Nie wurde das einfache "Alles wird gut" mehr überstrapaziert als in den letzten Monaten. Die drei Worte dienten als Hoffnungsschimmer, als Motivation.
Fakt ist aber, dass diese Pandemie so schnell nicht verschwinden wird. Auch, wenn mittlerweile die ersten Vakzine verimpft wurden, wird eine Impfung nicht ändern, was wir in den letzten neun oder mehr Monaten erlebt haben.
In Österreich starben bisher knappe 6.500 Menschen am Coronavirus. FreundInnen und Familie haben ihren Job und damit ihren Lebensunterhalt verloren. Die Wirtschaft ist in Schieflage. Mängel in unserem Gesundheitssystem werden deutlich und jeder und jede versucht, sich aufs Beste darauf vorzubereiten, was uns im Zuge dieses lebensverändernden Virus als Nächstes erwartet...
2021 wird anders. Das ist klar. Aber kann man es mit dem Positivdenken auch übertreiben? Die Redakteurinnen Anna und Sabrina sind sich da nicht ganz einig:
Ist dieses ständige Positivdenken nur nervig oder sogar gefährlich?

Pro: Sabrina lässt das Prinzip Hoffnung hochleben
Hier könnte ein Vortrag stehen, wie wichtig es ist, positiv zu denken. Die Wahrheit ist: Ihr werdet tagtäglich auf Instagram mit Deep-Quotes überflutet, wagt es nicht, zu viel zu "Sudern" und versucht, aus dem Corona-Gedankenkarussell selbst herauszukommen. Ich sage: Gut so. Denn während wir versuchen uns "zusammenzureißen", tricksen wir unser Gehirn ein bisschen aus. Denn wie schon Vera Birkenbihl in ihrem berühmten Vortrag über die physiologischen Vorteile des Lachens erläuterte, hilft uns auch ein Fake-Lächeln. Einfach mal die Mundwinkel drei Minuten lang hochziehen und die Glückshormone fließen lassen, obwohl alles gerade aussichtslos erscheint, lautet die Devise.
Und jetzt kommt das große ABER: Auch wenn wir grinsend im Büro-Klo sitzen, obwohl uns gerade zum Heulen zumute ist, haben wir ein Recht auf unsere Gefühle. Der Arbeitskollegin mal das Herz ausschütten, die Mama weinend anrufen ... all das ist natürlich mehr als okay. So wie ich es sehe, ist das richtige Maß entscheidend. Denn auch so ein Gespräch kann mit einem "Auch das geht vorbei" abgeschlossen werden. Das trifft es ziemlich gut, denn auch wenn die ersten Impfungen nicht bedeuten, dass das alles nie passiert ist und wir von heute auf morgen zur Normalität zurückkehren können, markieren sie doch den Anfang von einem absehbarem Ende dieser Pandemie.
Ob wir danach dieselben sein und unbeschadet da rauskommen werden? Lasst es mich so sagen: Niemand ist symptomfrei. Mental haben uns die letzten Monate ziemlich gefordert. Die Corona-Krise hat Spuren hinterlassen. Lasst sie uns zum Anlass nehmen, um stärker aus diesem Abschnitt hinauszugehen. Wissend, dass es auch schlechte Zeiten geben kann; dass es okay ist, deprimiert und antriebslos auf der Couch zu liegen; aber auch, dass bessere Zeiten kommen können (und bestimmt kommen werden).
Es wäre ziemlich kurzsichtig von mir zu behaupten: "Lasst uns doch das Positive an diesem ganzen Dilemma sehen." Aber nehmen wir doch noch das letzte bisschen Kraft zusammen für ein bisschen Hoffnung. Vielleicht hilft es euch, die Deep-Quote auf den Kühlschrank zu kleben. Manche haben die Corona-Zeit vielleicht zum Anlass genommen, um etwas zu verändern. Es geht letzten Endes darum, die richtigen Strategien zur Bewältigung dieser Krise zu finden. Ich denke, diese zu finden, ist ein Prozess, der uns ein Leben lang begleitet. Ganz allgemein sollten wir uns vor Augen halten, dass unsere ganze Energie dorthin fließt, wo unser Fokus liegt. Sehen wir also das Negative, wird sich dieser Bereich automatisch vergrößern.
