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"Wartet nicht drauf, dünn zu sein, um mit dem schönen Leben zu beginnen!"

Wem hilft es eigentlich, wenn Millionen Frauen sich nicht schön genug fühlen? Das fragt sich Aktivistin Melodie Michelberger in ihrem neuen Buch: "Body Politics". Wir haben mit der Autorin gesprochen.

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"Wartet nicht drauf, dünn zu sein, um mit dem schönen Leben zu beginnen!"
© JULIA MARIE WERNER

"Dicksein ist nichts Schlimmes. Wartet nicht darauf, dünn zu sein, um mit dem schönen Leben zu beginnen", sagt Melodie Michelberger.
Die 42-jährige ist Aktivistin, Influencerin und Gründerin der feministischen Online-Community trustthegirls.org, wo sie für Gender-Diversity, Gleichberechtigung und Selbstliebe kämpft. Jetzt hat Michelberger, die mit ihrem 12-jährigen Sohn als Alleinerzieherin in Hamburg lebt, ein Buch geschrieben: "Body Politics" (Rowohlt Verlag, € 18). Darin fragt sie sich, wem es nützt, dass sich Millionen Frauen nicht schön genug fühlen. Ein Gedankenmuster, dass sie selber nur zu gut kennt: "Ich war besessen davon, meinen Körper zu verkleinern, zu schrumpfen, zu verschlanken und zu straffen. Ich wollte Fett verbrennen, Problemzonen kaschieren – alles im Glauben, damit die beste Version meiner selbst zu werden. Aber warum? Wie entstand diese Fettfeindlichkeit, die ich gegen mich selber richtete?", erzählt Michelberger. In "Body Politics" ruft sie dazu auf, gegen das traditionelle Schönheitsbild zu rebellieren. Denn es ist Zeit für ein diverses Bild von Schönheit und die Akzeptanz verschiedener Körperformen! Ein Interview über Fettphobie, Selbstliebe und vermeintliche Schönheitsideale.


Frau Michelberger, muss man sich denn schön fühlen, um glücklich zu sein?
Michelberger: Glück ist einerseits etwas sehr Privates, wir alle haben unterschiedliche Vorstellungen davon, was es heißt glücklich zu sein. Andererseits bewegen wir uns in einer Gesellschaft, die uns ständig in Werbung und Medien zeigt, was Glück sein soll und vor allem, was ich kaufen muss, um es zu erreichen.

Wann waren Sie zuletzt durch und durch happy?
Michelberger: Bei mir ist das auch nicht jeden Tag gleich, manchmal bin ich glücklich, wenn ich mich gar nicht damit auseinandersetze, ob ich schön aussehe – zum Beispiel als ich mit meinem Sohn eine Tour auf einem Segelboot in Island gemacht habe, um Wale zu beobachten. Bei meinem Covershoot für das Buch war ich aber auch furchtbar glücklich, gerade auch weil ein Make-up-Artist mich zwei Stunden geschminkt hat.

"Wie ich mich mit meinem Körper anfreundete", steht am Buchcover. Wie sind Sie von Feinden zu Freunden geworden?
Michelberger: Mein Körper stand mir schon immer zur Seite und hat mich durch viele schwere Situationen getragen, obwohl ich alles andere als gut zu ihm war. Es ging also mehr um meine eigene Sicht. Wichtig war für mich, zu erkennen, dass wir eben nicht zwei Kontrahenten sind – auf der einen Seite ich, auf der anderen mein Körper. Ich habe nur diesen einen Körper, nur dieses eine Leben. Ich wollte es nicht mehr damit verbringen, eine unsinnige Feindschaft mit mir selber zu pflegen.

Muss man denn unbedingt "befreundet" sein oder reicht es auch, seinen Körper "egal" zu finden?
Michelberger: In einer Freundschaft muss man den anderen auch nicht jeden Tag mega-toll finden, um weiter befreundet zu sein. Ich muss mich nicht 24 Stunden selber bewundern, um grundsätzlich eine wohlwollende Haltung gegenüber mir selbst einzunehmen. Das ist für mich entscheidend: Ich will gut zu mir sein.

