, das sind die Lay Reports. Ausführliche Berichte über den Verlauf der Pick-ups heißen Field Reports. Frauen unterteilen sie in Hot oder Ugly Babes, und die "Flirt-Schwerarbeiter" sind davon überzeugt, dass sie mit ihren "One size fits all Tricks" überall gut landen. Was auffällt, ist, dass die PUA-Erfolgsquote eher mit dem Aussehen der Männer zu tun hat als mit einstudierten Sprüchen.

"Necke sie, mach dich über sie lustig, nimm sie nicht ernst."

Hier ein paar Leckerbissen aus der PUA-Wunderkiste: Targets (also die Hot Babes) müssen innerhalb von drei Sekunden angequatscht werden, um so zielstrebig wie möglich rüberzukommen -die eigene Performance ist das Wichtigste! Im Nahkampf ist das "Negging" (Kompliment mit einer Beleidigung gekoppelt) eine beliebte Strategie, um Frauen zu irritieren. Beispiel gefällig? "Ich mag deine blonden Haare. Nur schade, dass sie gefärbt sind", schlägt User "Asperus" in einem Pick-up-Forum vor. Dazu gehört auch, so "cocky und funny" wie möglich zu sein. Im Klartext heißt das: "Necke sie, mach dich über sie lustig, nimm sie nicht ernst."

"Hallo Kleines, ich bin hier der Alpha, und du gehörst mir."

Man gibt zu verstehen: "Hallo Kleines, ich bin hier der Alpha, und du gehörst mir", wie der Wiener Autor Lodovico Satana in seiner Pick-up-Bibel "Lob des Sexismus", die er 2006 veröffentlichte, schreibt. Ja, so was gibt es nämlich auch. Allein schon der Titel ist eine echte Zumutung, und was der damals 25-jährige Student auf 212 Seiten vom Stapel lässt, schwankt zwischen frauenverachtenden Pauschalisierungen und pseudowissenschaftlichen Erklärungen. Die Basis seiner Ergüsse? Zitate diverser Pickup-Foren, die es schon damals in den USA gab, sowie eigene Weisheiten, mit denen er sich die Frauenwelt zu erklären versucht.

So empfiehlt er Männern, sich beim Sex auf das eigene Vergnügen zu konzentrieren und stets auf der Hut zu sein, von den Frauen nicht "betaisiert, also zum Waschlappen gemacht zu werden. Fun Fact am Rande: Ein persönliches Treffen verweigerte der Autor, der mittlerweile 35 ist und hinter dem meisten, was er als gescheiterter Publizistikstudent damals veröffentlichte, schon lange nicht mehr steht. "Ich war ein großer Fan psychedelischer Drogen. Mein Buch habe ich seit dem Schreiben nicht mehr gelesen, aber ich erinnere mich an genug, um sagen zu können, dass es zumindest lückenhaft ist", gibt er im Mail-Interview zu.

Trotzdem ist sein Longseller einer der erfolgreichsten Aufreiß-Ratgeber im deutschsprachigen Raum. Wie erklärt er sich das? "Es scheint Männern nach wie vor Mut zu machen, rauszugehen und etwas zu versuchen. Der Tonfall spielt eine Rolle. Ich habe es so geschrieben, wie ich mit einem Freund reden würde. Ich glaube, das spricht Männer an und ist der wichtigste Grund, warum das Buch noch immer gelesen wird", so Satana. So viel zur Theorie, die auch Dejyo fleißig inhaliert hat. Nur: Wie schlagen sich Pick-up-Artisten tatsächlich im Real Life?

Blurred image background
© © WOMAN/ Roland Ferrigato

Bevor wir Dejyos Kumpel Mario auf der Mariahilfer Straße treffen, demonstriert uns der selbst ernannte Flirtmeister seine Skills für die Kamera. Unser Fotomodel Beatrice ist nach zehn Minuten sichtlich genervt und erleichtert, als Dejyos Handy läutet:

"Hallo Kumpel. Treffpunkt Maci. In zehn Minuten. Ciao!" Los geht's! Wir sind dabei! Mario, 20, wartet schon, mit einem Einkaufssackerl getarnt, am Treffpunkt. "Ach, ich weiß, das ganze PUA-Vokabular hört sich bescheuert an. Und es gibt viele Vorurteile dem gegenüber, was wir so machen. Bei mir war's so: Ich war 19, hatte noch nie eine Freundin, null Socials Skills. Also dachte ich mir: Hey, das muss ich ändern. So kam ich zu Pick-up und überwand meine Ängste", sagt der Wiener, während wir durch die Begegnungszone flanieren. Sein Buddy Dejyo ist schon im Flirtmodus und zwangsbeglückt im Minutentakt neue "Opfer" mit Sprüchen wie "Hey, weißt du, wo Starbucks ist" bis hin zu "Krasses Outfit".

Nach 20 Minuten: Noch immer keine Nummer. Weiter geht's mit Mario, der sich nach zehn Minuten Smalltalk von einer Blondine die Nummer im Handy speichert. Endlich! "Ich spreche pro Tag zehn Mädchen an. Von den zehn Versuchen bekomme ich drei bis vier Nummern. Davon treffe ich dann in ein paar Tagen vielleicht zwei Mädels", schmunzelt er.

"Nein heißt nicht Nein."

Das, was Mario und Dejyo praktizieren, ist im Vergleich zu dem, was man sonst so zu PUA im Netz findet, allerdings relativ harmlos. Da gibt's zum Beispiel den Schweizer Julien Blanc, einen der umstrittensten Pick-up-Gurus der internationalen Szene. Von ihm kursieren im Netz Videos, in denen er Frauen am Hals packt, ihr Gesicht zu seinem Schritt drückt. Seine krude These: Frauen brauchen das. Plus: "Nein heißt nicht Nein." Man fragt sich: Wieso hat den noch keiner eingesperrt? Jedenfalls hat er in einigen Ländern bereits Einreiseverbot, in anderen läuft er aber, trotz massiven Widerstands von Frauen, noch immer frei und live in Action auf der Straße rum.

"Das ist natürlich ein massiver Übergriff", analysiert Guido Meyn, der sich als Kommunikationstrainer auch mit den Strategien der selbst ernannten Flirtgurus beschäftigt, schwächt dann aber wieder ab: "Ich glaube, dass das Phänomen eher als eine Form der Ritualisierung zu betrachten ist. Diese jungen Männer sind auf der Suche nach Sinn und Anerkennung in einer Gesellschaft, die sonst wenig für sie über hat. Also schaffen sie sich ihre eigenen Regeln und batteln sich im Wettbewerb, um ihren sozialen Status zu heben." Eine Erklärung versucht auch unser Szene-Insider zu geben: "Männer reden wenig über ihre Alltagsprobleme mit dem anderen Geschlecht. Insofern kann man Pick-up als eine Art radikale Selbsthilfe am Flirtmarkt sehen."

Zurück zur Begegnungszone Mariahü: Auch unsere Charmebolzen Dejyo und Mario helfen sich gerade selbst weiter. Im Doppelpack bequatschen sie zwei schüchterne Mädels. Ob da noch was geht heute? "Der Weg ist unser Ziel, Angelika!", verabschiedet sich Dejyo. Und wir haben noch eine Message von unserer Testerin Beatrice, 24: "Diese Psycho-Anmachsprüche ziehen bei mir gar nicht. Nie im Leben würde ich so einem meine Nummer geben."

Blurred image background
© © WOMAN/ Roland Ferrigato
Logo
Jahresabo ab 7,90€ pro Monat