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Sigi Maurer: Am Freitag hofft sie auf einen Freispruch

2018 erhielt Grünen-Politikerin Sigi Maurer obszöne Droh-Nachrichten via Facebook. Sie wehrte sich, machte es öffentlich, wurde daraufhin vom Beschuldigten verklagt - und schuldig gesprochen. Am Freitag, 11.9., geht der Prozess in die nächste Runde. Wir haben vorab mit ihr darüber gesprochen …

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Sigi Maurer
© Caro Pernegger

Wir erinnern uns an den "Bierwirt"-Fall: Im Mai 2018 wurde Sigi Maurer, 35, vor dem Geschäft eines Wiener Bierwirts "blöd angeredet", wie sie berichtete. Danach erhielt sie vom Facebook-Account jenes Gastronomen obszöne Nachrichten. Die Grünen-Klubobfrau veröffentlichte diese und wurde deswegen vom Besitzer des Craft Beer-Geschäfts angezeigt. Der Gastronom bestritt jedoch, der Verfasser der Nachricht gewesen zu sein: Sein PC samt Facebook-Account wäre auch für andere im Lokal zugänglich.

Er verklagte Maurer, diese wurde im Oktober 2018 zu 3.000 Euro Strafe wegen übler Nachrede verurteilt. Weitere 4.000 Euro hätten an den Geschäftsbetreiber gehen sollen, außerdem hätte sie die Kosten des Verfahrens übernehmen müssen. Im März 2019 wurde das Urteil vom OLG aufgehoben, der Prozess wird seitdem neu verhandelt. Maurers Causa brachte das Thema "Hass im Netz" auf die politische Bildfläche, erstmals wurde öffentlich darüber diskutiert. Das Ergebnis: ein Gesetzespaket gegen Hass im Netz, das vergangene Woche von der türkis-grünen Regierung präsentiert wurde. Was Sigi Maurer in ihrem Kampf außerdem bestärkt hat, erklärt sie im WOMAN-Interview:

WOMAN: Frau Maurer, Sie haben mit Ihrem "Bierwirt-Fall" das Thema Hass im Netz überhaupt erst auf die politische Agenda gebracht. Nun gibt es ein Gesetzespaket dazu. Zu wie viel Prozent ist das Ihr Verdienst?
Sigi Maurer:
Ich würde es nicht als meinen Verdienst bezeichnen. Es gibt ganz viele engagierte Frauen, die sich da beteiligt haben und ein Stück weit ist es kurioserweise ja diesem Bierlokal-Besitzer zu verdanken, weil diese Geschichte die öffentliche Diskussion so richtig ins Rollen gebracht hat. Ich bin ja - im Gegensatz zu vielen anderen Betroffenen - in der privilegierten Position, dass ich eine mediale Öffentlichkeit erreichen und mir eine Anwältin leisten kann. Ich sehe schon, dass ich einen Beitrag geleistet habe, aber es basiert auf der Arbeit von ganz vielen, das ist ein gemeinsamer Erfolg.

Was waren bei der Ausarbeitung die wichtigsten Eckpfeiler?
Maurer:
Bei Hass im Netz gibt es zwei zentrale Probleme: Vieles war bis jetzt gar nicht klagbar, man konnte nichts dagegen tun. Und wenn es klagbar war, dann mit einem enorm hohen Kostenrisiko. Sehr, sehr viele Fälle von Hass im Netz waren bisher nicht bekämpfbar, weil man schnell ein Kostenrisiko von bis zu 10.000 Euro tragen musste: Wer kann sich das leisten? Deshalb war es unser Ziel, die Straftatbestände so auszuweiten, dass mehr klagbar ist. Bei Cyber-Mobbing war es bislang etwa so, dass das einmalige Hochladen eines Nacktfotos nicht unter Cyber-Mobbing gefallen ist, obwohl der Schaden damit ja schon angerichtet ist. Diese Straftatbestände werden jetzt verschärft und auf der anderen Seite ist das Schnellverfahren, das wir schaffen, wirklich revolutionär. Ich habe aber auch gebetsmühlenartig zwei Jahre lang wiederholt, dass es für Betroffene eine Möglichkeit geben muss, mit der sie sich schnell, unbürokratisch und kostengünstig wehren können.

Wo verläuft für Sie persönlich die Grenze zwischen "Das muss man melden" und "Das geht grad noch so durch"?
Maurer:
Als Politikerin bin ich absolut der Meinung, dass man sich in meiner Position gefallen lassen muss, hart kritisiert und mitunter auch beschimpft zu werden. Aber es ist sehr eindeutig, wo die Grenze verläuft: Überall dort, wo es Gewaltandrohungen gibt, Vergewaltigungswünsche, wo die Würde der Menschen ganz klar angegriffen wird. In der Debatte wird oft so getan, als würde es um die Beschränkung von Meinungsäußerungen gehen, das Gegenteil ist der Fall. Mit diesen Maßnahmen wollen wir sichern, dass alle im Netz agieren und ihre Meinung äußern können, ohne dass sie beschimpft und verdrängt werden.