Wie schafft man das, wenn man in einer Welt lebt, in der der Aufruf zur Selbstliebe u.a. auch eine reine Vermarktungsstrategie ist?
Michelberger: Sich jeden Tag selbst lieben zu müssen, das ist unglaublich anstrengend, wenn dir die Welt kontinuierlich was anderes erzählt. Und das tut sie vor allem dann, wenn es darum geht, den nächsten Fit-Tea oder Ballett Barre-Kurs zu verkaufen. Natürlich haben Unternehmen sich die Sprache der Selfcare oder Selbstliebe angeeignet, einfach weil sie es als funktionierendes Marketing verstanden haben. Es ist ja auch viel anstrengender, zu akzeptieren, dass wirkliches Kümmern um mich selbst und meine Gemeinschaft mal besser und mal schlechter läuft, als einfach ein Yoga-Retreat zu buchen und zu glauben, das löst alle meine Probleme auf einen Schlag.

Wer profitiert davon, wenn sich Millionen Frauen nicht schön genug fühlen?
Michelberger: Eine ganzer Wirtschaftszweig lebt von diesen Unsicherheiten. Denn es ist nie genug, irgendwas ist immer falsch: zu dick, zu dünn, zu groß, zu klein, zu flachbusig, zu großbrüstig, zu behaart, zu faltig … Erst als ich verstanden habe, dass meine Unsicherheiten und Körperscham der Treibstoff einer riesigen Industrie sind, konnte ich mich mit meinem Körper anfreunden. Ich erkannte, welche strukturellen, fettfeindlichen Hindernisse es gibt, welche Systeme von diesen profitieren, und welche negativen Botschaften sie mir einpflanzen wollen, um ihren Profit zu steigern.

Sie schreiben: "Da bekommt man 20 Jahre lang eingetrichtert, was das Schönheitsideal ist, und dann kommt auf einmal die Dicke, die Bauch und Beine zeigt, und sagt: Ich bin schön, wie ich bin. Das finden Leute gewöhnungsbedürftig." Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Michelberger: Ein Körper wie meiner werden normalerweise nur als "Vorher"-Bild in Frauenzeitschriften oder Diätshake-Anzeigen gezeigt. Wir sehen dick_fette Körper weder in Modestrecken, die neuesten Trends vorführen, in TV-Serien oder Werbeanzeigen in einem neutralen Zusammenhang. Ich kenne keine einzige Werbung in der eine dick_fette Frau ein Produkt bewirbt, das nichts mit Diäten oder Abnehmprogrammen zu tun hat. Wir sind ständig von viele Bildern umgeben, TV-Serien, Zeitschriften, Social Media-Kanälen, Werbeplakaten, uns fällt gar nicht auf, dass die allermeisten nur dünne Körper zeigen. Oder erinnerst du dich an eine dicke Disney-Prinzessin? So ist es nicht verwunderlich, dass einige Menschen es gewöhnungsbedürftig finden, wenn sich eine dicke Frau wie ich auf einmal selbstbewusst und ohne Scham nur in Unterwäsche oder Bikini zeigt, wir kennen diese Bilder einfach nicht. Unsere Sehgewohnheiten müssen sich erst an die veränderte Perspektive gewöhnen. Das wird nicht von heute auf morgen passieren.

"Alle Körper sind schön", so das Mantra der Body-Positivity-Bewegung. Hilft uns das, um uns von Schönheitsidealen zu emanzipieren?
Michelberger: Körper müssen nicht schön sein, um wertvoll zu sein. Um nochmal weiter zu gehen: Ein Körper muss auch nicht gesund sein, um wertvoll zu sein. Denn oft verbinden wir das in unserer Wahrnehmung – ein Körper, der nicht als schön angesehen wird, wird auch oft als ungesund angesehen. Was wir als schön empfinden, scheint manchen ganz natürlich zu sein, dabei hat es sich im Verlauf der Jahrhunderte verändert und ist abhängig von gesellschaftlichen Konventionen. Es gibt keinen Konsens dazu, was schön oder auch schlank ist.

