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Keine Lust auf Video-Calls? Eine Psychologin erklärt, wie du Notlügen umgehst

Ohne Videotelefonie wären wir zurzeit echt aufgeschmissen. Doch nach anfänglicher Begeisterung und Annahme jeder Einladung zum Video-Chatten, wird uns langsam klar, dass digitale Nähe auch zu viel sein kann.

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"Montag Abend: Telefonat mit den Mädels, Dienstag: Zoom-Call @Work / Yoga auf Insta-Live, Mittwoch: Oma anrufen, Donnerstag: 2. Work-Call / Eltern-Check-Up, Freitag Abend: Skype-Party, Samstag: Brunch mit der besten Freundin per Skype, Sonntag Abend: Workout auf Zoom." Na, erkennst du deinen Kalender wieder?

Folgendes Thema in Worte zu fassen, ist gar nicht so einfach. Denn es ist irgendwie absurd: Wir haben zurzeit keinen direkten Kontakt zu unserem Freundeskreis, zu den KollegInnen oder zur Familie. Video-Chats und klassische Telefonate sind die einzige Möglichkeit, füreinander da zu sein. Und dass wir überhaupt den Zugang zu solchen Möglichkeiten haben, sollte uns glücklich machen. Tut es auch!

Es ist nur so, dass es langsam ein bisschen viel wird. Man hat nicht mehr auf *jedes* Telefonat – mit oder ohne Video – Lust. Doch wie bringt man das seinen Liebsten bei, ohne ihre Gefühle zu verletzen? Früher, in der guten alten Pre-Corona-Zeit, hatte man noch Notlügen zur Verfügung. "Sorry, ich muss so lange arbeiten, ich schaffe es doch nicht." oder "Oh nein, da bin ich schon verabredet." – herrliche Ausreden, die laut Psychologin und Psychotherapeutin Katharina Smutny fast wie selbstverständlich zum Alltag gehör(t)en: "Gerade in diesen getriebenen Zeiten sparen wir Energie/Zeit ein, wo es geht. Da funktioniert es mit einer Notlüge natürlich schneller/energieeffizienter und ist auch emotional einfacher für den Sender."

Warum haben wir Angst davor, die Wahrheit zu sagen?

So unorthodox es auch klingen mag: Wir greifen ja auf Notlügen zurück, weil wir das Gegenüber nicht verletzen wollen und zwar mit der Wahrheit: "Davor haben wir Angst, weil die könnte ja die Freundschaft beenden. Also ist es zeitsparender und emotional einfacher für den Sender eine kleine Notlüge vorzuschieben.", so Smutny.

Doch in Zeiten von 24/7-Heim-Isolation gehen uns die Notlügen aus. Denn niemand ist wirklich unterwegs und länger in der Arbeit zu brauchen, klingt im Home-Office nicht ganz so eindrucksvoll wie im Real-Life. Es bleibt das Dilemma: Entweder sagt man jedem Call zu und nähert sich zähneknirschend dem sozialen Burnout oder man spricht sie aus: die Wahrheit. Laut Smutny sollte man bei der Selbstreflexion beginnen: "Was will ich, was nicht und warum genau? Zum Beispiel: Ich will eigentlich heute nicht Videotelefonieren. Könnte in der Selbstreflexion bedeuten: Ich will heute einfach nur faul sein mit mir und meine Ruhe haben, weil ich mich heute nur auf mich konzentrieren möchte und nicht auf andere. Diese Wahrheit zu reflektieren und dann auszusprechen benötigt Zeit und Energie, die man sich nehmen muss, wenn man die Notlüge vermeiden möchte. An diesem Beispiel sieht man, dass die Unlust zu telefonieren direkt beim Sender liegt und dies sollte so auch kommuniziert werden."

»Mit wem telefoniere ich momentan gerne, wer saugt mich nur aus?«

Und das könnte man laut der Expertin so formulieren: „Ich weiß, wir wollten heute telefonieren. Um ehrlich zu sein, bin ich heute einfach leidenschaftlich faul und möchte mich nur mit meinen Bedürfnissen beschäftigen. Lass uns an einem anderen Tag telefonieren, dann kann ich auch mehr auf dich eingehen.“ Natürlich kann es trotzdem sein, dass das Gegenüber enttäuscht ist. Aber die Freundschaft wird daran sicher nicht zerbrechen.

Wer aber erst gar nicht mit der Enttäuschung einer Freundin oder eines Familienmitglieds konfrontiert werden will, sollte an der Prävention arbeiten. Die Expertin empfiehlt, Präferenzen zu schaffen und maximal zwei Video-Calls pro Tag einzuplanen. Außerdem hilft auch die Frage: "Mit wem telefoniere ich momentan gerne, wer saugt mich zum Beispiel nur aus?" Und wenn eine neue Einladung reinkommt, von vornherein die Wahrheit sagen: "Gleich einen Gegenvorschlag machen: 'Ich melde mich in den nächsten Tagen, wenn ich wieder aus meiner Höhle rauskommen möchte.'"

Themen: Psychologie,
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