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Rücktritt Anschober: Was macht Politik mit Menschen?

Unter Dauerstress und ständiger Kritik ausgesetzt. Politiker sein hat seinen Preis. „Ich lasse mich nicht kaputt machen“, so Anschober. Wir sprachen mit (Ex)-PolitikerInnen & Experten.

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© 2020 Getty Images

Den letzten Platz auf dem Vertrauens-Ranking aller Jobs hat er fix: der Beruf des Politikers. Nur Versicherungsvertreter reichen an sein übles Image heran. Wer in die Politik geht, ist jedenfalls mit großer Skepsis in der Bevölkerung konfrontiert. Was aber bewegt jemanden, diesen Beruf zu wählen - und was macht er mit den Menschen, die diesen Job ausüben? Wer sich dafür entscheidet, lebt – für eine Zeit – im Spannungsfeld zwischen Macht und Überbelastung, zwischen Erfolg und untergriffigster Kritik. Aber: Muss man das alles in Kauf nehmen, um sich politisch zu engagieren? Eine, die das Geschäft schon lange kennt, deutlich ihre Meinung sagt, ist Beate Meinl-Reisinger, die Parteivorsitzende der NEOS. "Ich bin mit dem Wunsch in die Politik gegangen, aktiv die Zukunft zum Besseren mitzugestalten, und diese Hoffnungen hab ich auch heute. Ich bin hier meinen eigenen Kindern verpflichtet: In welcher Welt sollen sie später leben? Die Kinder sind auch mein Antrieb in der Politik." Während sie noch voll Überzeugung dabei ist, reichte für ihren ehemaligen Parteikollegen Matthias Strolz die politische Motivation nicht mehr. Er stieg vor drei Jahren aus, weil ihn die Familie mehr brauchte als die Partei: "Man muss lernen, mit Kränkungen klarzukommen. Wem das nicht gelingt, der wird zynisch, ignorant, arrogant oder krank."

„Habe gelernt, mich von einem Teil der Macht zu verabschieden.“

Einer, der die Belastung nicht rechtzeitig in den Griff bekam, war Rudi Anschober, 60. Schon 2012 schlitterte der damalige oberösterreichische Landesrat für Integration und Umwelt in ein Burnout. "Begonnen hat es mit Schlaflosigkeit, ich konnte nicht mehr als zweieinhalb Stunden schlafen und erholte mich auch im Sommerurlaub nicht mehr. Es war die schwerste Zeit meines Lebens, geprägt von Ängsten, Zweifeln und Schmerzen." Nach dreimonatiger Auszeit mit intensiver Therapie kehrte er zurück in die Spitzenpolitik. Mit neuen Regeln. Freier Sonntag, zwei fixe Abende nur fürs Privatleben. "Ich delegiere viel mehr und habe gelernt, mich von einem Teil der Macht zu verabschieden. Das ist mir alles nicht leicht gefallen."

Jetzt der erneute Rückzug aus der Politik

Corona, die größte Gesundheits- und Gesellschaftskrise seit Jahrzehnten, hat unser Leben verändert – und auch die Arbeit unserer Politiker. Das von Anschober angestrebte Work-Life-Balance-Modell war da nicht mehr drin. Stattdessen sah sich der Politiker die vergangenen 14 Monate täglich im Einsatz – ohne Zeit zum Durchschnaufen und Kraft tanken. „Analyse, Beratung, Entwerfen von Maßnahmen, Umsetzen unter anderem durch Verordnungen und Erlässe, die Kontrolle, die Steuerung, ... All das ist für Außenstehende schwer, schwer nachvollziehbar und unvorstellbar, was das an Herausforderung bedeutet (...), was es an Verantwortung mit sich bringt, an Belastung, ja, Überlastung“, erklärt sich Anschober in der Pressekonferenz zu seinem Rücktritt. Er verweist in seiner Rede unter anderem auf Tschechien. Dort ist seit Beginn der Pandemie der mittlerweile vierte Gesundheitsminister im Einsatz.

