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WOMAN-Liebesroman: 4. Folge & alternative Folgen

Wie wird es mit Niko und Lina weitergehen? Bereits die vierte WOMAN-Leserin schreibt die Story weiter. Mach mit, schicke deinen Text und werde Teil unseres großen Liebesromans!


Liebesroman
© BartekSzewczyk/ iStock/ Thinkstock

Starautor Thomas Glavinic hat unseren WOMAN-Liebesroman begonnen und ließ Lina aus Wien und Niko aus Berlin einander begegnen. Er bestürmt sie, doch sie will sich nach einer unglücklichen Affäre nicht mehr auf Gefühle einlassen. Aber er gibt nicht auf...

Was bisher geschah:

Aus der Flut an Post der Leserinnen, die unsere Lovestory weitergesponnen haben, wählten wir den Text von Eva Heinzl, der Lina in Rom über ihren Schatten springen ließ: In einem Anfall von Mut buchte sie das Ticket für ihre Lieblingsinsel Zakynthos um, kaufte für Niko ein zweites und schickte es ihm. Danach ließ Leserin Hermine Pfrogner Lina, von neuem Selbstbewusstsein beseelt, ihre Termine schmeißen. Einen Tag lang gab’s nur Bummeln und Träumen von Niko! Bei Stephanie Kekeiss-Schertler, der letzten Siegerin, wirft Lina am Flug nach Zakynthos eine Begegnung aus der Bahn: An Bord ist der Mann, wegen dem sie früher so gelitten hat. Lies in der aktuellen WOMAN-Ausgabe 18/2014, wie Leserin Marie Barth alles weitergehen lässt.

Wir schreiben einen Roman!

So geht es weiter mit Lina & Niko, verfasst von WOMAN-Leserin Marie Barth.

Vor ihren Augen verschwammen die Buchstaben, während er sich ihrer Sitzreihe immer weiter näherte, um dann daran vorbei zu gehen. Er hatte sie nicht gesehen. Der Drang, ihm nachzustarren, wurde von ihrer Angst unterdrückt. Der Angst vor dem Ziehen in der Magengegend, der unerwarteten Leichtigkeit und diesem rauschartigen Glücksgefühl. Sie hatte Angst vor dem Gefühl, das er ihr, vor nicht allzu langer Zeit, ohne jegliche Anstrengung, täglich verschafft hatte. Arik war groß, dunkel, stark, männlich, der einzige Mann, den sie je geliebt hatte, und verheiratet.
Sie lernten sich vor etwa einem Jahr auf einer Buchmesse kennen, verliebten sich und verbrachten drei wunderschöne Monate miteinander. Was als romantische Affäre begann, wurde zu einer Beziehung mit Alltag, Problemen und Stress. Es kam ihr vor, als wären die drei Monate für Arik wie Urlaub von seinem Leben gewesen, während genau diese drei Monate ihr Leben waren.

Sie schenkte ihm ihr Vertrauen, ihre Ideen, ihr Herz und lockte ihn mit ihrer Spontanität und Lebensfreude von seiner Ehefrau weg. Sie war so verliebt, und er ließ es geschehen. Eine Weile zumindest. Bis er sich entschied, der Urlaub sei für ihn vorbei und es ist Zeit, der Realität ins Auge zu sehen, er ging zurück zu Frau und Kind. Lina hatte von dieser Realität nichts geahnt, obwohl diese scheinbar schon immer so offensichtlich zwischen ihnen stand. Sie wusste von seiner Familie, nicht aber davon, dass er diese nie aufgegeben hatte. Nicht ernsthaft, nicht wirklich zumindest. Für ihn war immer klar gewesen, dass er nach diesem romantischen Abenteuer mit Lina zu seiner Frau und seinem Sohn zurückkehren würde.

