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Stress und Schuldgefühle lassen uns früher altern - aber so werden wir sie endlich wirklich los!

Immer wenn wir etwas nicht akzeptieren wollen, entsteht Stress. "Flucht- und Kampfhormone" sollen bei der Problemlösung helfen. Doch was in der Steinzeit funktionierte, belastet heute chronisch unsere Nerven. Wir verraten, wie man sich gezielt selbst beruhigt.

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Endlich weniger Stress
© hobo_018

Alarm, Alarm! Säbelzahntiger im Anmarsch. Blitzschnelle Entscheidung: kämpfen, fliehen oder erstarren. Ja, für unsere Kolleginnen und Kollegen in der Steinzeit war es noch einfach: klare Bedrohung, eindeutige Reaktion. Fall erledigt, so oder so. Anders heutzutage. Da haben wir es vor allem mit emotionalen Bedrohungen zu tun - mit kontraproduktiven Gefühlen wie Ablehnung, Ungeduld, Schuld und Scham, die oft unbewusst ablaufen. Unser Stresssystem kann zwischen physischer und psychischer Attacke nicht unterscheiden und bimmelt bei seelischen Belastungen genauso wild mit den Alarmglocken.

Endlich den Stress loswerden

"Nur ergibt das hier absolut keinen Sinn", weiß Michaele Kundermann. "Denn weglaufen, kämpfen oder erstarren nützt nichts. Die Anspannung führt zu keiner Lösung. Sie bleibt im Körper hängen und bringt unser Nervensystem immer mehr zum Flattern." Kundermann ist Therapeutin und Expertin für die "Psychologie der Emotionen". Um die "Kunst der Selbstberuhigung" geht es in ihrem neuen Buch "Emotionale Stresskompetenz"(Goldegg, € 22,-). Sich darin zu üben, sollte das beste Geschenk sein, das man sich selbst machen kann.

SO IST ES EBEN. Selbstgemacht sind jedenfalls häufig die Probleme: "Immer wenn wir etwas nicht akzeptieren, erzeugen wir emotionalen Widerstand, das Abgelehnte wird zur Bedrohung. Und schon kommt die Stressfeuerwehr mit ihren mächtigen Helferlingen, den Hormonen Adrenalin und Cortisol", so die Expertin. Beispiele gefällig? Der Chef legt dir zu deinem Haufen an Akten noch einen Stapel dazu. Du denkst: Das kann ich nicht schaffen -Stress! Oder: Du hast endlich mal deine Schulfreundinnen eingeladen, aber die Wohnung schaut nicht so perfekt aus - Stress! Oder: Oh nein! Die Waschmaschine hat das Bad überschwemmt. Ich kann nicht mehr! Megastress! Und was nützt die Aufregung? Gar nichts.

Wiederhole immer wieder den Satz: "Das ist gut!"

Am besten also, so Kundermann, erst gar keinen inneren Alarm auslösen. Die Gegebenheiten annehmen nach der Methode des sogenannten "Stress-Umkehr-Codes". Programmiere dir den Satz ein: "Das ist gut!" Ja, genau. Den sage mehrmals zu dir selbst, egal ob der Steuerbescheid gekommen ist, dein Hund den Biedermeiertisch zerlegt hat oder dein Partner dich nervt. Dann wird das Ärger-System erst gar nicht hochgefahren, man bleibt ruhig und zuversichtlich. Und kann sich in aller Coolness überlegen, wie man reagiert.

Außerdem: Wer weiß schon, welch verborgener Segen hinter frustigen Situationen steckt? Was wollen sie uns lehren? Auf welche Verbesserungsmöglichkeiten aufmerksam machen? Beim Steuerbescheid vielleicht schwierig zu erkennen, aber im Fall vom schlimmen Hund: Du kannst vielleicht keine Grenzen setzen, nicht nein sagen und so weiter. Womöglich lernst du aber auch beim Kauf eines neuen Tisches die Liebe deines Lebens kennen.

Und noch öfter: "Ich mag mich!"

Dazu hat Michaele Kundermann gleich noch einen hilfreichen Quickie. Den Satz: "Ich mag mich!" Den sagst du zu dir, wenn du im Chaos unterzugehen drohst. Oder immer wieder mal einfach so. Aber schon mit Gefühl, bitte!

BESTER MODUS: SCHAUN WIR MAL! Gib auch weiteren Wahrheiten die Ehre, indem du dir selbst bestätigst: "Ich gebe mein Bestes. Je nachdem, was mein Bestes gerade ist." Und wenn dir ein kleines Teufelchen nur irgendwas von "perfekt sein" einflüstern möchte, verscheuche es sofort. Perfektion gehört zu den drei Favoriten, die einen direkten Draht zum Panik-Modus haben. Die weiteren beiden, laut Expertin: "sich mit anderen vergleichen und Verantwortung für andere übernehmen".

Der erste Stress-Trigger entsteht, weil wir zu hohe Ansprüche an uns selbst stellen, der zweite, weil wir im Vergleich immer etwas finden, um uns schlecht oder unzufrieden zu fühlen. Und beim dritten übernehmen wir Verantwortung für andere, die denen selbst gehört. Das macht keinen Spaß und belastet. Zolle dir lieber selbst Anerkennung für das, was du alles leistest. "Wir denken immer, diese kann nur von außen kommen, und sind, wenn sie ausbleibt, gestresst", so Kundermann. Schalte, auch wenn das Programm noch so dicht ist, in den Modus: "Schaun wir mal!"