Wann waren Sie zuletzt von solchen Kommentaren betroffen?
Maurer:
Es ist schon so, dass jeden Tag etwas kommt. Die Nachrichten sind zwar nicht immer klagbar, aber gerade in den letzten Tagen, nachdem wir das Gesetzespaket verkündet haben, gibt es natürlich wieder viele Leute, die sich bemüßigt fühlen, mich extra anzugreifen. Ich habe derzeit aber gar nicht die Zeit, mir das alles anzuschauen, es wird auch viel von Facebook vorgefiltert und ich habe außerdem schon viele Leute blockiert.

Sind Sie da abgebrühter geworden?
Maurer:
Es ist sicher so, dass man ein anderes Verhältnis dazu entwickelt, wenn man in der Öffentlichkeit steht. Ich kenne ja die Mechanismen dahinter, weiß, was die Absicht von Menschen ist, wenn sie solche Postings absetzen. Sie zielen darauf ab, dass sich die Betroffenen zurückziehen und versuchen damit, öffentliche Personen aus der Debatte hinauszudrängen. So wie das im analogen Raum im Übrigen auch passiert. Die Hater wollen, dass die Betroffenen still sind. Es passiert auch oft, dass diese dann ihre Accounts abmelden, sich aus den Sozialen Medien zurückziehen, ihre Meinung nicht mehr äußern. Und wenn man diesen Mechanismus dahinter versteht und weiß, dass es nicht um einen persönlich geht, dann kann man auch besser damit umgehen.

Durch Ihren Prozess haben sich auch viele betroffene Frauen bei Ihnen gemeldet: Welche Probleme wurden Ihnen geschildert?
Maurer:
Zum einen wurde mir von vielen Gewalterfahrungen berichtet – online und analog. Sehr viele haben mir auch Screenshots geschickt und gefragt: Was kann ich tun? Es ist uns zwar damals gelungen, einen sehr großen Rechtshilfefonds bei ZARA, der Meldestelle für Hass im Netz, einzurichten - der besteht auch immer noch. Dadurch, dass so viele Fälle nicht klagbar waren, war das immer sehr traurig, weil ich konnte eigentlich immer nur antworten: "Geht zum Verein ZARA, lasst es prüfen, ob man etwas machen kann." Das hat mich wütend gemacht, immerhin waren da ganz viele Frauen dabei, die gesagt haben: „Danke, dass Sie sich gewehrt haben, ich lasse mir das jetzt auch nicht mehr gefallen.“ Viele Frauen haben offensichtlich durch diese Geschichte erkannt, dass sie sich auch wehren wollen und mussten dann doch wieder erkennen, dass sie relativ wenige Möglichkeiten haben. Das war leider immer sehr ernüchternd. Deshalb freut es mich jetzt extrem, dass uns mit dem Gesetzespaket gelungen ist, einen großen Schritt zu machen und sich Betroffene leichter wehren können.

Die Gerichtskosten etwa werden für jene Fälle die nächsten drei Jahre lang ausgesetzt, damit es sich Betroffene leisten können, sich zur Wehr zu setzen: Und danach?
Maurer:
Da geht es um Pauschalkosten, die normalerweise anfallen würden und die wir für diese Art der Verfahren erst einmal für drei Jahre aussetzen. Dann wird evaluiert, wie sich das entwickelt. Es geht vor allem darum, zu sehen, wie groß das Volumen überhaupt ist. Nach einiger Zeit wird man das besser einschätzen können. Das gilt generell für das Gesetz: Wir erschaffen da jetzt etwas Großes aber natürlich auch etwas Neues, da muss man sich insgesamt anschauen, wie sich die Dinge entwickeln.

Nachdem das Gesetzespaket präsentiert wurde, habe ich gleich eine Pressaussendung von den BetreiberInnen der BanHate-App (zum Melden von Hass im Netz) bekommen, die Lücken kritisiert haben und meinen, dass die Regierung den Umfang des Problems unterschätzt: Sie gehen von einer großen Flut an Meldungen aus und befürchten eine Überlastung der Gerichte, sollte es nicht zu einer Aufstockung des Personals kommen. Wie wird hier reagiert?
Maurer:
Wir können schlichtweg nicht wissen, wie viele Meldungen und Verfahren es geben wird, ich rechne mit ein paar tausend pro Jahr. Beim bereits erwähnten Schnellverfahren muss man schon auch sagen, dass es wesentlich unbürokratischer als ein herkömmliches Gerichtsverfahren sein wird. Man füllt ein Formular aus, lädt den Screenshot beim Bezirksgericht hoch und der Richter oder die Richterin schaut sich das an und entscheidet innerhalb weniger Tage, wie damit umzugehen ist. Es muss keine Verhandlung anberaumt werden, es besteht keine Anwaltspflicht. Dadurch hoffen wir, dass der Aufwand nicht so hoch ausfallen wird. Und um den Hass im Netz zu bekämpfen, haben wir ja noch weitere Maßnahmen geschaffen: Es gibt auch noch das Kommunikationsplattformen-Gesetz, das Plattformen wie Google, Facebook & Twitter dazu verpflichten wird, Hass zu löschen, wenn er offensichtlich rechtswidrig ist.