Die alten Trampelpfade in unserem Gehirn zu umgehen und von heute auf morgen ein positiver Mensch zu werden, ist unmöglich. Euren Neujahrsvorsatz, ein bisschen optimistischer zu werden, bedeutet eigentlich hartes, mentales Training. Aber auch wenn es manchmal anstrengend ist: Das positive – oder nennen wir es "hoffnungsvolle" – Denken hat durchaus etwas für sich. Es hält uns zusammen.

Contra: Anna findet, dass man die Dinge ruhig mal beim Namen nennen sollte
Auch für den Fall, dass ich dafür für eine wahnsinnige Miesepetra gehalten werde, entgegne ich dem ein dickes, fettes "Trotzdem". Es ist eben nicht immer alles Friede, Freude, Eierkuchen. Schon gar nicht, wenn wiederholt Negatives ignoriert wird... Seit März letzten Jahres wird uns immer wieder gesagt, dass alles gut wird, dass wir uns doch auf das Schöne konzentrieren sollen und dass wir es garantiert durch diese schwere Zeit schaffen werden. Eh. Aber das stimmt so nun mal einfach nicht. Trotz all der Hoffnung: Wir werden es nicht alle wohlbehalten durch diese Krise schaffen. Das zeigen nicht nur die Todeszahlen ganz klar. Sondern auch die massiven Auswirkungen auf unsere psychische Gesundheit - und die Wirtschaft.
Versteht mich nicht falsch. Das heißt natürlich nicht, dass wir uns nicht weiter an jedem schönen, guten, noch so unvollkommenen Strohhalm festhalten sollen, der in dieser irren Zeit Trost spendet. Dass wir uns nicht auf ein Leben nach COVID-19 freuen sollen - wann auch immer das sein mag.
Mir ist die toxische Positivität ein Dorn im Auge. Auf Social Media begegnet uns eine Flut an Beiträgen, die uns nahelegen, den dritten Lockdown um noch ein Eitzerl produktiver zu gestalten, uns weiterzubilden, zu sporteln – und das alles mit einem Lächeln auf den Lippen. Nur geht jeder Mensch unterschiedlich mit Stress, Angst und Verlust um. Die ständige Promotion der "Positive Vibes" setzt unter Druck. In einer Zeit, in denen viele schon daran scheitern, sich irgendwie durch den Tag zu wurschteln. Und so verwandelt sich der eigentlich so gut gemeinte Optimismus an irgendeinem Punkt in Verleugnung.
Manche Tage sind schwerer als andere. Das müssen wir akzeptieren. Ohne noch mehr Druck auf uns auszuüben. Es ist OK, in manchen Situationen einfach nicht mehr weiterzuwissen, es ist OK, sich das ganze Wochenende auf die Couch zu verziehen, weil alles zu viel wird. Negative Emotionen gehören zum Leben dazu. Wenn wir unsere Probleme immer weiter unter den Teppich kehren, stolpern wir am Ende drüber.
Meine Aufforderung: Weg von all den "Alles wird gut"-Plattitüden, hin zu *wahrer* Hoffnung, indem wir das Richtige für uns und Andere tun. Lasst uns wieder daran denken, dass Social Distancing und Maskentragen altruistisch, ja ein Akt von Liebe sein können. Ja. All die Maßnahmen treiben uns mehr und mehr in die Einsamkeit. Ja. Sie sind hart. Unbequem und langweilig sogar. Aber indem wir weiter gut aufeinander schauen und aufpassen, um gemeinsam durch diese Pandemie zu kommen, halten wir die wahre Hoffnung und Positivität hoch. Also irgendwie dann doch: Alles wird gut.