Die siebente Woche des dritten Lockdowns ist angebrochen. Viele fühlen sich erschöpft, ausgelaugt und urlaubsreif – gefühlt nahm der Arbeitsalltag noch nie so viel Raum in unserem Leben ein wie jetzt. Es gibt nur wenige Aktivitäten, die uns aus dem grauen Trott reißen – das Freizeitangebot fehlt fast zur Gänze. Einige haben sich deshalb vorgenommen, ihre Urlaubstage aufzusparen und die nächsten Wochen durchzuarbeiten. Aber bräuchten wir nicht eigentlich eine Pause? Auch wenn wir nur Zuhause sitzen? "Definitiv ja", meint Urlaubsforscher und Psychologe Gerhard Blasche von der MedUni Wien. "Ermüdung sollte sich nie summieren – je höher der Stresspegel, desto mühsamer ist es, ihn wieder abzutragen", so der Experte.
Warum Urlaub jetzt nicht "verschwendet" ist
Urlaub zuhause ist gerade für viele doppelt schwierig: Die eigene Wohnung wurde für manche zum Arbeitsplatz und das Ausüben der Hobbys muss warten. Die psychische Belastung steigt.
Deshalb sind Erholungspausen gerade im Lockdown wichtig, meint der Experte: "Der Stress, den die Corona-Krise auslöst, kommt zum 'normalen' Arbeitsalltag hinzu. Gleichzeitig sind unsere Erholungsmöglichkeiten stark eingeschränkt. Das alles führt zur Erschöpfung." Abends und am Wochenende abzuschalten fällt uns momentan immer schwerer. Denn auch die soziale Komponente fehlt: Ein Kaffee mit der Freundin ist derzeit einfach nicht drin. "Wir können unseren Bedürfnissen nicht im gewohnten Maß nachgehen. Viele sind deshalb ausgelaugt und brauchen eine Auszeit", so der Urlaubsforscher. Können wir unsere Hobbys nicht ausüben, bleibt der Erholungseffekt aus. Umso wichtiger ist es, die Urlaubsplanung im Lockdown strukturiert anzugehen und den eigenen Vorlieben nachzugehen so gut es geht.
Wie ein Urlaub im Lockdown richtig erholsam wird
Bei diesem Satz kommt zunächst Widerwillen auf: Wie kann man sich erholen, wenn man weder FreundInnen treffen, noch auf Urlaub fahren darf? "Man sollte sich ein fixes Freizeitprogramm vornehmen – Aktivitäten, die uns ablenken und Freude bereiten sind besonders erholsam", weiß Blasche. Schon ein kurzer Ausflug kann uns dabei helfen, richtig abzuschalten. "Wichtig ist, etwas zu entdecken und neue Eindrücke zu sammeln. Auch ein neues Rezept oder ein spannendes Buch kann den gewünschten Effekt erzielen. Man darf ruhig experimentierfreudig sein", rät der Experte. Tätigkeiten, für die man sich sonst nie Zeit nehmen würde, können uns in eine positive Stimmung versetzen: Zum Beispiel sich für einen Tag die alte Musiksammlung vorzunehmen, zu nähen oder zu basteln. "Man schafft dadurch geistige Ruhe und Erfolgserlebnisse." Das Erleben von Selbstbestimmung trägt zum Ermüdungsabbau erheblich bei.
Wichtig sei zudem, sich auch mal eine Pause von den Corona-Nachrichten zu gönnen.

Richtig Abschalten
Wenn die Gedanken nicht gerade um die Arbeit kreisen, sind wir oftmals mit dem Haushalt abgelenkt. Ein Urlaubstag geht dabei gerne mal flöten ... Gerade deshalb ist die Planung der freien Zeit so wichtig. Ein Tag mit Erledigungen zu verbringen ist völlig okay. Aber danach geht es wieder an die Entspannung.
In einem ersten Schritt, solle man versuchen, sich zu "entkoppeln", meint Blasche: Einzelne Chats stummzuschalten und das Mailprogramm zu beenden, kann so hilfreich sein, wie den Laptop in ein anderes Zimmer zu stellen: "Achte darauf, nicht an die Arbeit erinnert zu werden und die Erholung nicht zu unterbrechen. Man muss mit gutem Gefühl sagen können: 'Jetzt beginnt meine Zeit und ich kann jetzt nicht mehr gestört werden.'“ Eine kurze Nachricht einer Kollegin, kann den Erholungseffekt also ziemlich durcheinanderbringen. "Je mehr es gelingt, Störungen zu unterbinden, desto besser klappt es auch mit der Entspannung."
Aber kann man Faulsein eigentlich lernen? "Man muss es tatsächlich üben. Oft lassen wir uns von Verpflichtungen zu sehr ablenken. Aber wenn wir es schaffen, den Kopf frei zu bekommen und kein schlechtes Gewissen zu haben, können wir richtig entspannen und 'faul sein'."
Learnings aus der Corona-Krise
Viele nehmen sich im Urlaub zu viel vor: Wer früher jede freie Minute mit Reisen oder Ausflügen verplant hatte, muss nun lernen, zu improvisieren. "Diese neuen Entspannungsmethoden, die uns beim Faulsein helfen, können auch nach der Corona-Krise greifen", sagt Blasche.
Ein gewisses Maß an Ablenkung durch geplante Aktivitäten ist aber notwendig, um mental zur Ruhe zu kommen – auch im Lockdown-Urlaub. Wie viele freie Tage sollte man sich nun gönnen? "Am besten plant man nur so viel Zeit ein, die man auch sinnvoll mit etwas befüllen kann, das einem richtig Spaß macht", weiß der Experte.
Die Organisation eines Urlaubs bleibt dabei so individuell wie die Menschen selbst. Körperlich Arbeitende finden vielleicht mehr Erholung bei einem spannenden Buch als jene, die ohnehin schon den ganzen Tag im Bürosessel sitzen und im Urlaub von ihrer geistigen Leistungsfähigkeit Abstand nehmen wollen. Eine Skitour kann für diese Menschen dann besonders entspannend sein. Und jene in Sozialberufen brauchen oftmals Zeit für sich alleine, um wieder Kraft zu tanken. "Wir erholen uns am besten, wenn wir komplementäre Aktivitäten in unserer Freizeit nachgehen", erklärt Blasche.
Übrigens: Häufiger ein langes Wochenende einzulegen ist erholsamer, als ein dreiwöchiger Urlaub nach vielen Monaten Arbeit. Der Effekt lässt sich nämlich nicht konservieren – allerhöchstens drei Wochen, weiß der Experte. Für Reisen solle man aber ruhig mehr Zeit einplanen. "Sie dienen unter anderem dazu, etwas Spannendes zu erleben von dem wir noch lange erzählen. Urlaube holen uns gedanklich immer wieder ein und versetzen uns in eine positive Stimmung. Reisen sind also nicht immer primär nur zur Erholung da."
Spaziergang vs. Fernsehabend - was bringt mehr?
In seinem neuen Buch "Erholung 4.0. Warum sie wichtiger ist denn je" verrät Psychologe Prof. Dr. Gerhard Blasche, warum wir Erholung gezielt in unseren Alltag einplanen sollten und was wirklich entspannend ist.