Hast du eine Ahnung davon, wie viele Dinge du besitzt? Wie viele Stecknadeln, Haargummis, Ohrringe, Tuben und Tiegel? Was genau und wie viel davon sich in den Untiefen deiner Abstellkammer befindet? - Nein? Die meisten von uns vermutlich nicht. Eine Frau, die das ganz genau wissen wollte, ist Barbara Iweins. Die Belgierin hat dafür zwei Jahre lang täglich stundenlang alles vor ihre Linse geholt, was sie bei sich zu Hause gefunden hat. 15 Stunden pro Woche verbrachte sie damit. "Raum für Raum, Ecke für Ecke habe ich jeden Gegenstand in meinem Haus fotografiert", schreibt sie auf ihrer Website. Das Projekt nennt die Fotografin ihren persönlichen "Katalog".
10.532 porträtierte Objekte.
10.532 Fotografien zur Dokumentation ihres persönlichen Eigentums. Statistisch gesehen ist die Menge nicht ungewöhnlich: Ein durchschnittlicher Haushalt in Europa besitzt um die 10.000 Dinge, so das Ergebnis der Studie "Life at Home in the 21st Century". Anlass für Iweins außergewöhnliche Inventur war ihr elfter Umzug, erzählt sie im Interview: "Mir ist beim Packen aufgefallen, dass es mich immer wieder sehr belastet, dass ich so viele Gegenstände angesammelt habe."
Ihre Sachen zu fotografieren, sollte der dreifachen Mutter helfen, sich mit ihrem Besitz auseinanderzusetzen. "Ich wunderte mich über die Beziehung, die ich zu den Objekten habe, die mich täglich umgeben. Mein Zuhause und alle Dinge geben mir Stabilität in dieser chaotischen Welt", sagt sie. Ihr ursprüngliches Ziel: sich auf weniger zu beschränken. Das fiel Barbara Iweins offenbar noch nie leicht, beschreibt sich die Künstlerin selbst doch als "Sammlerin seit jungen Jahren". Das spiegelt sich auch in ihrem Fotoprojekt wider. Darunter findet man ein Bild ihrer ersten Armbanduhr genauso wie einer Puppe aus den Siebzigern.
Fotoprojekt als Selbstoffenbarung
"Als neurotische Sammlerin hat mir das Sortieren von Dingen schon immer große Freude bereitet", lacht Iweins. Das erklärt zumindest ein bisschen die schrullige Herangehensweise an ihr Projekt. Um einen Überblick zu bewahren, kategorisierte sie ihre Gegenstände nach Farben, Materialien, Häufigkeit ihrer Verwendung und Raumzugehörigkeit. Manche auch nach ihrem emotionalen Wert, indem sie anführte, ob sie diesen bei einem Brand mitnehmen würde. Dabei ging sie besonders akribisch vor: "Um Fehler zu vermeiden, arbeitete ich mich in jedem Raum von links nach rechts vor und erinnerte mich mithilfe von Post-its daran, welche Objekte bereits fotografiert wurden. Nach jeder Fotosession habe ich die Daten in eine Excel-Datei eingefügt."

Für die Fotografin ist dieses Projekt auch eine Art Selbstoffenbarung. Denn während Iweins ihre Kamera in all ihren früheren Projekten auf jemand anderen richtete, drehte sich die Arbeit zu "Katalog" erstmals um ihr eigenes Leben. "Es ist ein bisschen wie eine Autobiografie, alle meine Habseligkeiten der Welt zu zeigen. Dadurch gebe ich auch viel über mich preis. Das ist ein seltsames, aber befreiendes Gefühl", meint die Mutter dreier Kinder. Auch Alltagsgegenstände, Spiele und Puppen sind Teil der Sammlung.
Belastung oder Bedeutung?
Leichter trennen konnte sich die Fotografin von ihren Dingen nach dieser Reportage allerdings nicht, dabei war ja genau das der eigentliche Plan dahinter gewesen: "Im Laufe der Arbeit kamen zwei gegensätzliche Gefühle auf. Einerseits empfand ich viele meiner Besitztümer eher als Belastung, gleichzeitig gewannen die Objekte durch das Ordnen und Klassifizieren aber an Bedeutung und Schönheit." So sei sie eines Tages sogar mehrere Stunden lang von der Ästhetik einer Sirupflasche begeistert gewesen.
Selbst Dinge, die mangelhaft waren und eigentlich weggeworfen werden sollten, wie beispielsweise eine zerbrochene Christbaumkugel, durften nach dem Fotoprojekt doch wieder in Iweins Regalen bleiben: "Ich dachte, ich würde radikal aussortieren, wie Marie Kondō es macht, doch das Gegenteil war der Fall. Je nutzloser die Gegenstände sind, desto unverzichtbarer wurden sie für mich."
Nachdem Barbara Iweins zwei Jahre lang all ihre 10.532 Habseligkeiten aufgenommen hatte, fühlte sie sich aber auch auf gewisse Weise beruhigt: "Mein ganzes Leben lang habe ich mit der Angst gelebt, dass ich über Nacht alles verlieren könnte. ,Katalog' ist für mich jetzt für immer der Beweis dafür, dass diese Objekte und dieses Leben existierten." Ihr Fazit nach all dem Sortieren, Dokumentieren und Fotografieren: So viele Dinge braucht in Wirklichkeit kein Mensch. "Ich glaube, nur ein Prozent der Gegenstände, die wir besitzen, hat eine echte Bedeutung für uns", sagt sie. Zur Minimalistin wird die Belgierin wohl trotzdem nicht so schnell.