"Akzeptiere von vornherein, dass du nicht alles schaffen wirst und nicht alles so laufen wird, wie du es dir vorgestellt hast." Aber bleibe neugierig darauf, wie es sich entwickeln wird. Neugier ist eine spannende Emotion, weil sie uns positiv antreibt. "Wenn du aber dramatisierst und ablehnst, was du nicht schaffst, fühlst sich dein emotionales System sofort bedroht."

Endlich weniger Stress

Fehler sind kein Drama, sondern eine Erfahrung

FEHLER ZUZUGEBEN, IST BEFREIEND. Sich selber zu kritisieren und zu verurteilen, ist überhaupt ziemlich destruktiv. "Wir machen das oft nur, weil wir Angst haben, dass andere uns kritisieren könnten. Wir meinen fälschlicherweise, wenn wir denen zuvorkommen, tut es nicht so weh." Teste doch mal, wie es sich anfühlt, wenn bereit bist, dich selber anzunehmen. In deiner Nichtperfektion, in deiner Art, das Leben zu gestalten, Dinge rauszufinden, zu erforschen. "Keiner hatte nach der Geburt einen Zettel mit einer Gebrauchsanleitung, wie man das Leben am besten meistert, neben sich liegen."

Betrachte Fehler nach dem Motto: Umwege erhöhen die Ortskenntnis! "Es ist enorm befreiend und dient der Selbstberuhigung, wenn wir einen Fehler zugeben - und anerkennen können, dass wir in der damals besten Absicht und Einsicht gehandelt haben." Und überlege mal ganz nüchtern, was es dir bringt, täglich aufs Neue in Rage zu geraten, weil dein Kollege sich so und so verhält. "Ärger ist, wenn man sich selbst bestraft für die Fehler von anderen", zitiert Kundermann ein passendes Sprichwort. "Die Stresshormone laufen ja durch deinen Körper."

»Schuldgefühle sind ein besonderes Kaliber. Stets unproduktiv, beunruhigend und ungesund. In der Vergangenheit kann man nichts ändern.«

Trotzdem sollte man alles daransetzen, aus der belastenden Situation rauszugehen. Im Fall des nervigen Kollegen: ein Gespräch suchen, sich in eine andere Abteilung versetzen lassen und Ähnliches. "Hilfreich ist oft, erst mal auf Distanz zu gehen und zu beobachten, was genau der Kollege in einem auslöst!" Findet man sich in einer emotionalen Stressreaktion, wär's gut zu ergründen: Wodurch sehe ich mich gerade bedroht? Was steckt hinter hochkommenden Gefühlen? Wut zum Beispiel entsteht aus Ohnmacht. Aber warum fühle ich mich hilflos und was kann ich ändern? Hinter dem Stressfaktor Ungeduld wiederum steht die Angst, ich könnte etwas nicht schaffen oder nicht bekommen. Schuldgefühle sind ein besonderes Kaliber. Stets unproduktiv, beunruhigend und ungesund. In der Vergangenheit kann man nichts ändern."

Wenn dir im Nachhinein etwas leidtut, übernimm Verantwortung dafür, korrigiere dich gegenüber anderen und lass diese das wissen. Das Leben verlangt nicht, dass wir keine Fehler machen. Es möchte nur, dass wir Erfahrungen machen und daraus Bewusstsein gewinnen."

STRESS RAUBT KRAFT. Manche haben, durch schmerzliche, unverdaute Erlebnisse aus der Kindheit oder besonders viele Belastungen, einen höheren Grundlevel an Stress. "Da wäre es sehr hilfreich, diese emotionalen Altlasten nach und nach aufzulösen." Michaele Kundermanns Hörbuch "Free your heart for success" soll dabei helfen. Um schwere Verletzungen zu heilen, empfiehlt sich professionelle Begleitung.

Kurze Anspannung, dann wieder loslassen. Das funktioniert. Für Daueranspannung sind wir nicht gemacht. Das physikalische Stromgesetz, U=RxI, lässt sich auch auf Stress anwenden. Je größer der Widerstand (R), desto größer die Spannung (U), desto geringer der Energiefluss (Stromstärke I)."Ein ständig angespanntes Nervensystem raubt uns viel Energie, macht uns weniger belastbar, lässt uns früher altern und ist Ursache vieler Krankheiten."

ENERGIE FOLGT AUFMERKSAMKEIT. Daher ist es wichtig, auch ein bisschen auf seine Gedanken zu achten. Denn alles bekommt Bedeutung in unserem Leben, auf das wir unsere Aufmerksamkeit lenken. Wir haben im Gehirn einen Pförtner sitzen, den Thalamus. Der lässt von den 20 Millionen Reizen, die unsere Sinne pro Sekunde liefern, nur eine kleine Auswahl ins Bewusste durch. Nach welchen Kriterien? "Er registriert, was wir denken, fühlen, tun und sagen, und schließt daraus, was uns wichtig ist. Wenn wir also morgens aufwachen und sorgenvoll definieren, dass das bestimmt ein schwieriger Tag wird, uns die Arbeit überfordern und die Menschen nerven werden, denkt der Thalamus, dass uns das wichtig ist. Er öffnet die Eingangstore in unser Bewusstsein für alle Wahrnehmungen, die dieser Idee entsprechen." Glücklicherweise verhält er sich genauso, wenn wir positive Erwartungen an den Tag richten. Also, wofür entscheidest du dich?