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Sex oder Kuscheln?

Können Leidenschaft in einer Beziehung nebeneinander existieren? Sex oder Kuscheln: Wie man falsche Erwartungen ablegt und richtige Werte erkennt.

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Sex oder Kuscheln?

Immerwährender toller Sex in der Partnerschaft – von dieser Illusion müssen wir uns verabschieden. Doch wie erhält man die Leidenschaft?

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Eine harmonische Partnerschaft, "bis dass der Tod euch scheidet“, gepaart mit immerwährendem tollem Sex - der Himmel auf Erden wäre das wohl! Aber weil uns so viel Glück selten beschieden ist, scheint die Beziehungsrealität eher zu lauten: kurz und leidenschaftlich oder lang und langweilig.

In einer repräsentativen Umfrage unter österreichischen Frauen zum Thema "die größten Erotikkiller “ errangen "Beziehungen über 20 Jahre“ den ersten Platz. Häufig aber braucht es gar nicht so lange, bis die Eiszeit ins Schlafzimmer einzieht. Die Frage ist: Muss das so sein? Wie kann man das Feuer am Lodern erhalten? Und sind Vertrautheit und Leidenschaft überhaupt kompatibel? Wir baten Experten um Antworten.

Abnützung in Beziehungen ist normal

Sara sucht Hilfe bei einer Internetplattform. "Ein Jahr sind wir wie wild übereinander hergefallen“, schreibt sie. "Aber jetzt wird der Sex immer weniger leidenschaftlich und auch seltener. Weiß jemand Rat?“ Die Antworten sind wenig ermutigend. "Die Abnutzungserscheinungen sind völlig normal“, teilt Lydia mit, und Evelyn bestätigt: "Nach acht Jahren ist alles bei uns nur mehr Routine.“ Aber da schreibt auch Annika, und sie meint: "Sex wird eben anders. Für mich vertrauter, sanfter, ausgefeilter. Hat mehr mit Liebe machen als mit Triebe abreagieren zu tun.“ Aber das Prickelnde, das Explosive, das konnte auch sie in ihrer langjährigen Beziehung nicht halten.

Fremdheit und Gefahr

"Das sind auch ganz falsche Erwartungen“, erteilt Dr. Elia Bragagna, Leiterin der Akademie für Sexuelle Gesundheit in Wien, der ewig währenden Leidenschaft in Beziehungen eine Absage. "Schon biologisch gesehen muss sich der Sex in einer Partnerschaft ändern. Am Anfang sind es ganz aufregende Botenstoffe, die einen direkt zum Liebesspiel treiben, dann nehmen diese ab zugunsten von Bindungshormonen.“

Die Partner suchen nun nach Nähe, Verlässlichkeit, Berechenbarkeit und Gleichwertigkeit in ihrer Verbindung. Und genau das sind die größten Gegenspieler von Lust und Leidenschaft. "Partnerschaft erfordert Ähnlichkeit und Vertrauen, Leidenschaft erfordert Fremdheit und Gefahr“, wie es der Hamburger Paarberater und Autor Michael Mary ausdrückt. "Beide auf Dauer zu vereinbaren gelingt kaum.“ Und wenn, dann geht es auf Kosten der Harmonie. Wie bei Fernbeziehungen etwa, wo man viel Abstand hat und sich viel begehren kann. "In der Zwischenzeit leiden sie wie ein Hund unter der Sehnsucht nacheinander. Das ist unendlich anstrengend.“ Und wenn man sich die Weltliteratur anschaut, ist die leidenschaftliche Liebe immer die tragische, unerfüllte.