Lina bemerkte, dass ihre Hände zitterten. Noch einmal ging Arik an ihr vorbei und sie meinte fast, den vertrauten Geruch seines Parfums einatmen zu können. Ein Hauch von Gaultier, ein Hauch von Tabak und ein Hauch von Selbstbewusstsein. Mit einem Schlag war die Vergangenheit so präsent, dass sie Lina die Luft abschnürte.
Arik saß wieder auf seinem Sitzplatz, die Flugzeugmotoren heulten auf und die Maschine setzte sich in Bewegung. Warum war er hier? Was wollte ausgerechnet er auf Zakynthos? Sie wollte ihn dort nicht, in ihren Gedanken war die Insel bereits reserviert, für sie und Niko. Das sollte ihre Insel sein, auf der sie im Sonnenuntergang tanzten und Ouzo tranken. Der bittere Nachgeschmack, den die Enttäuschung damals hinterlassen hatte, war auf Zakynthos unwillkommen.
Ihr wurde bewusst, dass dieser Flug vorbeigehen, alle Passagiere aussteigen, und Arik sie wahrscheinlich nie bemerken würde.
Von einem plötzlichen Gefühl geleitet stand sie auf, zwängte sich durch die Sitzreihe und ging geradewegs auf den Mann zu, der ihr beinahe den Glauben an die Liebe geraubt hatte.

„Hi“, sagte sie mit fester Stimme.
Er blickte von seiner Zeitschrift auf, sah ihr direkt in die Augen. Die Überraschung stand ihm groß und deutlich ins Gesicht geschrieben. Er hatte eher mit einem Nilpferd, als mit ihr hier gerechnet.
„Lina“, sagte er nur.
Sie starrten sich an. Was sollte man auch sagen? Alle Worte waren bereits vor Monaten ausgesprochen, verdreht und zurückgenommen worden, nur um sie dann dem Gegenüber erneut an den Kopf zu knallen.
„Was machst du in Griechenland?“, fragte Lina nach einer Zeit, die ihr ewig vorkam.
„Ich habe beruflich dort zu tun.“
„Auf Zakynthos?“
„Ja, Recherche. Und du?“
Sie überlegte. Ja, was machte sie eigentlich auf Zakynthos? „Nach der Liebe suchen, die du mir so schamlos vorgespielt hast, um sie dann vor meinen Augen zu zerfetzen.“, hätte sie am liebsten geantwortet. Stattdessen entschied sie sich für: „Ich treffe dort jemanden.“
Wieder schauten sie sich lange in die Augen. Um sie herum wurde es leise, der Flugzeugmotor war kaum mehr hörbar und die Umgebung verschwamm. Lina sah nur mehr seine rehbraunen Augen. Der Flug war kurz und das Einschalten der Anschnallzeichen laut. Lina drehte sich um und ging, wie ferngesteuert, zurück zu ihrem Platz. Arik schaute ihr nach, sein Blick bohrte sich in ihren Rücken.
Nach der Landung packte sie ihre Sachen, folgte der Schlange aus dem Flugzeug und setzte einen Fuß vor den anderen, in Richtung Gepäckausgabe.

Lina war benommen von der Begegnung. Sie fühlte sich, als hätte ihr jemand einen Cocktail aus Betäubungsmitteln verabreicht. Wie in Trance schnappte sie sich ihr Gepäck, setzte sich in das Auto des Mannes, der sie mit einem Schild vor der Brust, auf dem ihr Name stand, abgeholt hatte, und ließ sich zu ihrer Unterkunft bringen. Sie nahm weder die wunderschöne Umgebung, noch die salzige Meeresluft oder die heimelige Atmosphäre der kleinen aber gemütlichen Unterkunft wahr. Dem freundlichen Hotelier begegnete sie kühl und höflich, nahm die Schlüssel entgegen und ging auf ihr Zimmer. Dort stellte sie die Koffer ab, um sofort die große Holztür zu öffnen, die auf den Balkon führte. Und genau in diesem Moment, als ihr der salzige Wind das Haar aus dem Gesicht strich, die Wellen unter ihr gegen großen Felsen peitschten und die griechische Wärme ihren ganzen Körper durchströmte, erwachte sie aus ihrem Trancezustand. Und plötzlich war sie ganz klar im Kopf, war sich ihrer Gefühle zu hundert Prozent sicher.