Auch hier gibt es Kritik: Warum werden die Foren von heimischen Medien nicht dazu verpflichtet?
Maurer:
Das ist ein Missverständnis, die Foren der Tageszeitungen unterliegen bereits dem Mediengesetz und sind dadurch verpflichtet, offensichtlich rechtswidrige Kommentare zu löschen. Eigentlich ist es so, dass wir das, was für die Zeitungen bereits jetzt gültig ist, auch für Google & Co. schaffen.

Von Facebook und Google hieß es dazu, dass man gegen nationale Alleingänge sei und für eine europäische Lösung: Was kann sich die EU jetzt von Österreich abschauen?
Maurer:
Wir sind ja nicht das erste Land, das das macht. In Deutschland gibt es bereits das Netzwerksdurchsetzungsgesetz, das die EU-Kommission auch genehmigt hat. Seitdem ist Deutschland das einzige europäische Land, das von Facebook ernst genommen wird, also hat das schon eine Auswirkung. Die EU arbeitet zwar am Digital Services Act, in dem genau solche Themen geregelt werden sollen, allerdings wird das erst in ein paar Jahren fertig sein, und ich sehe nicht ein, dass wir noch länger warten, bis wir endlich Google, Facebook & Co in die Verantwortung nehmen.

Neben dem neuen Gesetzespaket: Was braucht es aus Ihrer Sicht außerdem noch, um unseren Alltag im Netz zu regeln?
Maurer:
Mit einem Gesetz kann man natürlich immer nur die harten Fälle regeln. Wir wollen ja keinen Staat, der wegen jeder Kleinigkeit eingreift, dementsprechend wird es nach wie vor Postings geben, die man nicht per Gesetz regeln kann, sondern wo Zivilcourage gefragt ist und wo es darum geht, zu sagen: "Ich finde es nicht okay, was du hier sagst."
Denn nicht alles, was Hass ist, kann man einklagen. Aber jetzt werden wir mal schauen, wie sich das Gesetzespaket in der Praxis auswirkt und im Zweifelsfall müssen wir nachschärfen.

»Ich sehe nicht ein, warum ich einen anderen Weg gehen sollte!«

Kommen wir zum "Bierwirt-Fall": Der Prozess geht am 11. September weiter. Was erwarten Sie sich?
Maurer:
Ich hoffe sehr, dass es jetzt endlich zu einem Freispruch kommt und es der letzte Prozesstag sein wird. Ich gehe davon aus, dass es so sein wird, aber wissen kann man es nie, ich habe es ja auch beim ersten Mal geglaubt und dann wurde ich verurteilt. Aber egal wie es ausgeht, für den unwahrscheinlichen Fall, dass ich nicht freigesprochen werde: Ich kämpfe weiter.

Dass sie weiterkämpfen, haben Sie immer wieder betont, trotzdem: Haben Sie in den vergangenen zwei Jahren auch mal überlegt aufzugeben?
Maurer:
Nein. Und zwar vor allem wegen der vielen Leute, die mir geschrieben haben und den unzähligen Spenden, die für den Rechtshilfefonds gekommen sind. Die bewegendste Nachricht kam von einer 50-jährigen Frau aus Deutschland, die geschrieben hat, dass sie gerade von meinem Fall gelesen hat und ihr ist jetzt aufgefallen, dass sie schon ihr ganzes Leben lang die Gehsteigseite wechselt, wenn ihr eine Männergruppe im Weg ist. Und wegen mir hätte sie beschlossen, das nicht mehr zu tun. Aus diesen Nachrichten habe ich sehr viel Kraft geschöpft. Es ist schon ein sehr schönes Gefühl, wenn man sieht, dass das, was man tut, eine reale Auswirkung hat.

Was war Ihr größtes Learning daraus?
Maurer:
Ich hätte nie damit gerechnet, dass diese Geschichte so eine große Aufmerksamkeit bekommt und dass sich so extrem viele Leute solidarisieren - aus den unterschiedlichsten Gruppen. Mir haben Polizisten genauso geschrieben wie Väter, die eigentlich die ÖVP oder FPÖ wählen, weil sie es als Skandal sehen. Diese breite Solidarität war eine tolle Erfahrung.

Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn sie heute in Wien an diesem Craftbeer-Lokal vorbeigehen?
Maurer:
Ich gehe einfach daran vorbei, weil ich nicht einsehe, warum ich einen anderen Weg gehen sollte.

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