Wenn der Druck überhandnimmt

Wer für die Öffentlichkeit arbeitet, steht im Rampenlicht. Meinungsforscher Peter Filzmaier: "Permanente öffentliche Beobachtung. kann eine psychisch nicht gefestigte Person korrumpieren." Ex-Grünenchefin Eva Glawischnig wurde beispielsweise bis zum Inhalt des Einkaufswagerls kontrolliert – halten ihre Politik-Prinzipien auch dem persönlichen Verhalten stand? Wer hier bis in den kleinsten Winkel seines Lebens Rechenschaft abliefern muss, kann auch daran verzweifeln. "Politik ist eines der familienfeindlichsten Berufsfelder überhaupt", sagt Politanalytiker Filzmaier. "In vielen Jobs wird viel gearbeitet, aber selten sind Arbeitszeiten so schlecht planbar und reichen fast täglich in den Abend hinein." Ex-Familienministerin Sophie Karmasin erinnerte sich in WOMAN: "Geärgert hat mich, dass die Plenartage am Geburtstag meines Jüngeren regelmäßig bis Mitternacht gedauert haben. Andere Termine kann man steuern, Parlamentstermine nicht." Da hat es sie, sagt sie heute, "emotional zerrissen".

Morddrohungen & Polizeischutz

Bei Anschober war es neben dem pausenlosen Einsatz vor allem die zunehmende Aggressivität in der Bevölkerung, die ihm besonders zugesetzt hat. Er erhielt Morddrohungen, stand seit November unter Polizeischutz. Die nach wie vor angespannte Situation in den Krankenhäusern tut ihr Übriges. „Ich habe in den letzten 14 Monaten versucht, wirklich alles zu geben. Ich habe mit aller Kraft Verantwortung übernommen, an der Begrenzung der Pandemie mitgearbeitet. Ich habe seit 14 Monaten praktisch durchgearbeitet. Es hat keinen wirklich freien, völlig entspannten Tag gegeben und ich habe mich dabei ganz offensichtlich überarbeitet. Seit einigen wenigen Wochen fühle ich mich nicht mehr voll fit. Mir ist teilweise die Kraft ausgegangen, habe zunehmende Kreislaufprobleme bekommen. Steigende Blutwerte, steigende Zuckerwerte, ein beginnender Tinnitus (...) Es ist kein Burnout.“ Wichtig nimmt er die Warnsignale seines Körpers dennoch. Die Konsequenz: Er legt seine Funktion nieder. Bis sein Amt nächsten Montag von dem Wiener Allgemeinmediziner Wolfang Mückstein neu besetzt wird, übernimmt Vizekanzler Werner Kogler die Aufgaben.

Management, Kommunikation und Fachwissen

Was es braucht, um das Amt künftig gut auszuführen, weiß Filzmaier. Es sind drei Eigenschaften „die eigentlich niemand als Wunderwuzzi alle zu 100 Prozent haben kann.“ Erstens: „Die Managementkompetenz, um das im Moment wohl wichtigste Ministerium zu organisieren, damit dort von den Verordnungen zu den Maßnahmen bis zur Impfstofflieferung alles klappt – was ja zuletzt bei Weitem nicht immer funktioniert hat. Daran sind sicher auch schlechte Strukturen und auf keinen Fall allein die Person Anschober verantwortlich. Doch wenn man Krisenmanagement von Tag zu Tag betreibt, sind Umorganisationen im Ministerium schwierig.“

Dann braucht es empathische Kommunikation, „um für die Menschen Orientierungspunkt in der Krise zu sein, dem wir vertrauen. Das war anfangs Anschobers Stärke, doch nach der unzähligsten Ankündigung, es würden die entscheidenden Wochen bevorstehen und weiteren Verschlechterungen durch die Mutationen hat er wie alle Regierungspolitiker viel Vertrauen verloren. Sein Nachfolger startet hier wohl eher mit einem Malus als einem Vertrausensvorschuss als Bonus.“

Und drittens ist da die Frage, wie viel Fachkompetenz man haben muss. „Ein Mediziner von außen würde vielleicht am ersten Punkt und den politischen Logiken in der Regierung scheitern, also kann man nicht sagen, dass nur epidemiologisches Wissen zählt – es muss vielmehr schnell die Zusammenarbeit mit Expertenstäben gelingen.“

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