Wer auf Instagram nach #bodypositivity sucht, findet aber meistens nur weiße, schlanke, "normschöne" Frauen, die ihre Mini-Speckröllchen oder Dehnungsstreifen zeigen ...
Michelberger: Es ist natürlich tragisch, das selbst schlanke Frauen unter der Idee leiden, nicht perfekt zu sein. Aber eigentlich ging es mal darum, dick_fetten Menschen Räume zu eröffnen. Klar, Dehnungsstreifen werden auch an dünnen Personen nicht als schön wahrgenommen, aber diese Personen haben dennoch keine Probleme mit der Länge des Gurtes im Flugzeug, mit beleidigenden Sprüchen auf der Straße, damit, einen Job zu finden, oder mit unzureichenden Untersuchungen beim Arzt, weil alles immer auf das "Übergewicht" geschoben wird. Es ist schade, dass der Begriff so unkritisch von vielen "normschönen" Personen übernommen wurde, um sich selber zu feiern, ohne sich über die Hintergründe zu informieren.

Plus Size, curvy, weiblich, rundlich: Alles, bloß nicht dick: Das Wort dick ist noch immer negativ besetzt. Sie haben sich das Wort zurückerobert und beschreiben sich selber auffallend oft als dick. Wie funktioniert das?
Michelberger: Weil das Wort eben so negativ aufgeladen ist, ist es wichtig, dass es eine Selbstbezeichnung bleibt. Ich würde nie einfach so eine andere Person als dick_fett beschreiben. In der Tat ist es ja auch so gut wie nie notwendig, die Körperform von anderen zu benennen. Die meisten verwenden "dick" oder "fett" nur als Beleidigung, deswegen fällt es auf, wenn ich es neutral, einfach nur als Beschreibung für mich selber, benutze. Wer sagt schon "Ich fühl mich heute fett" oder "Seh ich in dem Kleid dick aus?" und meint damit "toll" oder "schön". Es ist anstrengend, dass alle Worte für meine Körperform negativ besetzt sind. Ich will einfach sagen können, ich bin dick, und gut ist.

Woher kommt die Fettphobie in unserer Gesellschaft?
Michelberger: Wir alle wachsen hier mit einem fettfeindlichen Blick auf die Welt auf, so werden wir geprägt und es ist nicht nur schwer, den abzubauen, es fällt vielen sogar sehr schwer, das als Tatsache zu akzeptieren. Der Glaube, dass Körperfett etwas ist, das unter allen Umständen vermieden werden muss, weil es ein Zeichen für Versagen ist, vernebelt uns leider die Sicht auf die Welt. Welche verheerende Konsequenzen das hat, ignorieren sie.

Wo ziehen Sie die Grenze zwischen Self Love und Gesundheitsrisiko? Kritische Stimmen behaupten ja, dass Fat Activists Übergewicht als bedrohliche Volkskrankheit verharmlosen. Was halten Sie dem entgegen?
Michelberger: So vieles! Das, was wir als "Übergewicht" bezeichnen, ist gar nicht so eindeutig, wie viele annehmen. Die Tabellen, nach denen wir Übergewicht bestimmen, sind oft veraltet oder waren nie wirklich brauchbar (der BMI zum Beispiel). Bei der Beurteilung des gesundheitlichen Zustands von dick_fetten Menschen ist auf einmal jeder befähigt, ärztliche Urteile zu fällen. Aber es ist so schön einfach, anhand dieses äußerlichen Merkmals ein Feindbild zu konstruieren.

Sie zeigen sich auf Instagram sehr selbstbewusst und stark. Wofür ernten Sie am meisten Kritik? Und wie gehen Sie damit um?
Michelberger: Fettfeindliche Kommentare gehen mir durchaus nahe, deswegen setze ich mich ihnen so wenig es geht aus. Auch im Sinne meiner mentalen Gesundheit muss ich streng sein, was ich mir wann zumute. Die meisten Kommentare wiederholen sich, da geht es immer wieder um Vorwürfe, ich würde einen "ungesunden Lebensstil" propagieren oder wäre halt einfach nur faul.

Ein Blick in die Zukunft: Kann es eine Gesellschaft geben, die alle Body-Types toleriert oder sogar zelebriert?
Michelberger: Ich wünsche mir wirklich so sehr, dass wir bereits in der nahen Zukunft in einer Gesellschaft leben werden, in der alle Menschen ohne Diskriminierung, ohne Abwertung, ohne Verurteilung und ohne Bodyshaming leben können. Jeder Körper ist wertvoll, egal wie er aussieht.

Themen: Feminismus,
WOMAN Community

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