Die vierfache Olympiasiegerin Simone Biles zog sich diese Woche von mehreren Olympia-Bewerben zurück, um sich auf ihre mentale Gesundheit zu konzentrieren. Woran man merkt, dass es Zeit ist, mehr auf die eigene Psyche zu achten, wollten wir von einem Mental Health-Experten wissen.
Es ist wie ein "Kampf gegen Dämonen". So versuchte Simone Biles ihre Emotionen zu beschreiben, als sie am Mittwoch, 28. Juli, ihre Absage vom Einzel-Mehrkampf bei den Olympischen Spielen in Tokio bekannt gab. Der amerikanische Turnsuperstar war einen Tag zuvor bereits aus dem Mannschafts-Finale ausgestiegen. "Die mentale Gesundheit steht an erster Stelle", erklärte die 24-Jährige. "Daher ist es manchmal in Ordnung, die Wettbewerbe sogar auszusetzen, um sich auf sich selbst zu konzentrieren. Es zeigt, wie stark du als Wettkämpfer und Person wirklich bist, anstatt sich einfach durchzukämpfen."
Biles erhält viel Zuspruch
Die Gesundheit ist wichtiger als jede Goldmedaille: Für ihre mutige Entscheidung bekommt Biles viel Zuspruch. SportkollegInnen loben ihren ehrlichen Umgang, sprechen offen ihren Respekt aus. Auch aus der Showbranche kommt prominenter Support. Justin Bieber kommentierte besonders emotional: "Niemand wird jemals den Druck verstehen, dem du ausgesetzt bist. Wir kennen uns nicht, aber ich bin stolz auf deine Entscheidung, dich zurückzuziehen. Es ist so eigentlich einfach: Was bedeutet es, die ganze Welt zu gewinnen, aber seine Seele zu verlieren? Manchmal sind unsere Neins mächtiger als unsere Jas. Wenn das, was man normalerweise liebt, einem die Freude raubt, ist es wichtig, einen Schritt zurückzutreten und zu überlegen, warum. Die Leute hielten mich für verrückt, weil ich die Purpose Tour nicht beendet habe, aber es war das Beste, was ich für meine geistige Gesundheit hätte tun können! Ich bin so stolz auf dich." Auch die Pressesprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, twitterte: "Dankbarkeit und Unterstützung sind das, was Simone Biles verdient."
Vor Biles machte Anfang Juni auch eine andere Spitzensportlerin ihre seelischen Probleme öffentlich: Die japanische Tennisspielerin Naomi Osaka reiste überraschenderweise von den French Open ab und verzichtete auf eine Teilnahme beim Tennisturnier in Wimbledon. Der Grund: Depressionen. "Es ist ok, sich nicht ok zu fühlen", hielt das Tennis-Ass im Time Magazine dazu fest.
Was wir von Simone Biles und Naomi Osaka lernen können ...
Egal ob SpitzensportlerIn oder nicht, sollten wir uns alle viel öfter fragen: Wie geht es mir wirklich? Was würde mir gerade jetzt gut tun? Und vor allem: Was nicht? "Mentale Gesundheit ist der zentrale Bestandteil eines glücklichen und zufriedenen Lebens", hält Mental Health-Experte Florian Kalina (mental-health.at) fest.

"In unserer Gesellschaft hat sich mittlerweile durchgesetzt, dass es wichtig ist auf seinen Körper zu achten und sich gesund zu ernähren. Die psychische Gesundheit ist hier (leider) noch nicht so im Fokus, aber ich merke eine starke Tendenz, dass auch dieser Bereich den Menschen immer wichtiger wird."
Rolemodels wie Biles und Osaka, die ihre psychischen Probleme offen ansprechen, sind extrem wichtig. Sie lenken Aufmerksamkeit auf ein Thema, das noch immer viel zu oft tabuisiert wird. Kalina erkennt hier zwar eine leichte Trendumkehr, meint aber auch zu wissen, warum psychische Gesundheit noch immer so ein Tabuthema ist: "Weil es oft leichter ist, wegzuschauen, sich abzulenken, anstatt das Problem anzugehen, die Angst zu überwinden, den Schmerz zu spüren und dann gestärkt und glücklich aus der Krise zu gehen. Es haben einfach noch zu wenig Menschen erfahren, wie unglaublich erleichternd es sein kann, hinzusehen und seine Themen zu lösen. Wenn ich mir ein Röntgenbild ansehe und dort ist der Knochen gebrochen, dann ist es völlig klar und verständlich, dass ich einen Gipsverband brauche und ich mich dann einige Wochen schonen muss. Dies auch in meiner Psyche zu erkennen, ist schon wesentlich schwieriger, aber der erste wichtige Schritt. Dafür gibt es professionelle psychologische BeraterInnen, die genau dafür ausgebildet wurden." Denn: Unsere mentale Stärke ist nicht selbstverständlich. "Das ist völlig in Ordnung. Aber deswegen ist es auch wichtig etwas dafür zu tun, bevor uns auffällt, dass wir sie verloren haben."
Kalina hebt hervor, wie wichtig es ist, auf sein psychisches Gleichgewicht zu achten. Denn auch viele physischen Probleme haben ihre Wurzeln in der mentalen Unausgewogenheit und Unzufriedenheit: "Oft sind Menschen zwar körperlich gesund, kommen aber in eine schwierige Situation oder sind mit ihrem Leben unzufrieden und dies wirkt sich dann natürlich nachteilig auf ihr Wohlbefinden aus. Wenn man hier nicht gegensteuert, kann dies zu einer Erkrankung, wie beispielsweise Depressionen etc., führen." Heißt: Das andauernde Gefühl der Unzufriedenheit ist bereits ein erstes Anzeichen. Kalina: "Leider sind wir im Alltag oft abgelenkt und leben so unbewusst, dass uns das gar nicht auffällt bzw. wir erst unseren Fokus darauf legen, wenn ein bestimmtes Problem größer geworden ist. Im Optimalfall kümmert man sich regelmäßig um seine psychische Gesundheit. Ähnlich wie ein Besuch im Fitnesscenter oder eine Massage, die das körperliche Wohlbefinden steigern."
So findest du Hilfe:
Ausreichend Bewegung im Alltag und eine ausgewogene Ernährung spielen hier auch mit – eine gesunde Lebensweise ist ein wesentlicher Faktor. "Ich möchte noch einmal unterstreichen, wie wichtig es ist, bewusst zu leben und auf seinen psychischen Zustand ein Augenmerk zu legen", so Kalina. "Dies kann man regelmäßig selbst tun, aber auch neue Blickwinkel mit professionellen psychologischen Beratern zu erarbeiten ist wichtig, da man selbst blinde Flecken hat. Und damit bringen wir uns in einen Zustand des Gleichgewichts, der uns gut durchs Leben bringt." Gerade in Ausnahmesituationen wäre das besonders wichtig. Zum Beispiel wenn plötzlich ein schwieriges Lebensereignis auftritt, wie beispielsweise der Tod eines nahen Angehörigen, eine Trennung oder ein Jobverlust: "Ein psychologischer Berater oder eine psychologische Beraterin können erste Hilfemaßnahmen einleiten, unterstützen und auch qualifiziert feststellen, ob eine psychische Erkrankung vorliegt, welche dann ein/e PsychotherapeutIn oder PsychiaterIn weiterbehandeln muss, oder ob einige Beratungseinheiten und Begleitung auch durch die Krise hilft."