Alles was sie wollte, war heute Abend Niko zu treffen und mit ihm ein Glas Ouzo zu trinken.
Vielleicht war Niko nicht der Richtige für sie, vielleicht wurde sie wieder enttäuscht, doch das war es wert. Sie wollte lieben, sie wollte leben, sie wollte die griechische Sonne mit jeder Zelle ihres Körpers einsaugen.
Arik war ein Teil ihrer Vergangenheit, ein Mensch, der die Liebe nie wirklich kennen lernen durfte.
Schnell suchte sie das neue, bodenlange, weiße Strandkleid aus ihrem Koffer, das sie in Rom ergattert hatte und zog es an. Auf Make-up verzichtete sie, denn heute fühlte sie sich schön, genau so, wie sie war. Ihr Handy zeigte eine neue Nachricht von Niko:
Ich warte heute Abend um 18:00 im Restaurant „la costa“ auf dich. Ich freu mich.
Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass sie noch 20 Minuten Zeit hatte, um das Lokal ausfindig zu machen.
Sie schnappte sich ihre Tasche und verließ das Zimmer. Dass sich mit der Zimmertür auch ein Kapitel ihrer Vergangenheit schloss, wusste nur Lina alleine, und was sie fühlte war ein Ziehen in der Magengegend, unerwartete Leichtigkeit und ein rauschartiges Glücksgefühl.

Zwei alternative, weitere Texte findest du hier. Aber nur der Text, der in WOMAN erscheint, soll von dir weitergesponnen werden.
Wie du teilnimmst erfährst du unter woman.at/a/der-grosse-woman-liebesroman, wo auch sämtliche Teile zum Nachlesen verlinkt sind !

Anja Wrulich, 21, Studentin der Rechtswissenschaften in Graz.

Teilnehmerin WOMAN-Liebesroman

Hektisch pulte Lina die blauen Stofffusel unter ihren Nägeln hervor. So fest hatte sie sich in den Sitz des Flugzeuges gekrallt, nur um dem Blick jenes Mannes zu entgehen, der im Begriff war, sich direkt in ihre Richtung umzudrehen, und dessen Hinterkopf für sie unverwechselbar schien.
Wie oft war sie ihm mit ihrer Hand durch sein dunkelblondes Haar gefahren, hatte am Ende des Nackens mit ihrem Finger eine Strähne gezwirbelt, obwohl er es nicht mochte. Unter allen Hinterköpfen dieser Welt würde sie ihn wohl immer wiedererkennen.

Das letzte Mal hatte sie Arik in ihrer Wohnung gesehen. Vor 15 Monaten. Eigentlich wollte sie ihn an jenem Abend mit einem selbst gekochten Essen überraschen. Dafür hatten sie nämlich viel zu selten Zeit gehabt. Doch noch bevor er überhaupt am Esstisch Platz nahm, eröffnete er ihr, dass er zu seiner Frau zurückgehen werde. Er würde sie schon lieben, aber mit seiner Frau von vorne anfangen wollen, der Kinder wegen.
Schon lieben …
Außer einem flüchtigen Kuss auf die Wange und einem gebrochenen Herzen blieb ihr nichts. Seitdem hatte Lina ihn nie wieder gesehen, und nun saß er sieben Reihen vor ihr im gleichen Flugzeug nach Zakynthos.
Zu Niko.

„Möchten Sie etwas zu trinken?“ Die Frage der Stewardess riss sie aus Gedanken, die eigentlich schon lange der Vergangenheit angehören sollten. Dass Arik sie noch immer nicht bemerkt hatte, war einzig ihrer immer noch gebückten Sitzhaltung zu schulden.
„Wein. Ein Glas Wein wäre genau das Richtige.“
Die Stewardess warf ihr einen dieser Blicke zu, nach denen man sich unweigerlich zu schämen beginnen musste, setzte wieder ihr gewohntes Lächeln auf und schenkte Wein ein.
Lina kam es an diesem Tag jedoch überhaupt nicht in den Sinn, sich zu schämen. Um diesen Flug überstehen zu können, würde dies nicht das einzige Glas bleiben. Nikos Flug aus Berlin erreichte Zakynthos ohnehin erst spätabends. Genug Zeit, um einen kleinen Schwips auszunüchtern, blieb bestimmt.

Drei Gläser trockenen Merlot später fand Lina langsam wieder den Mut, ein Stück weit aus ihrem Sitz zu kriechen. Zakynthos war schon beinahe greifbar, lag direkt unter ihnen, und das sonst so azurblaue Meer schien aus der Höhe in tiefem Königsblau zu funkeln.
Warum flog er überhaupt nach Griechenland? Egal, wie gern Lina ihn früher dazu bewogen hätte, mit ihr zu verreisen, für einen Urlaub im Warmen hatte sie ihn nie begeistern können.
„Lina?“
Scheiße.

