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Voice of Germany: Nena im Interview

Seit 30 Jahren mischt Nena die deutsche Popkultur auf und nimmt sich dabei kein Blatt vor den Mund. WOMAN traf sie zum Interview über ihr neues Album und "The Voice of Germany".


  • Nena: Der Voice of Germany-Star im Interview über ihr neues Album und Pioniergeist.

    Bild 1 von 1 © DBG Presse

Die Welt im Jahr 2012 steht mal wieder kurz vorm Untergang. Der Kapitalismus frisst seine Kinder, es gibt immer mehr Unterdrückung und Ausbeutung. Die Menschen haben Angst, und niemand weiß, wie’s weitergeht.“ - In diese von ihr so beschriebene Welt schickt Nena, 52, ihr neues Album und nennt es "Du bist gut“. Wir haben mit der Popsängerin, die mit bürgerlichem Namen Gabriele Susanne Kerner heißt, zurzeit in der TV-Castingshow "The Voice of Germany“ an der Seite von Rea Garvey , Xavier Naidoo und The Boss Hoss neue Gesangstalente coacht und schon 1983 "99 Luftballons“ in den Himmel schickte, über ihre Ansichten gesprochen …

WOMAN: Sie meinten 2009, dass Sie eine Anhängerin des indischen Philosophen Osho sind. Er wurde vergiftet, weil er seine spirituellen Erkenntnisse verbreitete. Hierzulande wird man vielleicht nicht vergiftet, aber oft schief angesehen, wenn man beschließt, nicht mit dem gängigen Strom zu schwimmen. Wie gehen Sie damit um?

Nena: Für mich steht an erster Stelle, dass ich so authentisch wie möglich lebe - mit mir selbst und im Außen. Ich will niemandem etwas vorgaukeln oder anderen erzählen, wie das Leben generell funktioniert. Jeder geht seinen individuellen Weg. Ich bin offen für die Vielfalt an Möglichkeiten, es gibt so viel zu entdecken! Ich werde mich da sicher nicht einschränken. Und um auf Osho zurückzukommen: Ich bin nicht sein Anhänger, aber ich bin durch ihn sehr inspiriert und lese gerne seine wundervollen Bücher. Aber es gibt auch noch viele andere Menschen, von denen ich lerne und mich inspirieren lasse.

WOMAN: Wie haben Sie das Tor zu sich selbst geöffnet? War Meditation der Schlüssel?

Nena: Für mich ist das ganze Leben eine Meditation. Mir geht’s nicht darum, jeden Morgen an einem bestimmten Ort die Stille zu suchen. Mein Anspruch ist, meine innere Stille in mein ganzes Leben zu integrieren.

WOMAN: Sie singen davon, dass wir alle in Mustern feststecken. Warum erstarren und resignieren Menschen lieber, als sich zu bewegen?

Nena: Weil uns die Inspiration, das Selbstbewusstsein und vor allem der Kontakt zu uns selbst fehlen. Jeder Mensch trägt ein unendliches Potenzial in sich und sollte seinem Herzen folgen. Das ist uns echt abhandengekommen. Wenn du eine Freude für andere sein willst, musst du erst Verantwortung für dich selbst übernehmen und den Zustand, in dem du dich befindest. Das kann man niemand anderem überlassen. Dieses Lied ist ein Appell an die Selbstliebe.

WOMAN: Dass der Kontakt zu uns selbst abhandengekommen ist: Ist das eine Folgewirkung der heutigen schnelllebigen Zeit und der oberflächlichen Gesellschaft?

Nena: Die Realität kreieren wir uns selbst. Jeder ist Teil dieser Gesellschaft, ein Individuum, das frei entscheiden kann, welchen Weg es wählt. Aber es stimmt schon: In dieser hektischen Welt reagieren wir oft nur und entscheiden kaum noch aus unserem Innersten heraus. Ich spreche da auch von mir. Meine Lieder sind aber nur ein Einblick in meine Welt, meine Wahrnehmung und die Sicht auf die Dinge. Sie müssen nicht für jeden stimmen.

WOMAN: Aber sie können eine hilfreiche Anleitung sein.

Nena: Das wäre sehr schön. Denn meine drei Zauberworte sind "einladen, ermutigen und inspirieren“ - das kann man auf allen Ebenen anwenden.