Eine innigere Sexualität

Man würde es ja auch gar nicht aushalten, immer unter dieser Spannung wie in der ersten Verliebtheit zu stehen, gibt Dr. Bragagna ( Buch: "Weiblich, sinnlich, lustvoll“; Ueberreuter, € 19,95 ) zu bedenken. Man könnte sich auf keinen Job, keine Alltagspflichten mehr konzentrieren. "Das Bescheuerte ist, dass man uns heutzutage weismachen will, dass dieser Thrill bestehen bleiben sollte. Und die Menschen glauben, in ihrer Beziehung stimmt etwas nicht, wenn die Spannung nachlässt. Und vor lauter Warten auf den Kick-Sex übersehen sie, welche innige und geile Qualität an Sexualität sich stattdessen bieten würde.“

Ein vertrauter Partner kennt die Vorlieben des anderen, bei ihm kann man sich fallen lassen, frei und offen sein. "Man kann immer wieder auf dem aufbauen, was man sich schon erarbeitet hat, verschiedene Techniken (etwa den Handjob ) ausprobieren und verarbeiten.“

Was zählt: Freundschaft und Respekt

Michael Mary meint sogar, dass es Sex und Leidenschaft gar nicht braucht, um dauerhaft glücklich zu sein. Sex oder heiße Küsse in Lebenspartnerschaften würde völlig überbewertet. Es seien die Werte in der Beziehung , die zählen. "Die meisten Paare setzen Respekt, Vertrauen und Freundschaft an die erste Stelle.“

Viele vor allem jüngere "Zweiergespanne“ leiden jedoch darunter, wenn im Bett tote Hose herrscht. Weil Treue aber wichtig ist, trennt man sich oft lieber, bevor man mit einem Seitensprung sein Versprechen bricht. Rein in die nächste Beziehung, wo einem wieder genau das Gleiche widerfährt. Weil nicht der Partner der Falsche war, meint Mary, sondern die Erwartungen an die Beziehung.

Wobei ein Paar beizeiten durchaus einiges dafür tun kann, dass unter der Bettdecke wieder mehr Frequenz und "Stromstärke“ herrscht. "Erste Grundregel“, so Sexualtherapeutin Bragagna: "Sex beginnt nicht im Bett, sondern im sinnlichen und respektvollen Umgang miteinander. So manche Frau wäre nicht lustlos, wenn sie das Gefühl hätte, dass ihr Mann auf sie eingeht, dass sie miteinander etwas unternehmen, dass man über alles reden kann.“ Aber wenn er abends heimkommt und ihr als Erstes die Worte ‚Wie schaut’s denn da wieder aus!‘ entgegenknallt, wird sie zumachen. Wenn sie sich ihm gegenüber herablassend benimmt, ihn vor anderen niedermacht und er sich immer mehr als Schwächling fühlt, wird er im Schlafgemach auch keine Stärke zeigen.

Die zweite Grundregel: "Wer Leidenschaft erhalten will, muss ihren Bedingungen Rechnung tragen“, so Michael Mary. Das heißt: Distanz schaffen. Getrennte Betten, getrennte Wohnungen, getrennte Konten. Ein Urlaub alleine, eine Auszeit.

Distanz belebt

Welche Wunder Distanz schaffen kann, merken Paare oft in Situationen, die sie sich nicht gewünscht haben: Ein Streit , man entfernt sich voneinander, die Versöhnung ist umso schöner. Oder einer der beiden geht fremd. Er distanziert sich, benimmt sich anders, wird für den Partner wieder unbekannt und dadurch umso begehrenswerter. Ein Rezept, das einer leicht ausgerauchten Liebe manchmal guttun kann, von dessen vorsätzlicher Anwendung die Experten aber abraten.

"Wenn man sich Treue geschworen hat, kann man mit einem Seitensprung alles zerstören .“ Da rät Dr. Bragagna dazu, lieber rechtzeitig Vorkehrungsmaßnahmen gegen das erotische Verblassen zu treffen: "Bitte nicht miteinander verschmelzen! Ich gebe meine Eigenart nicht auf, schaue, dass ich als Individuum Anerkennung und Zuneigung bekomme, mit meinen Freundinnen viel lache und unternehme. Ich mache Sachen, wo ich wirklich merke: Das füllt mich aus, ohne dass immer der Mann neben mir klebt. Dann können wir immer wieder aufeinander zugehen, haben uns etwas zu erzählen und können über Dinge lachen.“

