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Was ist ein Zeugnis wert?

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Gedanken zum Schulschluss

„Ihr wisst nicht, wie es ist, ein Kind zu haben, das sich in der Schule schwer tut!“

Diesen Satz hören Eltern mit Gute-Noten-Kindern oft, berechtigterweise.
Wir haben Glück: Unsere Tochter hat ein gutes Zeugnis – was einzig und allein ihr Verdienst ist. Manche Eltern vergessen das: weder hervorragende noch miserable Leistungen der Kinder sind ein Grund, sich selbstlobend auf die Schultern zu klopfen oder sich als Versager*in zu fühlen.

„Hauptsach’ mia san g’sund“

Mir ist auch klar, dass Eltern, die sich auf Grund schlechter Schulleistungen vielleicht Sorgen machen, ganz sicher eines nicht brauchen: Ratschläge von jenen Eltern, bei denen es gerade ganz gut läuft. Ich möchte nur zwei Anekdoten mit Ihnen teilen, eine alte aus meiner Familie und eine neue aus dem Freundeskreis.

An die erste muss ich jedes Jahr zum Schulschluss denken. Mein wundervoller Opa hatte drei wundervolle Töchter (eine von ihnen ist meine Mama, logisch). Zwei Töchter waren sehr gute Schülerinnen, eine tat sich schwerer. Als diese einmal – selbst zutiefst bestürzt und verängstigt – mit einem schlechten Zeugnis nach Hause kam, schimpfte mein Opa nicht mit ihr. Er lächelte liebevoll und sagte: „Hauptsach’, mia san g’sund.“

Vorurteile ablegen, Druck rausnehmen

Letztes Wochenende treffe ich beim Heurigen eine gute Freundin, die ich längere Zeit nicht gesehen habe. Sie erzählt von ihrem Buben, der sehr sportlich und geschickt ist, aber seit der Volksschule Lernschwierigkeiten hat. Still sitzen, Hausaufgaben machen, neuen Stoff üben – seit Jahren eine Qual und eine Dauer-Belastung für die ganze Familie. Nun, in der Oberstufe des Gymnasiums, hat er zwei „Nicht genügend.“ Sie könne und wolle nicht mehr, der Vater auch nicht, der Bub auch nicht.

„Wir nehmen ihn von der Schule. Wir haben lange überlegt, glauben aber, dass er in einem Lehrberuf glücklicher ist “, sagt die Freundin. Frei von Selbstzweifeln ist sie nicht: „Ich frage mich schon immer wieder, ob wir tatsächlich alles versucht haben.“ Doch sie weiß auch, gerade weil sie selbst Lehrerin ist: Unser Schulsystem ist nicht gleich gut für jedes Kind geeignet. Und die Lehre immer noch eine stark unterschätzte Möglichkeit mit vielen Vorteilen – gerade heute, wo gelerntes Handwerk gefragter ist denn je.

Das Schöne: mit der Entscheidung sei eine große Last von allen gefallen. Natürlich werden sie und ihr Mann den Buben weiterhin bestmöglich unterstützen, für ihn da sein und darauf vertrauen, dass er seinen Weg geht.

Den eigenen Weg finden – das muss früher oder später übrigens jedes Kind, ganz unabhängig davon, welche Noten in seinem Zeugnis stehen.

Kristin Pelzl-Scheruga ist Chefredakteurin von WOMAN Balance

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