Angst und Depression – immer mehr Kinder und Jugendliche leiden unter diesen häufigen Pandemie-Symptomen. Die Gründe sind mehr als verständlich: Homeschooling, eine mangelnde Zukunftsperspektive und die allgemeine Unsicherheit machen ihnen zu schaffen. Wenn die schlechte Stimmung jedoch in ein akutes, psychisches Problem umschlägt, suchen die Betroffenen Hilfe bei ExpertInnen.

Das hat auch zur Überlastung der Kinder- und Jugendpsychiatrie des Wiener AKHs geführt, berichtet Klinikleiter Paul Plener. “Die meisten Fälle, die wir derzeit haben, sind depressive Episoden mit suizidalen Krisen gefolgt von Essstörungen. Bei Letzteren handelt es sich um vorwiegend weibliche PatientInnen im Alter zwischen 13 und 17 Jahren”, so Plener.
Wo liegt der Zusammenhang zwischen Pandemie und Essstörungen?
Durch erneute Lockdowns und dem Unterricht zuhause, halten sich die Jugendlichen noch mehr als sonst im Web auf – suchen nach Bespaßung auf TikTok und Ablenkung auf Instagram. “COVID wirft die Kinder auf sich selbst zurück und lässt ihnen als einzigen Ausweg die Beschäftigung mit den sozialen Medien – noch mehr als sonst”, erklärt Andreas Karwautz, Leiter der Ambulanz für Essstörungen im Kindes- und Jugendalter im Gespräch mit WOMAN. Und das führe dazu, dass die bestehenden Probleme der Jugendlichen verstärkt würden.

“Die Sozialen Medien sind ein Puzzlestein, aber nicht der Ursprung von psychischen Problemen”, so Christof Argeny, Ärztlicher Leiter von sowhat, dem Kompetenzzentrum für Menschen mit Essstörungen in Wien. “Jene, die schon vor der Erkrankung viel im Netz unterwegs waren und Inhalte konsumiert haben, sind nun mehr gefährdet als jene, die da nicht so bewandert sind.” Er könne es zwar nicht genau an Zahlen festmachen, ob sich mehr Jugendliche seit der Pandemie gemeldet hätten, aber eines sei ihm schon aufgefallen: “Durch den Stress und die Belastung werden mehr PatientInnen rückfällig. Das passiert normalerweise nicht so schnell.” Das habe aber nicht nur mit den veränderten Lebensumständen oder anderer Tagesstruktur zu tun: “Junge Erwachsene, die alleine leben und keinen regelmäßigen Kontakt zu FreundInnen haben, leiden besonders darunter. Und wenden sich verstärkt einer Peer-Group auf Social-Media-Kanälen zu”, meint Argeny. Im Endeffekt gäbe es zwar einen Zusammenhang zwischen den Inhalten auf TikTok, Instagram & Co. und psychischen Problemen, aber sie würden die Vorbelastung und die pathologische Neigung nur verstärken.

Der Freundeskreis wirkt korrigierend
Was wirklich zu einer Entlastung führen könnte, ist, den Jugendlichen wieder einen Kontakt mit ihrem Freundeskreis zu ermöglichen. “Wenn der stabil und gesund ist, wirkt das auf Betroffene wie ein gutes Korrektiv. Fällt dies weg, kippen sie völlig in diese Blase der Scheinwelt der sozialen Medien. Bei PatientInnen, die ihre Krankheit leugnen, ist das besonders schlimm. Das unmittelbare Umfeld kann ja direkt nachfragen oder auf bestimmte Verhaltensweisen aufmerksam machen”, so Argeny über die korrigierende Wirkung der natürlichen Peer-Groups. Die lange Zeit ohne echten Kontakt zu den eigenen FreundInnen könne jedoch massiven Schaden stiften, vor allem, wenn Jugendliche sich dann den anonymen Peer-Groups im Netz zuwenden.
Eine Abstinenz von Social Media sei auf jeden Fall nicht die richtige Lösung für das Problem. In diesem Punkt sind sich alle drei Experten einig. “Man muss mit Kindern und Jugendlichen im Gespräch bleiben, welche Inhalte sie konsumieren und darüber reden. Und Eltern müssen sich bewusst machen, dass sie Vorbilder sind. Wenn also Kinder aufwachsen und sehen, welche Rolle das Smartphone für die Eltern spielt, dann wird man von Kindern und Jugendlichen nicht fordern können, dass sie sich anders verhalten”, erklärt Klinikleiter Plener.