„Was machst du denn hier?“ Er stand direkt vor ihr, lässig an den Vordersitz gelehnt, lächelnd.
„Ich … fliege nach Zakynthos. Also in den Urlaub.“ Sie merkte, wie unsicher ihre Stimme dabei klang.
„Lina, unglaublich! Ich freue mich, dich zu sehen. Ehrlich. Es muss schon über ein Jahr her sein, dass wir uns das letzte Mal gesehen haben.“
In ihrem Magen breitete sich ein Gefühl von Übelkeit aus, die Hände waren eiskalt und verschwitzt. Das kleinste Mauseloch wäre ihr gerade lieb genug gewesen, um sich darin zu verkriechen. Aber sein Lächeln. So gerne sie im Erdboden versunken wäre – dieses Lächeln war so fesselnd und schön.
„Hast du nach der Landung noch Zeit? Ein Kaffee wird doch noch drin sein?“
„Ich weiß nicht. Ich komme gerade von einer Buchmesse, bin ziemlich müde. Vermutlich ist das keine gute Idee.“
„Lini, gib dir einen Ruck. Es ist nur ein Kaffee. 20 Minuten. Wir haben uns so lange … Ich meine … Ich würde wirklich gerne nochmal mit dir sprechen. Ich wohne in der kleinen Pension in Keri. Den Ausblick über die Insel darfst du nicht verpassen! Die Wirtin dort serviert den besten Honigkuchen der Welt. Wie wäre es in zwei Stunden?“
Eigentlich widerstrebte alles in ihr einem Treffen mit Arik. Was sollte das bringen? Niko würde in einigen Stunden landen, und sie könnte die Vergangenheit endlich ruhen lassen, die Leichtigkeit Roms auf die Insel bringen, leicht sein mit Niko.
Aber warum wollte er sie unbedingt wiedersehen?
Schließlich nickte sie ihm zu. Und bereute es noch im selben Moment.

Zakynthos präsentierte sich von seiner besten Seite. Strahlend blauer Himmel, 32 Grad, und eine leichte Brise, die es nur an Orten gibt, die direkt am Meer liegen. Die Koffer auszupacken, dafür war im Hotel nicht mehr genügend Zeit. Sie nahm das Ladekabel aus ihrer Tasche und steckte ihr Handy an. Der Akku war schon vor dem Flug fast leer, es würde kurz dauern, bis sie es wieder einschalten konnte.
Sie entschied sich für eine kurze Dusche, tauschte die khakifarbenen Shorts und das gelbe Shirt gegen ein kurzes Sommerkleid. Ein Blick aufs Handy – keine Nachricht von Niko.
In fünf Stunden würde er landen. Wenn er denn käme. Sich allerdings nun noch Gedanken darüber zu machen, wäre reine Selbstgeißelung, beschloss sie, und fuhr zu Arik.

Er hatte wirklich nicht zu viel versprochen. Der Ausblick von der großen Terrasse vor der Pension war atemberaubend. Olivenhaine, Hügel, am Horizont das Meer. Ihr gegenüber Arik. Er trug ein lockeres Hemd, und sein nicht minder atemberaubendes Lächeln.
Im Leben gibt es Momente vollkommener Unüberlegtheit; dieser war einer davon. Die letzten Tage hatte sie nur an Niko denken können, sie hatte sich gefreut auf ihn und seine Augen, auf ein Kennenlernen und Näherkommen, hatte gehofft, dass er ebenso empfinden und auch wirklich kommen würde.
Er freue sich, sie wiederzusehen, begann Arik, habe oft darüber nachgedacht, sich bei ihr zu melden, es dann aber immer gelassen. Er bestellte Wein, die Wirtin brachte Kuchen dazu, und er erzählte weiter vom letzten Jahr. Lina saß da, sah über die Hügel hinweg, trank ihr Glas aus und sah auf ihr Handy.

