Mein Single-Leben sah bislang so aus: Ich habe gegessen, wann und wo ich wollte. Vorzugsweise auf der Couch bei Netflix. Und: Ich habe vor allem gegessen, was ich wollte. Viel Schokolade, Sushi und manchmal kalte Margeritha – zum Frühstück. Mit Prosecco. Ich bin schlafen gegangen, wann ich wollte. Mal um 21 Uhr, mal um zwei Uhr nachts. Mal um 15 Uhr am Sonntag. Ich habe ohne Pardon geflucht, aufgeräumt, wenn mir danach war und wenn mir nicht danach war, ist der Wäschekorb übergegangen und meine Sessellehnen auch. Ich habe mich nicht abgeschminkt, wenn ich zu müde war und bin morgens meistens mit mascaraverklebten Augen aufgewacht. Die größte Verantwortung, die ich lange hatte: mich um meine Pflanzen zu kümmern. Von denen musste ich übrigens erst unlängst die Hälfte entsorgen, weil ich sie ertränkt hatte. Nachdem ich sie davor zu wenig gegossen hatte.
Und jetzt ist er da: ein Mann Mitte 30. Ein toller Mann. Intelligent, sportlich, gutaussehend, humorvoll, großzügig, aufmerksam, bodenständig. Und er hat ein Kind. Eine vierjährige Tochter, von deren Mutter er seit zwei Jahren getrennt ist.
Zugegeben, ich habe das Kind eine Zeit lang ausgeblendet. Wenn er Fotos geschickt hat, hab ich‘s einfach ignoriert. Auf Erzählungen über sie habe ich mit „Okay“ oder „Oh, wie nett!“ geantwortet. Mir hat das Paar-Sein fürs Erste gereicht. Bis auf ein paar kläglich gescheiterten Beziehungsversuchen war ich die letzten Jahre solo unterwegs. Ein neuer Mensch in meinem Leben war genug Action und verlangte einiges an Umstellung. Ich wollte verliebt sein, unbeschwert, Händchen halten, mehrmals täglich Sex haben. Nicht über Topferl-Erfolge, Verdauungsprobleme und Paw Patrol reden. Einzig: Ein Kind lässt sich nicht auf Dauer ignorieren.
So kam der Tag, als ich sie kennenlernte. Mir war übel, ich war nervös und verfuhr mich am Weg gleich mal. Unabsichtlich absichtlich. Dann stand ich vor der Tür und sie im Türrahmen. Ein kleiner Dreikäsehoch mit braunen Locken, orangem Kleidchen und sie hielt mir eine Puppe entgegen: „Komm spielen!“ Sie grinste, ich wollte weinen. Vor Glück, weil sie mir den Start so einfach machte. Und vor Beschämung, weil ich mit der ganzen Situation trotzdem nicht wirklich etwas anfangen konnte. Jetzt war ich also mittendrin im Familienleben und noch mehr Fragen eröffneten sich mir ...
Immer mehr Frauen sind mit dem Leben aus vergangenen Tagen ihrer neuen Lebenspartner konfrontiert. Patchwork ist unser aller Alltag geworden. Ich wollte also von Beziehungscoach Sandra Teml-Jetter wissen, wie es am besten klappen könnte ...

Sandra Teml-Jetter ist psychologische Beraterin, Einzel- & Paarcoach sowie Elternberaterin in der "Wertschätzungszone".
WOMAN: Muss die Verbindung zwischen mir und dem Kind sofort da sein?
Teml-Jetter: Nein. Es kann natürlich 'Liebe auf den ersten Blick' sein, der Funken kann sofort überspringen, muss aber nicht. Im Grunde ist es wie bei jeder ersten Begegnung und die Frage stellt sich: Wie ist die Chemie? Das weißt du vorher leider einfach nicht.
Wie stark werde ich es irgendwann lieben können?
Teml-Jetter: Aus meiner Sicht ist das eine Entscheidung. Wenn ich als Frau zu einem Mann Ja sage, der ein Kind mit in die Beziehung bringt, dann ist das ein hohes Commitment, das gut überlegt sein will. Es ist keine gechillte Rolle, Stiefmutter zu sein. Und ich wähle den Begriff bewusst, weil ich die Rolle weder verniedlichen noch beschönigen will. Es ist manchmal nicht leicht, Projektionsfläche zu sein. Oft bekommen diese etwas Negatives ab, was gar nicht zu ihnen gehört. Der Frust der Kinder auf den eigenen Vater wird an der Stiefmutter ausgelassen. Da wird die Liebe stark auf die Probe gestellt.
Wer bin ich? Freundin, Bonus-Mama, fünftes Rad am Wagen? Wie finde ich meine Rolle?
