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Wenn Kinder ihre Mütter verlassen

Die Beziehung zwischen Mutter und Kind ist die stärkste im Leben. Aber warum bricht sie manchmal im Erwachsenenalter ab? Und wie schafft man den Weg zurück zu einer echten Bindung? Die Wiener Psychologin Sabine Standenat kennt die Hintergründe.

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Wemm Kind Mutter verlässt
© iStockphoto.com

Kontaktabbrüche zwischen Mutter und Kind sind ein Tabuthema. Doch sie kommen häufiger vor, als man denkt", weiß Psychologin Sabine Standenat. In ihrer Wiener Praxis betreut sie regelmäßig Betroffene und geht davon aus, dass es zumindest in jeder zehnten Familie zu so einer ausweglosen Situation kommt. "Ich weiß, es wird nicht gern gehört, aber bis auf wenige Ausnahmen liegt die ,Schuld' bei der Mutter." Kinder rennen ihrer Zuneigung ewig nach. Frauen lieben ihren Nachwuchs hingegen nicht immer: "Es gibt ,geborene Mütter', einige, die durch das Baby Muttergefühle entwickeln, und solche, die das leider nie schaffen. Das soll aber nicht heißen, dass nur gefühlsarme Frauen betroffen sind."

Die Gründe für einen Bindungsabbruch sind vielfältig. "Häufig ist der finale Cut die Folge jahrelanger zwischenmenschlicher Differenzen, emotionaler Kälte und einer Beziehung, die nicht auf Augenhöhe stattfand", sagt die Expertin. Nicht selten haben die Eltern den Vater trifft dieser Abbruch meist gleichzeitig -den Sprung ihrer Sprösslinge vom Kind zum Erwachsenen verpasst. Sie halten an alten Hierarchie-Mustern fest, mit Bevormundung und fehlender Anerkennung. Die Nachkommen möchten ihren Weg aber unkommentiert gehen. "Ein großes Problem ist leider die mangelnde Reflexionsfähigkeit auf beiden Seiten", erklärt die Familientherapeutin.

»90 Prozent verstehen überhaupt nicht, was passiert ist und wie es so weit kommen konnte«

DER ABBRUCH IST ABSEHBAR. Kommt es letztendlich zur Trennung, trifft das einen Großteil der verlassenen Mütter oder Eltern unvorbereitet. "90 Prozent verstehen überhaupt nicht, was passiert ist und wie es so weit kommen konnte", so Standenat. Vor allem dann, wenn eines von mehreren Geschwistern den Kontakt beendet. Standenat überrascht das nicht: "Kinder, die in einer Familie aufwachsen, haben nie dieselbe Kindheit erlebt. Auch wenn es den Anschein hat. Eine Mutter hat zum Beispiel zu einer Tochter ein vollkommen anderes Verhältnis als zu einem Sohn. Das kann gut oder weniger gut sein." Eines steht fest: Bei Kindern schafft der Bruch eine Lücke, die nicht geschlossen werden kann. "Das endgültige Kappen der ,Nabelschnur' stellt für sie einen enormen Verlust an Geborgenheit und Schutz dar", ist sich Standenat sicher. "Bei den Müttern sehe ich interessanterweise im Vergleich relativ wenig Verzweiflung. Sie kämpfen mit Groll, Resignation oder Verbitterung."

OFT FEHLT DIE EINSICHT. Die Expertin versucht ihren Klienten dann klarzumachen, dass bei der Tochter oder dem Sohn eine massive Verletzung passiert ist. Erst wenn es beiden Seiten gelingt, sich wirklich ernsthaft und aus tiefem Herzen mit dem Konflikt auseinanderzusetzen, kann Heilung stattfinden. "Leider geschieht das extrem selten. Die meisten bleiben stur. Dann heißt es: ,Das bildest du dir nur ein, das war doch gar nicht so.' Oder: ,Kannst du die alten Geschichten nicht endlich ruhen lassen?'"

Was kann ich tun, um wieder ein normales Verhältnis aufzubauen?

Standenat empfiehlt Müttern, ihr Kind nicht mit Telefonanrufen, via WhatsApp oder SMS zu bombardieren. "Das sind oft unüberlegte Nachrichten, die aus der Emotion entstehen. Besser in Ruhe einen Brief oder eine e-Mail schreiben. Ein Therapeut oder eine Therapeutin - als objektive Hilfe von außen - kann außerdem als Vermittlung helfen. Denn es ist bestimmt nicht so, dass die Mutter immer den bösen Part und das Kind stets den guten spielt." Auch nach langer Kontaktlosigkeit kann es so wieder zu einer neuen Beziehung kommen: "Ich habe solche Happy Ends in meiner Praxis erlebt. Dazu müssen aber beide Seiten wirklich bereit sein."

CHRISTINE BAUMER, 51, KINDERGARTENPÄDAGOGIN: Die Überfürsorglichkeit der Mutter hat die Tochter letztendlich in die Flucht getrieben.

Vor Jahren kam die letzte SMS: "Du erdrückst mich mit deiner Gluckenhaftigkeit. Ich halte dich nicht mehr aus." Mit diesen Zeilen beendet Michaela, 26, den Kontakt zu ihrer Mutter Christine. Diese versteht bis heute die Welt nicht mehr. "Ich zerbreche mir Tag und Nacht den Kopf, was ich falsch gemacht habe." Die Grazerin hat ihre Tochter allein großgezogen. "

»Natürlich war ich immer auf meine Tochter fixiert, aber das ist ihr ja nur zugute gekommen.«

"Natürlich war ich immer sehr auf sie fixiert, aber das ist ihr ja nur zugute gekommen. Ich habe mein ganzes Leben nach ihr ausgerichtet und auf alles verzichtet." Freunde und Familie haben sich mittlerweile von ihr zurückgezogen: "Mein Gejammer nervt sie." Christine gibt ihre Tochter noch nicht auf: "Sie kommt wieder. Das spüre ich. Und ich weiß, wo sie wohnt. Vielleicht klingel ich einfach einmal bei ihr.

BEATE BURGER, 60, ANGESTELLTE: Der Leistungsdruck und die Scheidung der Eltern setzten der Mutter-Kind-Beziehung stark zu.

"Von einem Tag auf den anderen war Alexander nicht mehr erreichbar. Ich bin völlig fertig, und der Schmerz ist immer da", erzählt Beate Burger vom Kontaktabbruch ihres Sohnes vor einem Jahr. Die Probleme haben allerdings schon zehn Jahre davor begonnen: "Mein Mann und ich hatten damals eine sehr schwierige Trennung mit viel Streit und Trauer. Das hat Alexander sicher sehr zugesetzt, obwohl er schon erwachsen war. Er hat sich langsam von der gesamten Familie zurückgezogen."

»Alexander hat mit 38 noch immer keinen Studienabschluss. Fragen dazu nervten ihn ungemein.«

Früher waren sie sich sehr nahe: "Er hat mir alles anvertraut." Nur ein Tabuthema gab es: "Alexander hat mit 38 noch immer nicht seinen Studienabschluss. Fragen dazu nervten ihn. Ich lasse ihn jetzt in Ruhe, aber die Tür bleibt für ihn immer offen."

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