„Bin gerade gelandet. Möchte dich sofort sehen. Mir ist auch nach Meer. Und nach mehr mit dir.“
Sie legte ihr Telefon beiseite und sah Arik an. „Was soll das werden? Du bist einfach gegangen. Und wenn ich mich nicht irre, dann trägst du immer noch deinen Ehering? Ich weiß nicht, was ich hier soll. Ich muss jetzt gehen.“
Sie stand auf, nahm ihre Tasche und setzte zum Weggehen an.
Da packte sie Arik am Arm.
Lina wusste, dass er sie nun küssen würde.
Lange.
Zart.
Aber bestimmt.
Und sie ließ es geschehen.

Ingrid Schwaiger, 52, Lehrerin aus Tirol.

Teilnehmerin WOMAN-Liebesroman

Doch Arik blickte nur geradeaus, als er vorbeiging.
Lina atmete tief aus. Vor Schreck hatte sie einige Sekunden lang die Luft angehalten und vergessen zu atmen. Nun hatte sie höchstwahrscheinlich ein paar Minuten Zeit, bis er wieder zurückkam. Diesmal würde er sie direkt in seinem Blickfeld haben.
Ihr Herz raste. Was sollte sie tun?
Spontan fielen ihr drei Möglichkeiten ein. Die erste war, sich zum Fenster zu drehen, den Knoten zu lösen und sich hinter dem Vorhang ihrer Haare zu verstecken. Die zweite, sich schlafend zu stellen, vielleicht den Schal, den sie um den Hals geschlungen hatte, halb über das Gesicht zu ziehen. Die dritte Variante? Ja!

In dem Moment kam Arik den Gang entlang. Ihr Herz hämmerte wie verrückt. Die Alarmglocken in ihrem Kopf schrillten laut.
„Hallo Arik!“
Abrupt blieb er stehen, stockte kurz, blickte sie mit seinen dunkelbraunen Augen an. Nicht erschrocken, oder wenn, dann nur den Bruchteil einer Sekunde. Sofort ein strahlendes Lächeln. War das der Schauspieler in ihm? Konnte er jederzeit eine Rolle spielen?
„Lina, schön, dich zu sehen. Du fliegst auch nach Zakynthos?“
Na gut, der Text war nicht wirklich originell, aber Lina hätte sich ohnehin nicht auf den Inhalt konzentrieren können. Er blickte auf die ältere Dame neben ihr, ein suchender rascher Blick auf Passagiere gegenüber. Eine kurze Pause.

Lina kam seiner nicht gestellten Frage zuvor und sagte: „Ja, mit meiner Tante.“ Sie zeigte auf die fremde Dame neben ihr. „Tante Maria, ich begleite sie für ein paar Tage!“
Da ertönte aus den Lautsprechern die Aufforderung an alle Passagiere, sich anzuschnallen. Die Landung stand kurz bevor.
„Ich komme hierher zu Dreharbeiten. Drei Wochen, ich melde mich“, sagte Arik und beugte sich dabei über die üppige Sitznachbarin zu Lina und küsste sie auf die Wange. Dann setzte er sich auf seinen Platz und Lina starrte auf seinen Hinterkopf.
Automatisch legte sie ihren Sicherheitsgurt an, zog ihn ganz fest, als könnte sie damit ihr Herz davon abhalten, ein paar Meter weiter nach vorn zu fliegen. Langsam beruhigte sie sich wieder, der Atem normalisierte sich, aber das Herz pochte immer noch einen Takt zu schnell, und die Hände zitterten. Sie wagte einen Blick auf ihre Sitznachbarin.

„Schön, dass du mich ein paar Tage begleitest, meine liebe Nichte!“, sagte die, tätschelte dabei Linas Hände und lachte.
Ein fröhliches, unbefangenes Lachen. Sie hatte Humor, das war gut. Lina war über ihr Verhalten selbst so überrascht, dass sie einfach mitlachte. Es klang zwar ein bisschen hysterisch, war aber äußerst befreiend.
„Auf einen schönen Urlaub, Lina!“
„Ja, Tante Maria, und jetzt genießen wir den Landeanflug, ich liebe diesen Moment so!“ Lina drückte die Wange an das glatte, kühle Fenster, ließ den Blick über das Meer gleiten und versuchte das Gedankenchaos in ihrem Kopf zu ignorieren. Ihr kam ihr Schwur in den Sinn: Nie wieder das Gleichgewicht verlieren, nie wieder die Kontrolle verlieren. Nicht wieder abheben, keine unsanften Landungen.
Zumindest war das Flugzeug sicher auf dem Boden angekommen. Sie war in Zakynthos. Und sie hatte sich seit zwei Tagen so anders, so verwegen, so verrückt verhalten, wie es niemand von ihr, am allerwenigsten sie selber, erwartet hätte.