Teml-Jetter: Dieser Weg entsteht im Gehen und hängt sehr stark vom Alter des Kindes und den Begleitumständen ab. Etwa wie präsent – in diesem Fall – die Mutter ist. Es ist eine andere Rolle, wenn die Mutter zum Beispiel verstorben ist oder wenn es eine 50:50 Regelung gibt, als eine, in der der Vater ein 'jedes zweites Wochenende-Papa' ist.
Inwiefern darf ich mich in die Erziehung einmischen? Und ab wann?
Teml-Jetter: Wenn Erziehung = Beziehung bedeutet, dann immer. Denn es geht darum, das Zusammenleben zu gestalten: Wie tun wir zwei, wir drei miteinander? Das ist ein täglicher Prozess für alle Beteiligten.
WOMAN: Wie egoistisch darf ich weiterhin sein?
Teml-Jetter: Sofern unter Egoismus Selbstfürsorge und integres Handeln verstanden wird, dann ist das mehr als erwünscht. Ich ermutige alle Erwachsenen in einer Familie immer wieder in sich hinein zu hören und sich zu fragen, ob die Entscheidung, die ich gerade treffe, stimmig ist, oder ob ich mich gerade selbst verrate. Wir müssen uns beständig auf die Suche nach unserem Ja und Nein aus ganzem Herzen machen und den Mut finden, dazu zu stehen. Sonst ist alles, was wir miteinander leben und gestalten, halbherzig.
Welche Aufgaben muss ich definitiv nicht übernehmen?
Teml-Jetter:
"Auch hier spielen die Umstände eine große Rolle – und die eigenen Grenzen. Du musst keine Windeln wechseln. Du musst mit dem Mädchen nicht zum Kinderarzt. Du musst keine Hausübungen machen, das Zimmer aufräumen, dir den ersten Liebeskummer anhören, emotionaler Blitzableiter. Vielleicht willst du es aber sein – weil es Teil deines Lebens, deines Alltags geworden ist und du dich von Herzen dafür entschieden hast. Es ist, wie gesagt, ein großes Commitment, vor dem ich ehrlichen Respekt habe."
WOMAN: Was sind die größten Stolpersteine für Paare, wo einer ein Kind hat und der andere nicht?
Teml-Jetter: Dem oder der Kinderlosen ist oft diese unendliche emotionale Bindung und Liebe zu einem eigenen Kind fremd und schwer nachvollziehbar. Es ist leichter, aus einer emotionalen Distanz gute Ratschläge zu geben oder auch klar zu sehen („Erfülle ihr doch nicht jeden Wunsch!“). Gut genutzt kann das natürlich auch Vorteile haben.
Wie kleinlich darf ich finanziell sein? Oder muss ich alle Ausgaben für das Kind mittragen?
Teml-Jetter: Auch hier gibt es kein 'Ich muss'. Das müssen sich die Erwachsenen untereinander ausmachen. Ich kenne Modelle, in denen einfach gedrittelt wird: Der neue kinderlose Mann lebt bei der Mutter und dem Kind und übernimmt seinen Teil, sein Drittel. Ich kenne auch unendlich großzügige Stiefväter, für die es überhaupt keine Frage ist, den größeren finanziellen Anteil zu übernehmen, und damit für alle etwas möglich zu machen, was sonst nicht möglich wäre. Es ist und bleibt eine sehr persönliche Entscheidung.
Was ist mit der Kindesmutter? Wie viel muss ich mit ihr zu tun haben? Und: Muss ich sie mögen?
Teml-Jetter: Wenn die Trennung wirklich vollzogen ist und es keine unguten Verstrickungen gibt, jede/r sein/ihr Leben lebt, dann wird sich auch dieses Verhältnis gut gestalten. Es wird Begegnungen geben – und je reifer die Erwachsenen, umso unkomplizierter werden diese aussehen. Haben die Erwachsenen das Kindeswohl im Auge, werden sie bemüht sein, einen respektvollen Umgang miteinander zu finden.
Und wie viel darf mein Partner mit ihr zu tun haben?
Teml-Jetter: Es kommt auf den Kontext an: Nicht wieviel, sondern in welcher Form, mit welcher Absicht, mit welchem Ziel. Wie schon gesagt, wenn es eine klare Trennung gibt, gute Vereinbarungen, ein gutes Einvernehmen, dann stellt sich die Frage des 'Dürfen' nicht. Wenn ich mir als neue Partnerin diese Frage dennoch stelle, dann darf ich mich auch fragen, ob tatsächlich 'etwas im Busch ist', Unstimmigkeiten in der Luft hängen, oder ob mir hier meine eigenen Ängste eventuell im Weg stehen.