Volle Lippen, große Augen, breite Wangenknochen – eine Schönheit. Doch für den analytischen, geometrisch-handwerklichen Blick eines Schönheitschirurgen ist auch dieses annähernd perfekte Gesicht fast schon so etwas eine Baustelle.
Was ist schön? Wie definieren wir Perfektion? Ist das Perfekte dann auch automatisch schön? Und was bedeutet es für unser Verständnis von Schönheit, unser Streben danach und letztlich auch unser Selbstwertgefühl, wenn selbst atemberaubende Frauen nicht den Idealen entsprechen?
Wenn man auch ihr Gesicht mit Botox-Unterspritzungen, Straffungen und Fillern noch optimieren könnte? Aber auch: Sollen wir Beauty-Eingriffe scharf kritisieren – oder uns lieber freuen, das Schönheit mittlerweile für fast jederman leistbar wird?
Diese Fragen wirft die verstörende Fotoserie "Mask of Perfection" des gebürtigen Frankfurters Marc Erwin Babej auf. Marc, der in New York als Marketing-Stratege und Fotograf arbeitet, illustriert darauf gemeinsam mit der plastischen Chirurgin Maria LoTempio den Unterschied zwischen natürlicher Schönheit und den durch Markierungen verdeutlichten "Makeln", auf deren Korrektur das Auge eines Schönheits-Chirurgen geschult ist.
Wir haben mit ihm gesprochen.

WOMAN:
Wie kam es zu dieser ungewöhnlichen Fotoserie?
Marc Erwin Babej:
Ich hatte ein Shooting mit einem wunderschönen Model. Als ich mit meiner Freundin Maria, die als plastische Chirurgin arbeitet, telefonierte, fragte ich sie spontan, wie ihre Einschätzung dieser Schönheit sei. Während der Diskussion stellten wir etwas fest: Unter "normalen" Menschen herrscht oft ein breiter Konsens, was als schön empfunden wird. Allerdings können die wenigsten auf den Punkt bringen, warum eine Person attraktiv ist. Schönheitschirurgen wie Maria können das sehr wohl. Für sie ist es etwa der Abstand der Nase zum Beginn der Oberlippe, das symmetrische Verhältnis der einzelnen Gesichtspartien zueinander...So entstand die Idee für "Mask of Perfection"
: Wie würde Maria mit ihrer klinisch-medizinischen Betrachtungweise eine Frau "markieren", bei der jeder Andere überzeugt ist, dass sie eine Schönheit ist?

WOMAN:
Ich stelle es mir sehr schwer vor, Models für diese Fotoserie zu finden. Immerhin wird beinhart markiert, was an ihrem Gesicht nicht perfekt ist...
Marc:
Das war nicht schwer. Die Frauen arbeiten als Models oder Schauspielerinnen. Sie sind sich ihrer natürlichen Schönheit und attraktiven Wirkung auf das Gros der Betrachter also sehr bewusst. Außerdem waren sie von der Idee begeistert. Ein Model hat es auf den Punkt gebracht: "Niemand ist perfekt."

WOMAN:
Mich haben die Bilder irritiert. Ich dachte: Wenn ein Schönheits-Chirurg bei diesen wunderschönen Frauen noch Optimierungsbedarf sieht – dann muss ich in seinen Augen ja eine einzige Baustelle sein...
.
Marc:
Die Reaktionen auf die Fotos sind erstaunlich heftig und oft reflexartig negativ. Schönheit ist ein wenig wie Glauben. Doch die Bilder visualisieren einen ganz objektiven Schönheitsstandard. Manche Betrachter bezweifeln plötzlich ihre eigene Attraktivität. Andere agitieren gegen Schönheits-OPs. "Menschen, die sich operieren lassen, sind unsicher!". Oder: "Warum soll eine Frau mit Botox-Stirn wirklich besser aussehen?" Ich enthalte mich hier einer Meinung. Fakt ist, dass es schöne Menschen leichter haben. Sie verdienen statistisch erwiesen mehr als weniger attraktive, werden bei Beförderungen eher berücksichtigt. Schon kleine Kinder werden liebevoller behandelt, wenn sie hübsch sind. So ist unsere Gesellschaft. Kein Wunder, dass gutes Aussehen erstrebenswert ist. Die Fotos sollen nur Fragen aufwerfen und zum Nachdenken bringen.

WOMAN:
Auch wenn die Fotoserie Schönheits-Vorstellungen illustriert, würde ich sie nicht uneingeschränkt als "schön" bezeichnen...
Marc:
Das wollten wir erreichen. Auch wenn die Models fast schon glamourös im Stil der Hollywood-Diven der 40er Jahre ausgeleuchtet und fotografiert sind, kann sich der Betrachter nicht an ihrer Schönheit erfreuen, da sie durch die Markierungen verschandelt werden.

WOMAN:
Haben die Models, nachdem sie von Maria markiert wurden, darüber nachgedacht, einen Eingriff vorzunehmen?
Marc:
Nein, denn diese Frauen sind doch eigentlich perfekt. Kein seriöser Schönheits-Chirurg würde ernsthaft an ihnen herumschnippeln. Nur ein Model hat Maria gefragt, ob sie ihre Nase tatsächlich korrigieren lassen sollte...
WOMAN:
Welche Rolle spielte es, dass mit Maria eine Frau die Korrekturen an den Models markiert hat?
Marc:
Eine sehr große. Wäre ein männlicher Schönheits-Chirurg in das Projekt involviert gewesen, hätte es augenblicklich einen schalen Beigeschmack bekommen: Ein Mann, der die idealisierte Frau schnitzt... Nein. Das wäre die falsche Aussage gewesen.


“Mask of Perfection” ist ab Oktober als Edition und Einzel-Drucke in der Adamson Gallery in Washington D.C. und der Amstel Gallery in Amsterdam erhältlich. Dazu wird die Fotoserie bei der (e)merge art fair in Washington und der Pulse Art Fair in Miami Beach gezeigt.
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