Als sie am Rollband standen und auf ihre Koffer warteten, sagte ihre Sitznachbarin, die in ihrem Kopf bereits als Tante Maria gespeichert war: „Ich heiße Adriane. Meine Tochter holt mich ab, sie führt mit ihrem Freund eine Taverne, hier in Zakynthos-Stadt. Es ist nicht weit von hier, magst du mitkommen? Trinken wir doch einen Ouzo zusammen!“
Lina überlegte. Niko. Sein Flieger würde erst in ungefähr zwei Stunden landen. Warum also nicht? Vielleicht war ein Ouzo gerade das, was sie jetzt brauchte. „Ja gerne“, antwortete sie und folgte Adriane, die kurz darauf von einer jungen Frau umarmt, geküsst und mit einem Schwall von fröhlichen Begrüßungsworten bedacht wurde.
In einem Zustand, der irgendwo zwischen geistesabwesend und ferngesteuert angesiedelt war, ließ sie sich auf die Rückbank eines alten Range Rover fallen, lauschte dem Gespräch zwischen Mutter und Tochter, ohne den Inhalt bewusst zu erfassen, registrierte den tiefblauen Himmel und das gleißende Sonnenlicht.

Gut, jetzt war sie da. In Zakynthos. Angekommen und in einem Strudel aus Empfindungen verstrickt, die im Kopf Karussell fuhren und ein Gefühl von Schwindel erzeugten.
Als sie bei „Timotheos Taverne“ auf der Terrasse saßen, auf blauen Stühlen an Holztischen mit weißen Tischtüchern, sie den Blick über die endlose Weite des Meeres schweifen ließ, wurde sie ruhiger. Gelassenheit breitete sich in ihr aus. Sie konnte es ganz intensiv spüren. Es war, als ob sanfte Wellen in ihrem Kopf die sprudelnden Gedanken fortspülten. Zurück blieb eine angenehme Leichtigkeit.
War es die Sonne, die flirrende Hitze? Der blaue Himmel und das Meer, hatte all das schon seine Wirkung gezeigt? Sie besänftigt? Denn genau so fühlte sie sich jetzt. Seit dem Morgen, seit sie ins Flugzeug gestiegen war, hatten sie Zweifel geplagt, im Stillen hatte sie sich über ihre Spontanität geärgert. Hatte ein schlechtes Gewissen gehabt, weil sie alle ihre Termine abgesagt, aus einer plötzlichen Laune der Verliebtheit heraus einen ganzen Tag verschenkt hatte. Ja, natürlich, sie hatte ihn sich selbst geschenkt, aber das Gefühl der Unbekümmertheit und der Beschwingtheit, das sie in Rom so genossen hatte, wollte sich am Morgen danach einfach nicht mehr einstellen. Die Vorfreude auf Niko war schal geworden.

Und dann war Arik aufgetaucht, wie aus dem Nichts, nach so vielen Monaten, in denen sie nichts mehr von ihm gehört hatte und nichts mehr von ihm hatte hören wollen, obwohl sie seine Nummer nie gelöscht und es auch nicht geschafft hatte, ihn aus ihrem Herzen und ihrem Kopf zu löschen.
Sie hatte sich bemüht, es zu tun, das schon. Sie hatte sich in die Arbeit gestürzt, keinen Leerlauf im Alltag, keine Gefühle zugelassen. Vielleicht waren ihr gerade deshalb so manche der Manuskripte richtig auf die Nerven gegangen. Warum mussten denn alle über die Liebe schreiben? Unerfüllte, verschmähte, verlorene, verlogene Liebe. Und immer wieder die ganz große Liebe? Manchmal war ihr richtig schlecht beim Lesen geworden, und kaum eines der gefühlsbeladenen Exposés hatte es in die rote Hülle geschafft und somit in die engere Auswahl.

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