WOMAN: In einer Textzeile heißt es: "Ich geh schon mal voraus, ich suche schon mal das Weite!“ - es braucht also Pioniere!

Nena: Ja, und jeder darf sein eigener Pionier sein! Das ganze Menschsein ist ein Entdecken. Diese Zeilen sollen ermutigen, aus einem beengenden Raum auszusteigen. Ich will mein Leben nutzen, um zu wachsen und mich ständig zu erweitern. Da lasse ich mich nicht einschränken.

WOMAN: Es heißt weiters: "Ohne Angst und Waffen werden wir Bewusstsein schaffen. Wer die Wahrheit nicht erkennt, hat gnadenlos verschlafen.“ - Für die Träumer unter uns: Was ist die Wahrheit?

Nena: Die Wahrheit steckt oft im Unmöglichen, im Ungewohnten. Sobald wir einen gewohnten, konditionierten Pfad verlassen, glauben wir, dass ein zweiter Weg gar nicht mehr existieren kann. Dass es also keine andere Realität gibt. Deshalb wagt man den Schritt nur so selten. Weil einem meistens die Angst vor dem Ungewohnten im Weg steht.

WOMAN: Daher ist es wichtig, auf die "Stimmen zu hören, die uns leiten“. Viele finden das aber spooky!

Nena: Leute, die ihre eigene innere Stimme spooky finden, sind halt in einem anderen Prozess. Das kann ich auf jeden Fall respektieren, aber mir ist es völlig vertraut, meiner Intuition zu folgen.

WOMAN: Wann haben Sie begonnen, sich selbst zuzuhören?

Nena: Schon als Kind! Kinder sehen Engel, ohne zu werten, teilen uns mit, was sie sehen und fühlen. Sie gehen ganz natürlich mit diesen Dingen um. Ich glaube an die Wiedervereinigung der gesamten Menschheit. Wenn wir uns endlich auf das Kind in uns besinnen, ist das auf jeden Fall möglich. In meinem Lied "Schmetterling“ gibt es genau diese Zeile: "Und wir werden wieder Kinder, so wie es geschrieben steht …“

WOMAN: Was, wenn man für sich selbst folgende Fragen verneint: "Vertrage ich mich mit mir selbst? Lebe ich überhaupt noch? Bin ich wirklich der, der ich bin?“ - Ist dann Hopfen und Malz verloren?

Nena: Nein. Es gibt immer eine Tür, wo es weitergeht. Es gibt etwas, das für uns nicht sichtbar ist, aber trotzdem existent. Jeder, der mal verliebt war, weiß das. Das Gefühl des Verliebtseins können wir auch nicht anfassen, sehen, riechen. Aber es ist ja da.

WOMAN: Sie haben vier Kinder und sind auch schon Oma. Was geben Sie ihnen von Ihrer Weisheit mit?

Nena: Weise bin ich nicht (lacht). Aber als Mutter habe ich eine ganz klare Haltung. Kinder müssen den Raum haben, sich frei entfalten zu dürfen. Sie brauchen keine Grenzen, nur Liebe, Zuwendung und Begleitung. Kinder müssen an ihre eigenen Grenzen gehen dürfen und nicht an die Grenzen der Erwachsenen, sonst können sie nie ihren eigenen Weg gestalten. Als Erwachsene habe ich nicht das Recht, meine Wünsche auf mein Kind zu projizieren. Ich kann meine Ideen anbieten, bin aber nicht enttäuscht, wenn sie vom Kind nicht angenommen werden. Kinder sind eigenständige Wesen und haben ein Recht auf freie Entfaltung - frei von den Wünschen und Vorstellungen ihrer Eltern.

WOMAN: Gemeinsam mit Ihrem Partner Philipp Palm haben Sie die Neue Schule Hamburg gegründet. Was benötigen junge Leute von heute am dringendsten, um später selbständig durchs Leben zu navigieren?

Nena: Zuneigung und Achtsamkeit. Und das Gefühl, dass man sie ernst nimmt, ihnen zuhört und ihnen auf Augenhöhe begegnet. Wer sich selbst kennt, seinen Talenten und Fähigkeiten vertraut, wird sein Leben aktiv gestalten und immer nach Potenzialentfaltung streben.

Interview: Petra Klikovits