Je mehr "Eins-Sein“, je mehr Ähnlichkeit, desto weniger Anziehung, lautet die einfache Formel. Und dann gibt es natürlich noch so Wahrheiten wie: Wenn man daheim ungepflegt und schlampig herumläuft, wird’s dem Partner auch bald vergehen. "Ich sage meinen Patientinnen immer“, so die Therapeutin, "dass sie sich auch als erotisches Wesen fühlen müssen. Ich bin eine Frau, die sinnlich ist. Diese sexuelle Energie strahle ich auch in Wollunterhosen aus.“

Stars als Vorbild

Dr. Bragagna rät Frauen häufig auch, sich ein erotisches Vorbild zu suchen. Wenn’s die eigene (vielleicht leider verklemmte) Mutter nicht sein kann, dann kann ein Star wie Cameron Diaz oder Angelina Jolie herhalten. Es geht darum, sich von der Sinnlichkeit und Kraft einer Frau, die man toll findet, inspirieren zu lassen. "Wie würde sie sich jetzt verhalten?

Reizunterwäsche, Sexspielzeug, ein heißes Gerangel im Aufzug - Michael Mary hält nicht allzu viel davon: "Solche Rekonstruierungsversuche werden nicht lange helfen, wenn keine Leidenschaft mehr da ist.“ Und auch Elia Bragagna findet Reizwäsche höchstens "süߓ. "Ehrlich: Wenn mein ganzes Sexualleben darauf beruht, dass ich zweimal im Jahr in ein Hotel gehe und viermal Sex-Unterwäsche anziehe, na dann … dann ist es schon besser, den eigenen Partner hintergründig zu motivieren: Zeigen Sie ihm, dass Sie ihn als Mann wahrnehmen. Schauen Sie ihm in die Augen, kokettieren Sie ein bisschen …“

Eine herzliche Umarmung, ein "ich freu mich auf heute Abend“, ein ehrliches "Ich wünsch dir viel Glück“ kostet nicht viel, kann aber viel bewirken (hier: was Sex-Partner gerne hören ). Womit die Expertin auch gleich bei einem weiteren Thema ist: dem Angriff der "Sexkiller“: Stress im Job, Stress mit den Kindern (die vielleicht noch im Schlafzimmer der Eltern ein und aus gehen), ein pflegebedürftiger Angehöriger, finanzielle Sorgen. "Paare begegnen sich dann nur mehr in der Restzeit. So um elf oder zwölf in der Nacht, ausgelaugt und todmüde.“

Keine Kraft mehr, um Zuneigung zu zeigen - geschweige denn Lust. Da gibt es nur eine Lösung: sich Dates ausmachen. "Man muss sich Zeit nehmen füreinander, Platz lassen für das Paar.“ Da geht es nicht um "Hoppa, flugs ins Bett“, sondern um einen Abend zu zweit. Einen Abend, an dem man sich gemeinsam etwas Gutes tut. Gemeinsam ins Dampfbad geht etwa, eine Massage und danach nett essen. Der Termin wird in den Kalender eingetragen, die Betreuung der Kinder rechtzeitig geplant und ernst genommen. "Da darf nichts wichtiger sein als dieser eine Abend für uns zwei.“ Auch für die Kinder, so die Sexualtherapeutin, ist das ein gutes Vorbild. Sie sollen ja auch mitkriegen, dass es sich auszahlt, auf eine Partnerschaft zu schauen.

Erotische Geheimnisse

Last, but not least wär da noch der Blick ins eigene Schatzkästchen, wie es Elia Bragagna umschreibt. Was macht mich in Sachen Sex und Erotik neugierig, was finde ich spannend? Jahrein, jahraus die gleiche Stellung im Bett wird nämlich auch nicht gerade zum "nackten Wahnsinn“ beitragen. "Die Frauen, die zu mir kommen, haben viele Geheimnisse und glauben, das sind arge Geheimnisse. Meist sind es jedoch schöne, sinnliche Sachen, die sie neugierig machen, wie sich in Öl wälzen, mit Schoko eingeschmiert und abgeschleckt zu werden oder mit Sekt bespritzt und vieles mehr. Ich sag beiden Partnern dann, schreibt eine Liste mit den Dingen die euch verlockend erscheinen. Schon allein beim gegenseitigen Vorlesen der Liste wird das ein aufwühlender Abend werden.“

Thema: Sex & Erotik
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